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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.

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Muhamedanismus, die einzige Uebersetzung des Christenthums, worin dieses
dem Orientalen zugänglich wurde, hat sie edler, ritterlicher gestimmt. Schon
ursprünglich ist das Vereinzelte ihrer Tapferkeit dem germanischen Geiste,
der das Ritterthum erzeugte, verwandt. In der dichtenden Art bilden
sie ihre Heldensagen, voll Thatendurst, Haß, Blutrache, Kühnheit, Glanz,
wunderliebend, phantastisch in Abentheuern, schwärmerisch und glühend
in der Liebe, deren sublimen Cultus sie ebenso vorbereiten wie die reiche
Sagenwelt von irrenden Rittern. Diese Seite der muhamedanischen Poesie
hat nun entschieden mehr auf das Abendland eingewirkt, als jene geistigere,
quietistische, in Persien vorzüglich ausgebildete Form; am meisten natürlich
in Spanien. Auch in der Richtung des eigentlichen Mährchens hat der
muhamedanische Orient dem Abendland seine Schätze zugeführt, die zum
Theil selbst wieder auf uralt heidnischen Quellen ruhten. In dieser bren-
nenden Phantasie, in welcher Begeisterung und Besonnenheit nicht orga-
nisch ineinander aufgehen, war nun aber auch ein Verhältniß der ästhe-
tischen Elemente gegeben, das, wesentlich antik orientalisch, durch die Re-
ligion des Muhamed nicht aufgehoben werden konnte. Es ist dieß zunächst
das Symbolische. Ist es wahr, daß die Sage vom h. Gral maurischen
Ursprungs ist, so dürfen wir in ihr eine Verklärung jenes uralten Sym-
bols des schwarzen Steines sehen, das die alten Araber verehrten. Trotz
der Verklärung aber ist dieß nicht jener tiefbeseelende Mysticismus der
pantheistisch empfindenden, sondern ein Mysticismus der symbolischen Phan-
tasie. Unorganisch wie hier ist aber das Verhältniß der Elemente in den
Formen der dichtenden Phantasie, die einen gedankenmäßigen, sententiösen
Mittelpunkt mit der Pracht glänzender Vergleichungen umkleiden oder sich
ganz in Gattungen niederlegen, die das Bild blos zum Mittel machen
(Fabel, Parabel u. s. w.). Auch von dieser Seite hat der Orient stark
auf das Mittelalter gewirkt, ja bis auf Indien geht die Quelle der Fa-
beln zurück. Aehnlich verhält es sich mit der messenden Phantasie der
Araber; die statischen Verhältnisse sind fast in ihr verlassen und Alles
sproßt in spielende, sprudelnde Pracht einer Decoration aus, die durch
keinen wahrhaft organischen Mittelpunkt im Zaum gehalten, wohl aber in
ihrem bunten Wechsel und Reichthum streng vermessen wird. Wir werden
sehen, was davon die Phantasie des Abendlands aufnahm.

2. Die Entzündung der subjectiven Unendlichkeit, zu welcher das
germanische Naturell die Anlage, das Christenthum die Idee und Er-
mahnung hergab, wäre ohne die Reibung so verschiedener Nationalitäten
und Elemente nicht zur Blüthe gelangt. Der Anfang des dreizehnten
Jahrhunderts sprengt die Blume, in Italien ist es namentlich das Leben
des Franziscus von Assisi, dessen mystische Verzückung ihre Strahlen in
die Stimmung der Zeit ergießt, sowie es selbst ein Ausdruck derselben

Muhamedaniſmus, die einzige Ueberſetzung des Chriſtenthums, worin dieſes
dem Orientalen zugänglich wurde, hat ſie edler, ritterlicher geſtimmt. Schon
urſprünglich iſt das Vereinzelte ihrer Tapferkeit dem germaniſchen Geiſte,
der das Ritterthum erzeugte, verwandt. In der dichtenden Art bilden
ſie ihre Heldenſagen, voll Thatendurſt, Haß, Blutrache, Kühnheit, Glanz,
wunderliebend, phantaſtiſch in Abentheuern, ſchwärmeriſch und glühend
in der Liebe, deren ſublimen Cultus ſie ebenſo vorbereiten wie die reiche
Sagenwelt von irrenden Rittern. Dieſe Seite der muhamedaniſchen Poeſie
hat nun entſchieden mehr auf das Abendland eingewirkt, als jene geiſtigere,
quietiſtiſche, in Perſien vorzüglich ausgebildete Form; am meiſten natürlich
in Spanien. Auch in der Richtung des eigentlichen Mährchens hat der
muhamedaniſche Orient dem Abendland ſeine Schätze zugeführt, die zum
Theil ſelbſt wieder auf uralt heidniſchen Quellen ruhten. In dieſer bren-
nenden Phantaſie, in welcher Begeiſterung und Beſonnenheit nicht orga-
niſch ineinander aufgehen, war nun aber auch ein Verhältniß der äſthe-
tiſchen Elemente gegeben, das, weſentlich antik orientaliſch, durch die Re-
ligion des Muhamed nicht aufgehoben werden konnte. Es iſt dieß zunächſt
das Symboliſche. Iſt es wahr, daß die Sage vom h. Gral mauriſchen
Urſprungs iſt, ſo dürfen wir in ihr eine Verklärung jenes uralten Sym-
bols des ſchwarzen Steines ſehen, das die alten Araber verehrten. Trotz
der Verklärung aber iſt dieß nicht jener tiefbeſeelende Myſticiſmus der
pantheiſtiſch empfindenden, ſondern ein Myſticiſmus der ſymboliſchen Phan-
taſie. Unorganiſch wie hier iſt aber das Verhältniß der Elemente in den
Formen der dichtenden Phantaſie, die einen gedankenmäßigen, ſententiöſen
Mittelpunkt mit der Pracht glänzender Vergleichungen umkleiden oder ſich
ganz in Gattungen niederlegen, die das Bild blos zum Mittel machen
(Fabel, Parabel u. ſ. w.). Auch von dieſer Seite hat der Orient ſtark
auf das Mittelalter gewirkt, ja bis auf Indien geht die Quelle der Fa-
beln zurück. Aehnlich verhält es ſich mit der meſſenden Phantaſie der
Araber; die ſtatiſchen Verhältniſſe ſind faſt in ihr verlaſſen und Alles
ſproßt in ſpielende, ſprudelnde Pracht einer Decoration aus, die durch
keinen wahrhaft organiſchen Mittelpunkt im Zaum gehalten, wohl aber in
ihrem bunten Wechſel und Reichthum ſtreng vermeſſen wird. Wir werden
ſehen, was davon die Phantaſie des Abendlands aufnahm.

