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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.

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nun aber auch im Großen auf, indem Tempel, die mit einem Tonnen-
gewölbe überdeckt sind, horizontal abgeglichen und mit einer Säulenhalle
ganz im griechischen Style umgeben werden, indem ferner vor die Rotunde
ein Säulen-Porticus mit Gebälk und Giebel tritt.

3. Die ungemeine Fruchtbarkeit und Großartigkeit der Römer in nicht
religiösen Bauten ist schon in der Aufführung der Zweige §. 575. 576
mehrfach angedeutet. Wir weisen noch einmal besonders auf die Wasser-
leitungen, Brücken, Befestigungen, Lager, Triumphbögen, Grabdenkmale,
Amphitheater (Colosseum) hin. Unter den öffentlichen Bauten für be-
stimmte politische Thätigkeiten ist von besonderer Wichtigkeit die Basilika,
die wir sofort in neuem Zusammenhang aufzunehmen haben. Durch das
Kaiserthum tritt als umfassender Prachtbau der Palast wieder in seine
Bedeutung. Die Privatwohnungen werden reicher, die Nothwendigkeit
treibt zugleich in die Höhe: der mehrstöckige Bau, der für die moderne
Zeit sich wieder festsetzen mußte, wird eingeführt. Auch in der ungemeinen
Solidität ihres Baues, in der Tüchtigkeit und Nettigkeit der Fügung zeigt
sich der praktische Charakter der Römer.

b. Die Baukunst des Mittelalters.
1. Vorstufe.
§. 587.

Die romantische Phantasie des Mittelalters (§. 447 -- 458) ergreift in
ihrem noch an das objective Ideal des Alterthums anknüpfenden Beginne (vergl.
§. 460) zunächst, namentlich im weströmischen Reiche, für den christlichen Gottes-
dienst den einzigen Innenbau, den die classische Baukunst darbot, die Basilika:
einen Langbau mit innerer Säulenstellung, der zugleich durch die Erhöhung
und besondere Deckung der Mittelhalle ein Streben zu gegliederter Höhe-
richtung
andeutet. In diese zu Grund gelegte Form wird durch das Ver-
hältniß der Säulenhalle zur Apsis und die Art der innern Verzierung die per-
spectivische
Wirkung, durch den Zutritt des Querschiffs die reichere Symme-
trie eingeführt. Die runde Linie verbindet sich nur erst in untergeordneter
Weise mit der geraden. Der angefügte Vorhof wird wieder aufgegeben und
weicht der bloßen Vorhalle, welche zunächst allein die Einseitigkeit eines bloßen
Innenbaus ergänzt.

Die dem Geist aufgegangene innere Unendlichkeit fordert für den
Gott, der nun in dem engeren Sinn offenbar ist, daß er als inneres

nun aber auch im Großen auf, indem Tempel, die mit einem Tonnen-
gewölbe überdeckt ſind, horizontal abgeglichen und mit einer Säulenhalle
ganz im griechiſchen Style umgeben werden, indem ferner vor die Rotunde
ein Säulen-Porticus mit Gebälk und Giebel tritt.

3. Die ungemeine Fruchtbarkeit und Großartigkeit der Römer in nicht
religiöſen Bauten iſt ſchon in der Aufführung der Zweige §. 575. 576
mehrfach angedeutet. Wir weiſen noch einmal beſonders auf die Waſſer-
leitungen, Brücken, Befeſtigungen, Lager, Triumphbögen, Grabdenkmale,
Amphitheater (Coloſſeum) hin. Unter den öffentlichen Bauten für be-
ſtimmte politiſche Thätigkeiten iſt von beſonderer Wichtigkeit die Baſilika,
die wir ſofort in neuem Zuſammenhang aufzunehmen haben. Durch das
Kaiſerthum tritt als umfaſſender Prachtbau der Palaſt wieder in ſeine
Bedeutung. Die Privatwohnungen werden reicher, die Nothwendigkeit
treibt zugleich in die Höhe: der mehrſtöckige Bau, der für die moderne
Zeit ſich wieder feſtſetzen mußte, wird eingeführt. Auch in der ungemeinen
Solidität ihres Baues, in der Tüchtigkeit und Nettigkeit der Fügung zeigt
ſich der praktiſche Charakter der Römer.

