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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.

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B.
Die Bildnerkunst.
a.
Das Wesen der Bildnerkunst.
a. Ueberhaupt.
§. 597.

Der Uebertritt der Baukunst aus der abstracten Massenbildung in die organi-
sche Form durch das Ornament, ihr sichtbares Hindrängen nach Ergänzung durch
eine Kunst, welche diese Form ursprünglich und eigentlich nachbildet, ist der
Ausdruch der innern Nothwendigkeit eines Fortschritts, durch welchen ihre Be-
stimmung, nur ein erster, objectiver, dem subjectiv beseelten Kunstwerk Unter-
lage und Stätte bereitender Act der Kunst zu sein (§. 553), wirklich an ihr
erfüllt wird. Diese innere Nothwendigkeit, die von anderer Seite im gegen-
ständlich nachahmenden Spieltrieb (§. 515, 2.) sich ankündigt, ist in dem Wesen
des Schönen selbst begründet, welches in der reinen Einheit von Idee und Bild
besteht und daher die wahre Erscheinung dieser Einheit, die Persönlichkeit
(vergl. §. 19), als Aufgabe der Kunstdarstellung setzt. Entspricht die Bau-
kunst dem Unorganischen im Gebiete des Naturschönen, so wiederholt sich in
dem so geforderten Fortschritte der Kunst der Fortgang des Naturschönen zur
beseelten organischen Gestalt.

Zuerst eine Bemerkung über den Namen. Plastik bezeichnet eigentlich
nur ein Bilden in weichem Stoff, wie solches, nachdem Thon in der hö-
hern Kunst nur zum Modelle verwandt wird, zur bloßen Vorarbeit gewor-
den ist; die wirklich ausführende Bearbeitung harter Stoffe ist zwar aus-
gesprochen in dem lateinischen Namen Sculptur, aber darin ist das Gießen
nicht mitbefaßt. Das deutsche Wort Bilden bedeutet ursprünglich: etwas
einem Andern Aehnliches hinstellen, und zwar entweder in der eigenen Per-

Vischer's Aesthetik. 3. Band. 23
B.
Die Bildnerkunſt.
a.
Das Weſen der Bildnerkunſt.
α. Ueberhaupt.
§. 597.

Der Uebertritt der Baukunſt aus der abſtracten Maſſenbildung in die organi-
ſche Form durch das Ornament, ihr ſichtbares Hindrängen nach Ergänzung durch
eine Kunſt, welche dieſe Form urſprünglich und eigentlich nachbildet, iſt der
Ausdruch der innern Nothwendigkeit eines Fortſchritts, durch welchen ihre Be-
ſtimmung, nur ein erſter, objectiver, dem ſubjectiv beſeelten Kunſtwerk Unter-
lage und Stätte bereitender Act der Kunſt zu ſein (§. 553), wirklich an ihr
erfüllt wird. Dieſe innere Nothwendigkeit, die von anderer Seite im gegen-
ſtändlich nachahmenden Spieltrieb (§. 515, 2.) ſich ankündigt, iſt in dem Weſen
des Schönen ſelbſt begründet, welches in der reinen Einheit von Idee und Bild
beſteht und daher die wahre Erſcheinung dieſer Einheit, die Perſönlichkeit
(vergl. §. 19), als Aufgabe der Kunſtdarſtellung ſetzt. Entſpricht die Bau-
kunſt dem Unorganiſchen im Gebiete des Naturſchönen, ſo wiederholt ſich in
dem ſo geforderten Fortſchritte der Kunſt der Fortgang des Naturſchönen zur
beſeelten organiſchen Geſtalt.

Zuerſt eine Bemerkung über den Namen. Plaſtik bezeichnet eigentlich
nur ein Bilden in weichem Stoff, wie ſolches, nachdem Thon in der hö-
hern Kunſt nur zum Modelle verwandt wird, zur bloßen Vorarbeit gewor-
den iſt; die wirklich ausführende Bearbeitung harter Stoffe iſt zwar aus-
geſprochen in dem lateiniſchen Namen Sculptur, aber darin iſt das Gießen
nicht mitbefaßt. Das deutſche Wort Bilden bedeutet urſprünglich: etwas
einem Andern Aehnliches hinſtellen, und zwar entweder in der eigenen Per-

Viſcher’s Aeſthetik. 3. Band. 23
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[[339]/0013] B. Die Bildnerkunſt. a. Das Weſen der Bildnerkunſt. α. Ueberhaupt. §. 597. Der Uebertritt der Baukunſt aus der abſtracten Maſſenbildung in die organi- ſche Form durch das Ornament, ihr ſichtbares Hindrängen nach Ergänzung durch eine Kunſt, welche dieſe Form urſprünglich und eigentlich nachbildet, iſt der Ausdruch der innern Nothwendigkeit eines Fortſchritts, durch welchen ihre Be- ſtimmung, nur ein erſter, objectiver, dem ſubjectiv beſeelten Kunſtwerk Unter- lage und Stätte bereitender Act der Kunſt zu ſein (§. 553), wirklich an ihr erfüllt wird. Dieſe innere Nothwendigkeit, die von anderer Seite im gegen- ſtändlich nachahmenden Spieltrieb (§. 515, 2.) ſich ankündigt, iſt in dem Weſen des Schönen ſelbſt begründet, welches in der reinen Einheit von Idee und Bild beſteht und daher die wahre Erſcheinung dieſer Einheit, die Perſönlichkeit (vergl. §. 19), als Aufgabe der Kunſtdarſtellung ſetzt. Entſpricht die Bau- kunſt dem Unorganiſchen im Gebiete des Naturſchönen, ſo wiederholt ſich in dem ſo geforderten Fortſchritte der Kunſt der Fortgang des Naturſchönen zur beſeelten organiſchen Geſtalt. Zuerſt eine Bemerkung über den Namen. Plaſtik bezeichnet eigentlich nur ein Bilden in weichem Stoff, wie ſolches, nachdem Thon in der hö- hern Kunſt nur zum Modelle verwandt wird, zur bloßen Vorarbeit gewor- den iſt; die wirklich ausführende Bearbeitung harter Stoffe iſt zwar aus- geſprochen in dem lateiniſchen Namen Sculptur, aber darin iſt das Gießen nicht mitbefaßt. Das deutſche Wort Bilden bedeutet urſprünglich: etwas einem Andern Aehnliches hinſtellen, und zwar entweder in der eigenen Per- Viſcher’s Aeſthetik. 3. Band. 23

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853, S. [339]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/13>, abgerufen am 29.03.2024.