2. Die Entzündung der ſubjectiven Unendlichkeit, zu welcher das
germaniſche Naturell die Anlage, das Chriſtenthum die Idee und Er-
mahnung hergab, wäre ohne die Reibung ſo verſchiedener Nationalitäten
und Elemente nicht zur Blüthe gelangt. Der Anfang des dreizehnten
Jahrhunderts ſprengt die Blume, in Italien iſt es namentlich das Leben
des Franziſcus von Aſſiſi, deſſen myſtiſche Verzückung ihre Strahlen in
die Stimmung der Zeit ergießt, ſowie es ſelbſt ein Ausdruck derſelben

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[494/0208] Muhamedaniſmus, die einzige Ueberſetzung des Chriſtenthums, worin dieſes dem Orientalen zugänglich wurde, hat ſie edler, ritterlicher geſtimmt. Schon urſprünglich iſt das Vereinzelte ihrer Tapferkeit dem germaniſchen Geiſte, der das Ritterthum erzeugte, verwandt. In der dichtenden Art bilden ſie ihre Heldenſagen, voll Thatendurſt, Haß, Blutrache, Kühnheit, Glanz, wunderliebend, phantaſtiſch in Abentheuern, ſchwärmeriſch und glühend in der Liebe, deren ſublimen Cultus ſie ebenſo vorbereiten wie die reiche Sagenwelt von irrenden Rittern. Dieſe Seite der muhamedaniſchen Poeſie hat nun entſchieden mehr auf das Abendland eingewirkt, als jene geiſtigere, quietiſtiſche, in Perſien vorzüglich ausgebildete Form; am meiſten natürlich in Spanien. Auch in der Richtung des eigentlichen Mährchens hat der muhamedaniſche Orient dem Abendland ſeine Schätze zugeführt, die zum Theil ſelbſt wieder auf uralt heidniſchen Quellen ruhten. In dieſer bren- nenden Phantaſie, in welcher Begeiſterung und Beſonnenheit nicht orga- niſch ineinander aufgehen, war nun aber auch ein Verhältniß der äſthe- tiſchen Elemente gegeben, das, weſentlich antik orientaliſch, durch die Re- ligion des Muhamed nicht aufgehoben werden konnte. Es iſt dieß zunächſt das Symboliſche. Iſt es wahr, daß die Sage vom h. Gral mauriſchen Urſprungs iſt, ſo dürfen wir in ihr eine Verklärung jenes uralten Sym- bols des ſchwarzen Steines ſehen, das die alten Araber verehrten. Trotz der Verklärung aber iſt dieß nicht jener tiefbeſeelende Myſticiſmus der pantheiſtiſch empfindenden, ſondern ein Myſticiſmus der ſymboliſchen Phan- taſie. Unorganiſch wie hier iſt aber das Verhältniß der Elemente in den Formen der dichtenden Phantaſie, die einen gedankenmäßigen, ſententiöſen Mittelpunkt mit der Pracht glänzender Vergleichungen umkleiden oder ſich ganz in Gattungen niederlegen, die das Bild blos zum Mittel machen (Fabel, Parabel u. ſ. w.). Auch von dieſer Seite hat der Orient ſtark auf das Mittelalter gewirkt, ja bis auf Indien geht die Quelle der Fa- beln zurück. Aehnlich verhält es ſich mit der meſſenden Phantaſie der Araber; die ſtatiſchen Verhältniſſe ſind faſt in ihr verlaſſen und Alles ſproßt in ſpielende, ſprudelnde Pracht einer Decoration aus, die durch keinen wahrhaft organiſchen Mittelpunkt im Zaum gehalten, wohl aber in ihrem bunten Wechſel und Reichthum ſtreng vermeſſen wird. Wir werden ſehen, was davon die Phantaſie des Abendlands aufnahm. 2. Die Entzündung der ſubjectiven Unendlichkeit, zu welcher das germaniſche Naturell die Anlage, das Chriſtenthum die Idee und Er- mahnung hergab, wäre ohne die Reibung ſo verſchiedener Nationalitäten und Elemente nicht zur Blüthe gelangt. Der Anfang des dreizehnten Jahrhunderts ſprengt die Blume, in Italien iſt es namentlich das Leben des Franziſcus von Aſſiſi, deſſen myſtiſche Verzückung ihre Strahlen in die Stimmung der Zeit ergießt, ſowie es ſelbſt ein Ausdruck derſelben

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/208>, abgerufen am 24.04.2024.