β. Die Baukunſt des Mittelalters.
1. Vorſtufe.
§. 587.

Die romantiſche Phantaſie des Mittelalters (§. 447 — 458) ergreift in
ihrem noch an das objective Ideal des Alterthums anknüpfenden Beginne (vergl.
§. 460) zunächſt, namentlich im weſtrömiſchen Reiche, für den chriſtlichen Gottes-
dienſt den einzigen Innenbau, den die claſſiſche Baukunſt darbot, die Baſilika:
einen Langbau mit innerer Säulenſtellung, der zugleich durch die Erhöhung
und beſondere Deckung der Mittelhalle ein Streben zu gegliederter Höhe-
richtung
andeutet. In dieſe zu Grund gelegte Form wird durch das Ver-
hältniß der Säulenhalle zur Apſis und die Art der innern Verzierung die per-
ſpectiviſche
Wirkung, durch den Zutritt des Querſchiffs die reichere Symme-
trie eingeführt. Die runde Linie verbindet ſich nur erſt in untergeordneter
Weiſe mit der geraden. Der angefügte Vorhof wird wieder aufgegeben und
weicht der bloßen Vorhalle, welche zunächſt allein die Einſeitigkeit eines bloßen
Innenbaus ergänzt.

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[297/0137] nun aber auch im Großen auf, indem Tempel, die mit einem Tonnen- gewölbe überdeckt ſind, horizontal abgeglichen und mit einer Säulenhalle ganz im griechiſchen Style umgeben werden, indem ferner vor die Rotunde ein Säulen-Porticus mit Gebälk und Giebel tritt. 3. Die ungemeine Fruchtbarkeit und Großartigkeit der Römer in nicht religiöſen Bauten iſt ſchon in der Aufführung der Zweige §. 575. 576 mehrfach angedeutet. Wir weiſen noch einmal beſonders auf die Waſſer- leitungen, Brücken, Befeſtigungen, Lager, Triumphbögen, Grabdenkmale, Amphitheater (Coloſſeum) hin. Unter den öffentlichen Bauten für be- ſtimmte politiſche Thätigkeiten iſt von beſonderer Wichtigkeit die Baſilika, die wir ſofort in neuem Zuſammenhang aufzunehmen haben. Durch das Kaiſerthum tritt als umfaſſender Prachtbau der Palaſt wieder in ſeine Bedeutung. Die Privatwohnungen werden reicher, die Nothwendigkeit treibt zugleich in die Höhe: der mehrſtöckige Bau, der für die moderne Zeit ſich wieder feſtſetzen mußte, wird eingeführt. Auch in der ungemeinen Solidität ihres Baues, in der Tüchtigkeit und Nettigkeit der Fügung zeigt ſich der praktiſche Charakter der Römer. β. Die Baukunſt des Mittelalters. 1. Vorſtufe. §. 587. Die romantiſche Phantaſie des Mittelalters (§. 447 — 458) ergreift in ihrem noch an das objective Ideal des Alterthums anknüpfenden Beginne (vergl. §. 460) zunächſt, namentlich im weſtrömiſchen Reiche, für den chriſtlichen Gottes- dienſt den einzigen Innenbau, den die claſſiſche Baukunſt darbot, die Baſilika: einen Langbau mit innerer Säulenſtellung, der zugleich durch die Erhöhung und beſondere Deckung der Mittelhalle ein Streben zu gegliederter Höhe- richtung andeutet. In dieſe zu Grund gelegte Form wird durch das Ver- hältniß der Säulenhalle zur Apſis und die Art der innern Verzierung die per- ſpectiviſche Wirkung, durch den Zutritt des Querſchiffs die reichere Symme- trie eingeführt. Die runde Linie verbindet ſich nur erſt in untergeordneter Weiſe mit der geraden. Der angefügte Vorhof wird wieder aufgegeben und weicht der bloßen Vorhalle, welche zunächſt allein die Einſeitigkeit eines bloßen Innenbaus ergänzt. Die dem Geiſt aufgegangene innere Unendlichkeit fordert für den Gott, der nun in dem engeren Sinn offenbar iſt, daß er als inneres

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030201_1852/137>, abgerufen am 28.03.2024.