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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.

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Dargestellten als ein solches hinstellt, beunruhigt es durch das Schwanken
zwischen zwei Gattungen. Die angeführte Stelle der Krit. Gänge gibt Bei-
spiele und zeigt zugleich, daß es nichts hilft, wenn die in solch unstatthaftem
Sinn spannende Staffage mit der Landschaft zusammencomponirt ist. Daß
beide Seiten aufeinander componirt sein sollen, versteht sich übrigens auch
für den Fall von selbst, wo die Staffage an sich nicht über das in der
Gattung begründete Maaß der Bescheidenheit hinausgeht. Jagd z. B.
ist eine zur Landschaft ganz passende Art menschlicher Beschäftigung, aber
wenn sich J. Ruysdael in eine Waldpartie voll stiller abendlicher Feier
durch van de Velde die Rohheit einer Hetzjagd hineinmalen ließ, so haben
wir ein schlagendes Beispiel von falscher Staffage und von falschem Be-
griffe des Beiwerks. -- Uebrigens handelt es sich auch bei der menschlichen
Staffage nicht blos von der Qualität, sondern ebenso sehr von der Quan-
tität: ein gewisser Grad von Umfang, den dieselbe in Anspruch nimmt,
führt zum Sittenbilde oder zum geschichtlichen; von den richtigen und un-
richtigen Verbindungen derselben mit der Landschaft wird ebenfalls seines
Orts die Rede sein.

§. 699.

Die eingreifendste Theilung der Landschaftmalerei gründet sich auf den
Gegensatz der Styl-Prinzipien und so tritt dem, in der sogenannten historischen
oder heroischen Landschaft vorbereiteten, Stylbilde das Stimmungs-Bild
im engeren Sinne gegenüber. Das erstere ist innerhalb des Lyrischen mehr
episch, und was den Unterschied des Materials und der Technik betrifft, so
neigt es naturgemäß zur Freske. Uebrigens gehen die Glieder des Gegensatzes
in mannigfaltiger Verbindung in einander über.

Das Stylbild ist die Landschaft des direct idealisirenden, plastischen
Styls; es verlangt, wie schon zu §. 686 in beispielsweiser Anführung
dieses Zweigs gesagt ist, schöne Formen in Erdbildung und Vegetation,
schöne Linie der Gruppirung, klare Wasser, reine Lüfte, und führt uns
so in eine Welt, die für edle, große, harmonische Menschen bestimmt
scheint, ein Elysium. Es ist klar, daß es sich vorzüglich an die südliche
Natur hält. Die historische oder heroische Landschaft gehört, da sie als
bleibender Zweig nicht fortdauern konnte, eigentlich in die Geschichte der
Malerei, mag aber wegen des unmittelbar Belehrenden, was sie gewährt,
hier betrachtet werden. Wesentlich war ihr eine zu bedeutende Staffage
mythischen oder heroischen Inhalts, aus der classischen, alt- und neutesta-
mentlichen Welt. Dieß war die Nabelschnur, mit welcher die Landschaft
noch am historischen Gemälde hieng: eben erst ausgeschlüpft glaubte sie
noch dieses Ausweises für ihre Existenz als Gattung zu bedürfen, glaubte

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Dargeſtellten als ein ſolches hinſtellt, beunruhigt es durch das Schwanken
zwiſchen zwei Gattungen. Die angeführte Stelle der Krit. Gänge gibt Bei-
ſpiele und zeigt zugleich, daß es nichts hilft, wenn die in ſolch unſtatthaftem
Sinn ſpannende Staffage mit der Landſchaft zuſammencomponirt iſt. Daß
beide Seiten aufeinander componirt ſein ſollen, verſteht ſich übrigens auch
für den Fall von ſelbſt, wo die Staffage an ſich nicht über das in der
Gattung begründete Maaß der Beſcheidenheit hinausgeht. Jagd z. B.
iſt eine zur Landſchaft ganz paſſende Art menſchlicher Beſchäftigung, aber
wenn ſich J. Ruysdael in eine Waldpartie voll ſtiller abendlicher Feier
durch van de Velde die Rohheit einer Hetzjagd hineinmalen ließ, ſo haben
wir ein ſchlagendes Beiſpiel von falſcher Staffage und von falſchem Be-
griffe des Beiwerks. — Uebrigens handelt es ſich auch bei der menſchlichen
Staffage nicht blos von der Qualität, ſondern ebenſo ſehr von der Quan-
tität: ein gewiſſer Grad von Umfang, den dieſelbe in Anſpruch nimmt,
führt zum Sittenbilde oder zum geſchichtlichen; von den richtigen und un-
richtigen Verbindungen derſelben mit der Landſchaft wird ebenfalls ſeines
Orts die Rede ſein.

§. 699.

Die eingreifendſte Theilung der Landſchaftmalerei gründet ſich auf den
Gegenſatz der Styl-Prinzipien und ſo tritt dem, in der ſogenannten hiſtoriſchen
oder heroiſchen Landſchaft vorbereiteten, Stylbilde das Stimmungs-Bild
im engeren Sinne gegenüber. Das erſtere iſt innerhalb des Lyriſchen mehr
epiſch, und was den Unterſchied des Materials und der Technik betrifft, ſo
neigt es naturgemäß zur Freske. Uebrigens gehen die Glieder des Gegenſatzes
in mannigfaltiger Verbindung in einander über.

