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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.

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ist im griechischen Ideal etwas in sich Beschlossenes, ein mit sich zufriede-
nes Ganzes, dem in dieser Ganzheit eine gewisse Größe nicht abgeht,
das in seiner Weise absolut, dem Göttlichen im Sinne der Parodie ähn-
lich ist und daher das Band der Schönheit viel keuscher bewahrt, als das Ver-
witterte, Blasirte, Zerfetzte, dessen die moderne Komik mächtig ist: überall
eine Unschuld, welche zeigt, daß das plastische Gefühl selbst in die Komödie
sich fortsetzt.

3. Das Grotteske ist das Komische in der Form des Wunderbaren.
Die Phantasie der Griechen konnte zwar das Erhabene, wo es die Natur-
gesetze durchbricht, nicht als Wunder behandeln. Göttererscheinungen sind
daher von erschütternder, oft an das Geisterhafte streifender Wirkung, aber
nicht eigentlich wunderbar. Die Komik dagegen ging über die Auflösung
des Naturzusammenhangs, welche die Religionsvorstellungen als etwas
an die Hand gaben, das sich von selbst verstehe, mit der freiesten Will-
kühr noch weit hinaus und ersann Störungen des naturgemäß Mögli-
chen, die allerdings die ganze Ueberraschung eines vom heitern Wahnsinn
geschaffenen Wunders mit sich führen mußten; man denke an die Vögel,
Frösche, Wespen, den Mistkäfer des Aristophanes. Die Orientalen hat-
ten, um hier ihr Verhältniß zum Komischen noch einmal zu berühren,
Fratzen genug, die uns komisch sind, es aber ihnen nicht sein konnten.
Ganz fern lag das Komische den Juden; dieser herbe und zähe Geist
hatte sich zu tief in den Dualismus verbissen, um ihn, der doch eben die
Grundlage des Komischen wäre, im Scherze aufzulösen. Der Humor
war ihnen so fremd wie dem jetzigen Pietismus.

§. 441.

Wie sich der Kreis des Komischen zum Humor erweitert, der Widerspruch
zwischen der Einheit des Schicksals und der Vielheit der Götter zum Bewußtsein
kommt und ebenhiemit das Schicksal in das Innere des Menschen tritt, beginnt
auch die Auflösung dieses Ideals.

Man hat die Nothwendigkeit des Untergangs der griechischen Götter
schon ausgesprochen, wenn man erwähnt, wie Zeus bald dem Schicksal
gebietet, bald unter ihm steht: ein Widerspruch, der mit dem Beginne der
subjectiven Bildung (§. 351) auch in das Bewußtsein treten mußte.
Bei Aristophanes ist das Schicksal schon zur verzehrenden Dialektik der
Götter geworden und nun ist der Humor da. Dieß aber ist zugleich ein
Eintreten des Schicksals in das Innere des Menschen; es wird Ich und
die Götter sind gestürzt (vergl. Kritische Gänge Th. 2, S. 368).


iſt im griechiſchen Ideal etwas in ſich Beſchloſſenes, ein mit ſich zufriede-
nes Ganzes, dem in dieſer Ganzheit eine gewiſſe Größe nicht abgeht,
das in ſeiner Weiſe abſolut, dem Göttlichen im Sinne der Parodie ähn-
lich iſt und daher das Band der Schönheit viel keuſcher bewahrt, als das Ver-
witterte, Blaſirte, Zerfetzte, deſſen die moderne Komik mächtig iſt: überall
eine Unſchuld, welche zeigt, daß das plaſtiſche Gefühl ſelbſt in die Komödie
ſich fortſetzt.

3. Das Grotteske iſt das Komiſche in der Form des Wunderbaren.
Die Phantaſie der Griechen konnte zwar das Erhabene, wo es die Natur-
geſetze durchbricht, nicht als Wunder behandeln. Göttererſcheinungen ſind
daher von erſchütternder, oft an das Geiſterhafte ſtreifender Wirkung, aber
nicht eigentlich wunderbar. Die Komik dagegen ging über die Auflöſung
des Naturzuſammenhangs, welche die Religionsvorſtellungen als etwas
an die Hand gaben, das ſich von ſelbſt verſtehe, mit der freieſten Will-
kühr noch weit hinaus und erſann Störungen des naturgemäß Mögli-
chen, die allerdings die ganze Ueberraſchung eines vom heitern Wahnſinn
geſchaffenen Wunders mit ſich führen mußten; man denke an die Vögel,
Fröſche, Weſpen, den Miſtkäfer des Ariſtophanes. Die Orientalen hat-
ten, um hier ihr Verhältniß zum Komiſchen noch einmal zu berühren,
Fratzen genug, die uns komiſch ſind, es aber ihnen nicht ſein konnten.
Ganz fern lag das Komiſche den Juden; dieſer herbe und zähe Geiſt
hatte ſich zu tief in den Dualismus verbiſſen, um ihn, der doch eben die
Grundlage des Komiſchen wäre, im Scherze aufzulöſen. Der Humor
war ihnen ſo fremd wie dem jetzigen Pietiſmus.

