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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.

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fällt auf den so gewendeten Stylbegriff, wenn die Auffassungs- und Behand-
lungsweise einer Kunst auf eine andere oder eines Kunstzweigs auf einen
andern übergetragen wird, was auf berechtigte oder unberechtigte Weise gesche-
hen kann. Der Ausdruck Stylisiren enthält daher bald ein Lob, bald einen
Tadel. Das Wort Manier bezeichnet nun rein technisch die untergeordneten
Verschiedenheiten in der Behandlung des Materials.

Hier erst ist Rumohrs Bestimmung des Stylbegriffs zu beurtheilen.
Was wir nämlich hier als dessen letzte Bedeutung aufführen, darin siebt
er die ganze Bedeutung desselben erschöpft, so daß er unter Styl im
intensivsten Sinne des Worts nichts Anderes versteht, als ein "zur
Gewohnheit gediehenes sich Fügen in die innern Forderungen des Stoffes,
in welchem der Bildner seine Gestalten wirklich bildet, der Maler sie
erscheinen macht" (Ital. Forsch. Th. I S. 87 ff.). Daß der Künstler,
der Styl hat, wesentlich den Gesetzen seines Materials sich fügt, haben
wir in unserer Darstellung des individuellen Stylbegriffs (§. 527) nur
deßwegen nicht besonders hervorgehoben, weil es sich von selbst ergeben
muß, wenn die Bestimmung des Styls als des Idealen, wie es zur
technischen Gewöhnung geworden, zusammengefaßt wird mit dem weiteren
Satze, daß die verschiedenen Arten der Phantasie in verschiedenem Mate-
rial ihre Auffassung niederlegen und daß daraus die verschiedenen Künste
entstehen. Die Objectivität, die den Charakter des Styls begründet,
muß ja natürlich von innen herausgehen in die Behandlung des Materials
nicht nur im Sinne einer habituellen Großartigkeit der Technik über-
haupt, sondern auch spezieller im Sinne einer ernsten Unterordnung unter
die Bedingungen eines speziellen Materials, als ein "sich Fügen" u. s. w.
Nun ist es aber ganz seltsam, daß Rumohr die Objectivität des Styls
in dieser seiner Aeußerung ganz trennt von ihrem innern Grunde, der
Objectivität der Auffassung; sie entspringe, sagt er, nicht aus einer
bestimmten Richtung und Erhebung des Geistes, sondern einzig aus
einem richtigen, aber nothwendig bescheidenen und nüchternen Gefühle
einer äußern Beschränkung der Kunst durch den derben, in seinem Ver-
hältniß zum Künstler gestaltfreien (rohen) Stoff. Was hier richtig,
bescheiden, nüchtern heißt, ist vielmehr ein gewaltiges, großartiges Erfassen
der Bedingungen des Materials schon in der Gestaltung des innern
Bildes und dann in der Ausführung, ein freies Unterwerfen, ein Wollen,
denn wer heißt mich denn Stein oder Farbe wählen, wenn ich nicht
will? Dieses Wollen muß aber freilich zur Gewohnheit und innern
Disciplin werden. Rumohr leitet nun aus den Bedingungen des Mate-
rials die Compositions- und Darstellungs-Gesetze für den Bildner und
Maler ab, was in die besondere Kunstlehre gehört; daß er von Styl

fällt auf den ſo gewendeten Stylbegriff, wenn die Auffaſſungs- und Behand-
lungsweiſe einer Kunſt auf eine andere oder eines Kunſtzweigs auf einen
andern übergetragen wird, was auf berechtigte oder unberechtigte Weiſe geſche-
hen kann. Der Ausdruck Styliſiren enthält daher bald ein Lob, bald einen
Tadel. Das Wort Manier bezeichnet nun rein techniſch die untergeordneten
Verſchiedenheiten in der Behandlung des Materials.