Das Stylbild iſt die Landſchaft des direct idealiſirenden, plaſtiſchen
Styls; es verlangt, wie ſchon zu §. 686 in beiſpielsweiſer Anführung
dieſes Zweigs geſagt iſt, ſchöne Formen in Erdbildung und Vegetation,
ſchöne Linie der Gruppirung, klare Waſſer, reine Lüfte, und führt uns
ſo in eine Welt, die für edle, große, harmoniſche Menſchen beſtimmt
ſcheint, ein Elyſium. Es iſt klar, daß es ſich vorzüglich an die ſüdliche
Natur hält. Die hiſtoriſche oder heroiſche Landſchaft gehört, da ſie als
bleibender Zweig nicht fortdauern konnte, eigentlich in die Geſchichte der
Malerei, mag aber wegen des unmittelbar Belehrenden, was ſie gewährt,
hier betrachtet werden. Weſentlich war ihr eine zu bedeutende Staffage
mythiſchen oder heroiſchen Inhalts, aus der claſſiſchen, alt- und neuteſta-
mentlichen Welt. Dieß war die Nabelſchnur, mit welcher die Landſchaft
noch am hiſtoriſchen Gemälde hieng: eben erſt ausgeſchlüpft glaubte ſie
noch dieſes Ausweiſes für ihre Exiſtenz als Gattung zu bedürfen, glaubte

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[651/0159] Dargeſtellten als ein ſolches hinſtellt, beunruhigt es durch das Schwanken zwiſchen zwei Gattungen. Die angeführte Stelle der Krit. Gänge gibt Bei- ſpiele und zeigt zugleich, daß es nichts hilft, wenn die in ſolch unſtatthaftem Sinn ſpannende Staffage mit der Landſchaft zuſammencomponirt iſt. Daß beide Seiten aufeinander componirt ſein ſollen, verſteht ſich übrigens auch für den Fall von ſelbſt, wo die Staffage an ſich nicht über das in der Gattung begründete Maaß der Beſcheidenheit hinausgeht. Jagd z. B. iſt eine zur Landſchaft ganz paſſende Art menſchlicher Beſchäftigung, aber wenn ſich J. Ruysdael in eine Waldpartie voll ſtiller abendlicher Feier durch van de Velde die Rohheit einer Hetzjagd hineinmalen ließ, ſo haben wir ein ſchlagendes Beiſpiel von falſcher Staffage und von falſchem Be- griffe des Beiwerks. — Uebrigens handelt es ſich auch bei der menſchlichen Staffage nicht blos von der Qualität, ſondern ebenſo ſehr von der Quan- tität: ein gewiſſer Grad von Umfang, den dieſelbe in Anſpruch nimmt, führt zum Sittenbilde oder zum geſchichtlichen; von den richtigen und un- richtigen Verbindungen derſelben mit der Landſchaft wird ebenfalls ſeines Orts die Rede ſein. §. 699. Die eingreifendſte Theilung der Landſchaftmalerei gründet ſich auf den Gegenſatz der Styl-Prinzipien und ſo tritt dem, in der ſogenannten hiſtoriſchen oder heroiſchen Landſchaft vorbereiteten, Stylbilde das Stimmungs-Bild im engeren Sinne gegenüber. Das erſtere iſt innerhalb des Lyriſchen mehr epiſch, und was den Unterſchied des Materials und der Technik betrifft, ſo neigt es naturgemäß zur Freske. Uebrigens gehen die Glieder des Gegenſatzes in mannigfaltiger Verbindung in einander über. Das Stylbild iſt die Landſchaft des direct idealiſirenden, plaſtiſchen Styls; es verlangt, wie ſchon zu §. 686 in beiſpielsweiſer Anführung dieſes Zweigs geſagt iſt, ſchöne Formen in Erdbildung und Vegetation, ſchöne Linie der Gruppirung, klare Waſſer, reine Lüfte, und führt uns ſo in eine Welt, die für edle, große, harmoniſche Menſchen beſtimmt ſcheint, ein Elyſium. Es iſt klar, daß es ſich vorzüglich an die ſüdliche Natur hält. Die hiſtoriſche oder heroiſche Landſchaft gehört, da ſie als bleibender Zweig nicht fortdauern konnte, eigentlich in die Geſchichte der Malerei, mag aber wegen des unmittelbar Belehrenden, was ſie gewährt, hier betrachtet werden. Weſentlich war ihr eine zu bedeutende Staffage mythiſchen oder heroiſchen Inhalts, aus der claſſiſchen, alt- und neuteſta- mentlichen Welt. Dieß war die Nabelſchnur, mit welcher die Landſchaft noch am hiſtoriſchen Gemälde hieng: eben erſt ausgeſchlüpft glaubte ſie noch dieſes Ausweiſes für ihre Exiſtenz als Gattung zu bedürfen, glaubte 43*

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 651. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/159>, abgerufen am 19.04.2024.