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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.

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die einseitige Höherichtung ausdrücken, umschlingt in Indien als Pagode
seine Form mit ausschweifender Ornamentik und vereinfacht sich in Aegypten
zur krystallischen Keilform der Pyramide.

Nirgends tritt der Uebergang zwischen der Bedeutung der abgeschie-
denen und der absoluten Person stärker hervor, als hier. Es ist nichts
einfacher, als daß über dem Grabe großer Verstorbener eine gewaltige
Erhöhung errichtet wird, welche ihr Andenken weithin in die Lande ver-
kündigt und selbst das denkbar einfachste Bild der Erhabenheit, der auf-
gerichteten Kraft ist, durch die der Todte im Leben sich ausgezeichnet.
Solche Hügel, in Kegelform, ursprünglich und theilweise auch später blos
aus Erde aufgeworfen, sind in Nord- und Süd-Amerika, wie in Asien
und Europa verbreitet. Nun plattet man die Spitze des Kegels ab und
opfert auf dieser Höhe: den Manen des Todten oder dem Gotte, der ihn
zu sich erhoben hat, dieß geht ineinander über, da eben der Tod selbst
den Uebergang in das allgemeine Leben, die Rückauflösung in das Ganze
ist, in welcher die Vorstellung das aufgelöste Einzelleben oder das Ge-
sammtleben fixiren oder unklar beide zusammenfassen kann. So schwanken
die Nachrichten über den Belusthurm zu Babylon, ob er ein Tempel oder
Grabmal eines Königs Belus gewesen, und er war vielleicht beides, da
im untern Gelasse der Coloß "Jupiters" (nach Herodot), im obern jenes
Ruhebett des Belus stand. Der entwickelte Tempelbau depotenzirt übrigens,
wie schon erwähnt ist, auch diese Form wieder zum bloßen Grabmal.
Der einfache kegelförmige Erdaufwurf mußte nun, wenn er jene höhere
Bedeutung erhalten und zur herrschenden Tempelform werden sollte, aller-
dings erst eine künstlerische Gliederung gewinnen. Er nimmt zunächst die Form
des viereckigen, verjüngt aufsteigenden Terrassenbaus an, die wir auch in
Nordamerika sehen; diese Form wird zu einem aus Werksteinen frei ge-
fügten, an der Oberfläche künstlerisch bearbeiteten Werke selbst in Mexiko,
wo wir sie unter dem Namen Taocalli (Gotteshaus) finden. Die Terrassen
sind zum Theil schon hier wieder ausgefüllt, die Oberfläche verschieden
geschmückt, Prachttreppen führen hinan. Das oberste Stockwerk trägt nun
in Mexiko gewöhnlich ein kleines Tempelhaus und ebenso war dieß ohne
Zweifel in Niniveh, das ähnliche Thurmbauten gehabt haben muß, wie
der aus acht ungeheuern Absätzen aufsteigende Belusthurm in Babylon.
Dieser Bau gehört nämlich vorherrschend den Assyrern an und theilt
sich von ihnen den Persern mit. Das Grabmal des Cyrus im alten
Pasargada hat dieselbe Form und trägt auf seinem sechsten Absatze ein
kleines Tempelhaus. Die Form der Bedachung dieses Hauses, die selbst
in Mexiko auftritt, werden wir später in's Auge fassen. Hier ist vor
Allem die durchgängige Kleinheit dieses Hauses im Verhältniß zu dem

die einſeitige Höherichtung ausdrücken, umſchlingt in Indien als Pagode
ſeine Form mit ausſchweifender Ornamentik und vereinfacht ſich in Aegypten
zur kryſtalliſchen Keilform der Pyramide.