Hier erſt iſt Rumohrs Beſtimmung des Stylbegriffs zu beurtheilen.
Was wir nämlich hier als deſſen letzte Bedeutung aufführen, darin ſiebt
er die ganze Bedeutung deſſelben erſchöpft, ſo daß er unter Styl im
intenſivſten Sinne des Worts nichts Anderes verſteht, als ein „zur
Gewohnheit gediehenes ſich Fügen in die innern Forderungen des Stoffes,
in welchem der Bildner ſeine Geſtalten wirklich bildet, der Maler ſie
erſcheinen macht“ (Ital. Forſch. Th. I S. 87 ff.). Daß der Künſtler,
der Styl hat, weſentlich den Geſetzen ſeines Materials ſich fügt, haben
wir in unſerer Darſtellung des individuellen Stylbegriffs (§. 527) nur
deßwegen nicht beſonders hervorgehoben, weil es ſich von ſelbſt ergeben
muß, wenn die Beſtimmung des Styls als des Idealen, wie es zur
techniſchen Gewöhnung geworden, zuſammengefaßt wird mit dem weiteren
Satze, daß die verſchiedenen Arten der Phantaſie in verſchiedenem Mate-
rial ihre Auffaſſung niederlegen und daß daraus die verſchiedenen Künſte
entſtehen. Die Objectivität, die den Charakter des Styls begründet,
muß ja natürlich von innen herausgehen in die Behandlung des Materials
nicht nur im Sinne einer habituellen Großartigkeit der Technik über-
haupt, ſondern auch ſpezieller im Sinne einer ernſten Unterordnung unter
die Bedingungen eines ſpeziellen Materials, als ein „ſich Fügen“ u. ſ. w.
Nun iſt es aber ganz ſeltſam, daß Rumohr die Objectivität des Styls
in dieſer ſeiner Aeußerung ganz trennt von ihrem innern Grunde, der
Objectivität der Auffaſſung; ſie entſpringe, ſagt er, nicht aus einer
beſtimmten Richtung und Erhebung des Geiſtes, ſondern einzig aus
einem richtigen, aber nothwendig beſcheidenen und nüchternen Gefühle
einer äußern Beſchränkung der Kunſt durch den derben, in ſeinem Ver-
hältniß zum Künſtler geſtaltfreien (rohen) Stoff. Was hier richtig,
beſcheiden, nüchtern heißt, iſt vielmehr ein gewaltiges, großartiges Erfaſſen
der Bedingungen des Materials ſchon in der Geſtaltung des innern
Bildes und dann in der Ausführung, ein freies Unterwerfen, ein Wollen,
denn wer heißt mich denn Stein oder Farbe wählen, wenn ich nicht
will? Dieſes Wollen muß aber freilich zur Gewohnheit und innern
Disciplin werden. Rumohr leitet nun aus den Bedingungen des Mate-
rials die Compoſitions- und Darſtellungs-Geſetze für den Bildner und
Maler ab, was in die beſondere Kunſtlehre gehört; daß er von Styl

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[139/0151] fällt auf den ſo gewendeten Stylbegriff, wenn die Auffaſſungs- und Behand- lungsweiſe einer Kunſt auf eine andere oder eines Kunſtzweigs auf einen andern übergetragen wird, was auf berechtigte oder unberechtigte Weiſe geſche- hen kann. Der Ausdruck Styliſiren enthält daher bald ein Lob, bald einen Tadel. Das Wort Manier bezeichnet nun rein techniſch die untergeordneten Verſchiedenheiten in der Behandlung des Materials. Hier erſt iſt Rumohrs Beſtimmung des Stylbegriffs zu beurtheilen. Was wir nämlich hier als deſſen letzte Bedeutung aufführen, darin ſiebt er die ganze Bedeutung deſſelben erſchöpft, ſo daß er unter Styl im intenſivſten Sinne des Worts nichts Anderes verſteht, als ein „zur Gewohnheit gediehenes ſich Fügen in die innern Forderungen des Stoffes, in welchem der Bildner ſeine Geſtalten wirklich bildet, der Maler ſie erſcheinen macht“ (Ital. Forſch. Th. I S. 87 ff.). Daß der Künſtler, der Styl hat, weſentlich den Geſetzen ſeines Materials ſich fügt, haben wir in unſerer Darſtellung des individuellen Stylbegriffs (§. 527) nur deßwegen nicht beſonders hervorgehoben, weil es ſich von ſelbſt ergeben muß, wenn die Beſtimmung des Styls als des Idealen, wie es zur techniſchen Gewöhnung geworden, zuſammengefaßt wird mit dem weiteren Satze, daß die verſchiedenen Arten der Phantaſie in verſchiedenem Mate- rial ihre Auffaſſung niederlegen und daß daraus die verſchiedenen Künſte entſtehen. Die Objectivität, die den Charakter des Styls begründet, muß ja natürlich von innen herausgehen in die Behandlung des Materials nicht nur im Sinne einer habituellen Großartigkeit der Technik über- haupt, ſondern auch ſpezieller im Sinne einer ernſten Unterordnung unter die Bedingungen eines ſpeziellen Materials, als ein „ſich Fügen“ u. ſ. w. Nun iſt es aber ganz ſeltſam, daß Rumohr die Objectivität des Styls in dieſer ſeiner Aeußerung ganz trennt von ihrem innern Grunde, der Objectivität der Auffaſſung; ſie entſpringe, ſagt er, nicht aus einer beſtimmten Richtung und Erhebung des Geiſtes, ſondern einzig aus einem richtigen, aber nothwendig beſcheidenen und nüchternen Gefühle einer äußern Beſchränkung der Kunſt durch den derben, in ſeinem Ver- hältniß zum Künſtler geſtaltfreien (rohen) Stoff. Was hier richtig, beſcheiden, nüchtern heißt, iſt vielmehr ein gewaltiges, großartiges Erfaſſen der Bedingungen des Materials ſchon in der Geſtaltung des innern Bildes und dann in der Ausführung, ein freies Unterwerfen, ein Wollen, denn wer heißt mich denn Stein oder Farbe wählen, wenn ich nicht will? Dieſes Wollen muß aber freilich zur Gewohnheit und innern Disciplin werden. Rumohr leitet nun aus den Bedingungen des Mate- rials die Compoſitions- und Darſtellungs-Geſetze für den Bildner und Maler ab, was in die beſondere Kunſtlehre gehört; daß er von Styl

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851/151>, abgerufen am 28.03.2024.