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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.

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Geist das innerlich gesetzte Bild in hellem Rückschlag hinüberwirft in
körperlichen Stoff. Jenes heimische Arbeiten und Umwühlen im Materiale
ist daher zugleich ein klarer Kampf mit einem Gegner, dessen ganze
Sprödigkeit auf langem Erfahrungswege sich zu erkennen gibt und dem
man mit einer reichen Ausrüstung von Waffen und Kampfregeln auf
langem Uebungswege beikommen und zusetzen lernen muß. Es muß eine
Kunstform geben, die den Act des klaren Gegenübertretens, wie er diesem
Kampfe zu Grunde liegt, in einem ganz andern Elemente tiefer und
geistiger vollzieht; aber dieß Tiefere wird erst ein Drittes sein, das in
einer zunächst folgenden zweiten Kunstform ein Ineinandergähren von
Object und Subject voraussetzt, welches inniger, aber dunkler ist, als
das Verhalten in der bildenden Kunst. Diese ist also mehr und weniger,
als die vorerst auf sie folgende subjective Kunstform; die Bestimmtheit der
Gegenüberstellung zwischen dem Naturschönen und Künstler, dem Künstler
und seinem Werke ist ebensosehr noch eine Behaftung mit der Natur, ein
Bedürfen des gegebenen Gliedes in der Antithese. Mit dem "Zurückschlingen
der Welt in das Herz", das die subjective Kunst, die Musik, zu vollziehen
haben wird, ist die Klarheit des Gegenschlags, aber auch diese Behaftung
mit dem Object aufgehoben und eine Wiederherstellung dieses Objects aus
dem Innern vorbereitet, welche von ungleich hellerem Bewußtsein des
Künstlers über seinen Stoff und sein Werk begleitet sein wird. -- Endlich
haben wir das Ergebniß dieses eigenthümlichen Actes der bildenden Kunst
im Verhältniß zum Zuschauer zu betrachten. Das vollendete Werk steht
im Raume da wie ein Naturwerk; der Künstler hat es hingestellt ganz
auf die eigenen Füße und ist hinweggegangen. Wie eine Naturerscheinung
eben da ist, auf einmal vor uns steht, als wäre sie ein Zufälliges und
Unvermitteltes, so auf den ersten Blick das Werk der bildenden Kunst:
wir treten in einen Raum ein und es steht vor uns, als wäre es da
hingefallen oder da gewachsen, bis der zweite Blick uns in die Tiefe der
geistigen Vermittlung führt, die es wie einen hohen Fremdling aus
wunderbarer Ferne geholt und hier zwischen Erde, Fels, Baum und
Werken des äußern Bedürfnisses aufgerichtet hat. Trotz diesem unend-
lichen Unterschied liegt aber gerade hierin, daß uns das Kunstwerk so
körperlich aufstößt, die Parallele mit dem Naturschönen am bestimmtesten
ausgesprochen. Daß das Werk des Musikers und des Dichters, geschrieben
oder vorgetragen, diese Aehnlichkeit mit dem Naturwerke nicht hat, muß
zum Voraus einleuchten.

§. 552.

1.

In diesem Wesen der bildenden Kunst ist der Charakter des voll und
scharf Ausgesprochenen, streng und dauernd Hingestellten, aber auch die Reihe

Geiſt das innerlich geſetzte Bild in hellem Rückſchlag hinüberwirft in
körperlichen Stoff. Jenes heimiſche Arbeiten und Umwühlen im Materiale
iſt daher zugleich ein klarer Kampf mit einem Gegner, deſſen ganze
Sprödigkeit auf langem Erfahrungswege ſich zu erkennen gibt und dem
man mit einer reichen Ausrüſtung von Waffen und Kampfregeln auf
langem Uebungswege beikommen und zuſetzen lernen muß. Es muß eine
Kunſtform geben, die den Act des klaren Gegenübertretens, wie er dieſem
Kampfe zu Grunde liegt, in einem ganz andern Elemente tiefer und
geiſtiger vollzieht; aber dieß Tiefere wird erſt ein Drittes ſein, das in
einer zunächſt folgenden zweiten Kunſtform ein Ineinandergähren von
Object und Subject vorausſetzt, welches inniger, aber dunkler iſt, als
das Verhalten in der bildenden Kunſt. Dieſe iſt alſo mehr und weniger,
als die vorerſt auf ſie folgende ſubjective Kunſtform; die Beſtimmtheit der
Gegenüberſtellung zwiſchen dem Naturſchönen und Künſtler, dem Künſtler
und ſeinem Werke iſt ebenſoſehr noch eine Behaftung mit der Natur, ein
Bedürfen des gegebenen Gliedes in der Antitheſe. Mit dem „Zurückſchlingen
der Welt in das Herz“, das die ſubjective Kunſt, die Muſik, zu vollziehen
haben wird, iſt die Klarheit des Gegenſchlags, aber auch dieſe Behaftung
mit dem Object aufgehoben und eine Wiederherſtellung dieſes Objects aus
dem Innern vorbereitet, welche von ungleich hellerem Bewußtſein des
Künſtlers über ſeinen Stoff und ſein Werk begleitet ſein wird. — Endlich
haben wir das Ergebniß dieſes eigenthümlichen Actes der bildenden Kunſt
im Verhältniß zum Zuſchauer zu betrachten. Das vollendete Werk ſteht
im Raume da wie ein Naturwerk; der Künſtler hat es hingeſtellt ganz
auf die eigenen Füße und iſt hinweggegangen. Wie eine Naturerſcheinung
eben da iſt, auf einmal vor uns ſteht, als wäre ſie ein Zufälliges und
Unvermitteltes, ſo auf den erſten Blick das Werk der bildenden Kunſt:
wir treten in einen Raum ein und es ſteht vor uns, als wäre es da
hingefallen oder da gewachſen, bis der zweite Blick uns in die Tiefe der
geiſtigen Vermittlung führt, die es wie einen hohen Fremdling aus
wunderbarer Ferne geholt und hier zwiſchen Erde, Fels, Baum und
Werken des äußern Bedürfniſſes aufgerichtet hat. Trotz dieſem unend-
lichen Unterſchied liegt aber gerade hierin, daß uns das Kunſtwerk ſo
körperlich aufſtößt, die Parallele mit dem Naturſchönen am beſtimmteſten
ausgeſprochen. Daß das Werk des Muſikers und des Dichters, geſchrieben
oder vorgetragen, dieſe Aehnlichkeit mit dem Naturwerke nicht hat, muß
zum Voraus einleuchten.