Nirgends tritt der Uebergang zwiſchen der Bedeutung der abgeſchie-
denen und der abſoluten Perſon ſtärker hervor, als hier. Es iſt nichts
einfacher, als daß über dem Grabe großer Verſtorbener eine gewaltige
Erhöhung errichtet wird, welche ihr Andenken weithin in die Lande ver-
kündigt und ſelbſt das denkbar einfachſte Bild der Erhabenheit, der auf-
gerichteten Kraft iſt, durch die der Todte im Leben ſich ausgezeichnet.
Solche Hügel, in Kegelform, urſprünglich und theilweiſe auch ſpäter blos
aus Erde aufgeworfen, ſind in Nord- und Süd-Amerika, wie in Aſien
und Europa verbreitet. Nun plattet man die Spitze des Kegels ab und
opfert auf dieſer Höhe: den Manen des Todten oder dem Gotte, der ihn
zu ſich erhoben hat, dieß geht ineinander über, da eben der Tod ſelbſt
den Uebergang in das allgemeine Leben, die Rückauflöſung in das Ganze
iſt, in welcher die Vorſtellung das aufgelöste Einzelleben oder das Ge-
ſammtleben fixiren oder unklar beide zuſammenfaſſen kann. So ſchwanken
die Nachrichten über den Belusthurm zu Babylon, ob er ein Tempel oder
Grabmal eines Königs Belus geweſen, und er war vielleicht beides, da
im untern Gelaſſe der Coloß „Jupiters“ (nach Herodot), im obern jenes
Ruhebett des Belus ſtand. Der entwickelte Tempelbau depotenzirt übrigens,
wie ſchon erwähnt iſt, auch dieſe Form wieder zum bloßen Grabmal.
Der einfache kegelförmige Erdaufwurf mußte nun, wenn er jene höhere
Bedeutung erhalten und zur herrſchenden Tempelform werden ſollte, aller-
dings erſt eine künſtleriſche Gliederung gewinnen. Er nimmt zunächſt die Form
des viereckigen, verjüngt aufſteigenden Terraſſenbaus an, die wir auch in
Nordamerika ſehen; dieſe Form wird zu einem aus Werkſteinen frei ge-
fügten, an der Oberfläche künſtleriſch bearbeiteten Werke ſelbſt in Mexiko,
wo wir ſie unter dem Namen Taocalli (Gotteshaus) finden. Die Terraſſen
ſind zum Theil ſchon hier wieder ausgefüllt, die Oberfläche verſchieden
geſchmückt, Prachttreppen führen hinan. Das oberſte Stockwerk trägt nun
in Mexiko gewöhnlich ein kleines Tempelhaus und ebenſo war dieß ohne
Zweifel in Niniveh, das ähnliche Thurmbauten gehabt haben muß, wie
der aus acht ungeheuern Abſätzen aufſteigende Belusthurm in Babylon.
Dieſer Bau gehört nämlich vorherrſchend den Aſſyrern an und theilt
ſich von ihnen den Perſern mit. Das Grabmal des Cyrus im alten
Paſargada hat dieſelbe Form und trägt auf ſeinem ſechsten Abſatze ein
kleines Tempelhaus. Die Form der Bedachung dieſes Hauſes, die ſelbſt
in Mexiko auftritt, werden wir ſpäter in’s Auge faſſen. Hier iſt vor
Allem die durchgängige Kleinheit dieſes Hauſes im Verhältniß zu dem

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[277/0117] die einſeitige Höherichtung ausdrücken, umſchlingt in Indien als Pagode ſeine Form mit ausſchweifender Ornamentik und vereinfacht ſich in Aegypten zur kryſtalliſchen Keilform der Pyramide. Nirgends tritt der Uebergang zwiſchen der Bedeutung der abgeſchie- denen und der abſoluten Perſon ſtärker hervor, als hier. Es iſt nichts einfacher, als daß über dem Grabe großer Verſtorbener eine gewaltige Erhöhung errichtet wird, welche ihr Andenken weithin in die Lande ver- kündigt und ſelbſt das denkbar einfachſte Bild der Erhabenheit, der auf- gerichteten Kraft iſt, durch die der Todte im Leben ſich ausgezeichnet. Solche Hügel, in Kegelform, urſprünglich und theilweiſe auch ſpäter blos aus Erde aufgeworfen, ſind in Nord- und Süd-Amerika, wie in Aſien und Europa verbreitet. Nun plattet man die Spitze des Kegels ab und opfert auf dieſer Höhe: den Manen des Todten oder dem Gotte, der ihn zu ſich erhoben hat, dieß geht ineinander über, da eben der Tod ſelbſt den Uebergang in das allgemeine Leben, die Rückauflöſung in das Ganze iſt, in welcher die Vorſtellung das aufgelöste Einzelleben oder das Ge- ſammtleben fixiren oder unklar beide zuſammenfaſſen kann. So ſchwanken die Nachrichten über den Belusthurm zu Babylon, ob er ein Tempel oder Grabmal eines Königs Belus geweſen, und er war vielleicht beides, da im untern Gelaſſe der Coloß „Jupiters“ (nach Herodot), im obern jenes Ruhebett des Belus ſtand. Der entwickelte Tempelbau depotenzirt übrigens, wie ſchon erwähnt iſt, auch dieſe Form wieder zum bloßen Grabmal. Der einfache kegelförmige Erdaufwurf mußte nun, wenn er jene höhere Bedeutung erhalten und zur herrſchenden Tempelform werden ſollte, aller- dings erſt eine künſtleriſche Gliederung gewinnen. Er nimmt zunächſt die Form des viereckigen, verjüngt aufſteigenden Terraſſenbaus an, die wir auch in Nordamerika ſehen; dieſe Form wird zu einem aus Werkſteinen frei ge- fügten, an der Oberfläche künſtleriſch bearbeiteten Werke ſelbſt in Mexiko, wo wir ſie unter dem Namen Taocalli (Gotteshaus) finden. Die Terraſſen ſind zum Theil ſchon hier wieder ausgefüllt, die Oberfläche verſchieden geſchmückt, Prachttreppen führen hinan. Das oberſte Stockwerk trägt nun in Mexiko gewöhnlich ein kleines Tempelhaus und ebenſo war dieß ohne Zweifel in Niniveh, das ähnliche Thurmbauten gehabt haben muß, wie der aus acht ungeheuern Abſätzen aufſteigende Belusthurm in Babylon. Dieſer Bau gehört nämlich vorherrſchend den Aſſyrern an und theilt ſich von ihnen den Perſern mit. Das Grabmal des Cyrus im alten Paſargada hat dieſelbe Form und trägt auf ſeinem ſechsten Abſatze ein kleines Tempelhaus. Die Form der Bedachung dieſes Hauſes, die ſelbſt in Mexiko auftritt, werden wir ſpäter in’s Auge faſſen. Hier iſt vor Allem die durchgängige Kleinheit dieſes Hauſes im Verhältniß zu dem

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030201_1852/117>, abgerufen am 19.04.2024.