§. 441.

Wie ſich der Kreis des Komiſchen zum Humor erweitert, der Widerſpruch
zwiſchen der Einheit des Schickſals und der Vielheit der Götter zum Bewußtſein
kommt und ebenhiemit das Schickſal in das Innere des Menſchen tritt, beginnt
auch die Auflöſung dieſes Ideals.

Man hat die Nothwendigkeit des Untergangs der griechiſchen Götter
ſchon ausgeſprochen, wenn man erwähnt, wie Zeus bald dem Schickſal
gebietet, bald unter ihm ſteht: ein Widerſpruch, der mit dem Beginne der
ſubjectiven Bildung (§. 351) auch in das Bewußtſein treten mußte.
Bei Ariſtophanes iſt das Schickſal ſchon zur verzehrenden Dialektik der
Götter geworden und nun iſt der Humor da. Dieß aber iſt zugleich ein
Eintreten des Schickſals in das Innere des Menſchen; es wird Ich und
die Götter ſind geſtürzt (vergl. Kritiſche Gänge Th. 2, S. 368).


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[465/0179] iſt im griechiſchen Ideal etwas in ſich Beſchloſſenes, ein mit ſich zufriede- nes Ganzes, dem in dieſer Ganzheit eine gewiſſe Größe nicht abgeht, das in ſeiner Weiſe abſolut, dem Göttlichen im Sinne der Parodie ähn- lich iſt und daher das Band der Schönheit viel keuſcher bewahrt, als das Ver- witterte, Blaſirte, Zerfetzte, deſſen die moderne Komik mächtig iſt: überall eine Unſchuld, welche zeigt, daß das plaſtiſche Gefühl ſelbſt in die Komödie ſich fortſetzt. 3. Das Grotteske iſt das Komiſche in der Form des Wunderbaren. Die Phantaſie der Griechen konnte zwar das Erhabene, wo es die Natur- geſetze durchbricht, nicht als Wunder behandeln. Göttererſcheinungen ſind daher von erſchütternder, oft an das Geiſterhafte ſtreifender Wirkung, aber nicht eigentlich wunderbar. Die Komik dagegen ging über die Auflöſung des Naturzuſammenhangs, welche die Religionsvorſtellungen als etwas an die Hand gaben, das ſich von ſelbſt verſtehe, mit der freieſten Will- kühr noch weit hinaus und erſann Störungen des naturgemäß Mögli- chen, die allerdings die ganze Ueberraſchung eines vom heitern Wahnſinn geſchaffenen Wunders mit ſich führen mußten; man denke an die Vögel, Fröſche, Weſpen, den Miſtkäfer des Ariſtophanes. Die Orientalen hat- ten, um hier ihr Verhältniß zum Komiſchen noch einmal zu berühren, Fratzen genug, die uns komiſch ſind, es aber ihnen nicht ſein konnten. Ganz fern lag das Komiſche den Juden; dieſer herbe und zähe Geiſt hatte ſich zu tief in den Dualismus verbiſſen, um ihn, der doch eben die Grundlage des Komiſchen wäre, im Scherze aufzulöſen. Der Humor war ihnen ſo fremd wie dem jetzigen Pietiſmus. §. 441. Wie ſich der Kreis des Komiſchen zum Humor erweitert, der Widerſpruch zwiſchen der Einheit des Schickſals und der Vielheit der Götter zum Bewußtſein kommt und ebenhiemit das Schickſal in das Innere des Menſchen tritt, beginnt auch die Auflöſung dieſes Ideals. Man hat die Nothwendigkeit des Untergangs der griechiſchen Götter ſchon ausgeſprochen, wenn man erwähnt, wie Zeus bald dem Schickſal gebietet, bald unter ihm ſteht: ein Widerſpruch, der mit dem Beginne der ſubjectiven Bildung (§. 351) auch in das Bewußtſein treten mußte. Bei Ariſtophanes iſt das Schickſal ſchon zur verzehrenden Dialektik der Götter geworden und nun iſt der Humor da. Dieß aber iſt zugleich ein Eintreten des Schickſals in das Innere des Menſchen; es wird Ich und die Götter ſind geſtürzt (vergl. Kritiſche Gänge Th. 2, S. 368).

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/179>, abgerufen am 25.04.2024.