§. 552.

1.

In dieſem Weſen der bildenden Kunſt iſt der Charakter des voll und
ſcharf Ausgeſprochenen, ſtreng und dauernd Hingeſtellten, aber auch die Reihe

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[176/0016] Geiſt das innerlich geſetzte Bild in hellem Rückſchlag hinüberwirft in körperlichen Stoff. Jenes heimiſche Arbeiten und Umwühlen im Materiale iſt daher zugleich ein klarer Kampf mit einem Gegner, deſſen ganze Sprödigkeit auf langem Erfahrungswege ſich zu erkennen gibt und dem man mit einer reichen Ausrüſtung von Waffen und Kampfregeln auf langem Uebungswege beikommen und zuſetzen lernen muß. Es muß eine Kunſtform geben, die den Act des klaren Gegenübertretens, wie er dieſem Kampfe zu Grunde liegt, in einem ganz andern Elemente tiefer und geiſtiger vollzieht; aber dieß Tiefere wird erſt ein Drittes ſein, das in einer zunächſt folgenden zweiten Kunſtform ein Ineinandergähren von Object und Subject vorausſetzt, welches inniger, aber dunkler iſt, als das Verhalten in der bildenden Kunſt. Dieſe iſt alſo mehr und weniger, als die vorerſt auf ſie folgende ſubjective Kunſtform; die Beſtimmtheit der Gegenüberſtellung zwiſchen dem Naturſchönen und Künſtler, dem Künſtler und ſeinem Werke iſt ebenſoſehr noch eine Behaftung mit der Natur, ein Bedürfen des gegebenen Gliedes in der Antitheſe. Mit dem „Zurückſchlingen der Welt in das Herz“, das die ſubjective Kunſt, die Muſik, zu vollziehen haben wird, iſt die Klarheit des Gegenſchlags, aber auch dieſe Behaftung mit dem Object aufgehoben und eine Wiederherſtellung dieſes Objects aus dem Innern vorbereitet, welche von ungleich hellerem Bewußtſein des Künſtlers über ſeinen Stoff und ſein Werk begleitet ſein wird. — Endlich haben wir das Ergebniß dieſes eigenthümlichen Actes der bildenden Kunſt im Verhältniß zum Zuſchauer zu betrachten. Das vollendete Werk ſteht im Raume da wie ein Naturwerk; der Künſtler hat es hingeſtellt ganz auf die eigenen Füße und iſt hinweggegangen. Wie eine Naturerſcheinung eben da iſt, auf einmal vor uns ſteht, als wäre ſie ein Zufälliges und Unvermitteltes, ſo auf den erſten Blick das Werk der bildenden Kunſt: wir treten in einen Raum ein und es ſteht vor uns, als wäre es da hingefallen oder da gewachſen, bis der zweite Blick uns in die Tiefe der geiſtigen Vermittlung führt, die es wie einen hohen Fremdling aus wunderbarer Ferne geholt und hier zwiſchen Erde, Fels, Baum und Werken des äußern Bedürfniſſes aufgerichtet hat. Trotz dieſem unend- lichen Unterſchied liegt aber gerade hierin, daß uns das Kunſtwerk ſo körperlich aufſtößt, die Parallele mit dem Naturſchönen am beſtimmteſten ausgeſprochen. Daß das Werk des Muſikers und des Dichters, geſchrieben oder vorgetragen, dieſe Aehnlichkeit mit dem Naturwerke nicht hat, muß zum Voraus einleuchten. §. 552. In dieſem Weſen der bildenden Kunſt iſt der Charakter des voll und ſcharf Ausgeſprochenen, ſtreng und dauernd Hingeſtellten, aber auch die Reihe

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030201_1852/16>, abgerufen am 24.04.2024.