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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.

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der Farbe als eines flüssigen, nach dem Auftrage trocknenden Mittels ab-
geht; die eine höchst vergänglich und im Ausdrucke trocken: die Pastell-
malerei, die andere dauernder, als jedes eigentliche Gemälde, weil die
Farbe als eine Vielheit besonderer harter Körper fest in die Fläche ein-
gelassen wird, weniger trocken, weil bunte Steine und gefärbte Glasstifte
einen satteren Ton haben, aber der verschmelzenden Uebergänge weniger
fähig, als jede andere Weise der malerischen Ausführung: die Mosaik.
Sie ist eigentlich eine Uebertragung der Darstellungsart der Stickerei, die
auf gegittertem Grunde würfelförmig einnäht, in festes und hartes Ma-
terial, versteinerter Teppich, und sie sollte ebensowenig, als dieser, mit
den Feinheiten der eigentlichen Malerei wetteifern wollen, wie es die
ausgezeichnete Mosaikschule des Vaticans in jenen großen Gemälde-Nach-
bildungen gethan, welche man in der Peters-Kirche sieht. Sie verdient
hohe Anerkennung, wenn der Mosaicist es versteht, mit wenigen Mitteln
die Hauptstellen des Ausdrucks, die wesentlichsten Lagen des Schattens
und der Hauptfarbe so zu bestimmen, daß sie in entsprechender Entfernung
eine große Gesammtwirkung machen: sie muß sich bewußt bleiben, daß
sie ungefähr so zu Werke gehen muß, wie die Papierausschnitte, die vor
das Licht gehalten ein Bild an die Wand werfen, oder, damit wir die
Farbe nicht übersehen, wie die Decorationsmalerei für die Schaubühne.
Was sie leisten kann, beweist vor Allem die große Pompejanische Mosaik
der Alexander- und Dariusschlacht, der Orpheus auf dem Fußboden des
römischen Hauses bei Rotweil.

§. 661.

Die Abhängigkeit von der landschaftlichen Umgebung hört auf, das Ver-1.
hältniß zur Baukunst wird zur freien Verbindung, die aber, sei sie bleibend
oder veränderlich, nicht in Beziehungslosigkeit sich verlieren soll. Die Größe2.
des Maaßstabs ist nach §. 649 zwar relativ, doch nicht schlechthin: das Auge
fordert seine Bahn, der Unterschied der Stoffe, der Bestimmung, der damit
wesentlich zusammenhängenden Verknüpfung mit der Architektur bringt auch ver-
schiedene Größe-Verhältnisse mit sich; das Tolossale ist beschränkter, das Kleine
berechtigter, als in der Bildnerkunst.

1. Nur mittelbar, sofern ein Werk der Baukunst mit seinen Umge-
bungen zusammenwirken soll, wird die Malerei, wie sie sich an ihren
Flächen ausbreitet, in das Verhältniß zur umgebenden Natur und Archi-
tektur hineingezogen; an sich ist das enge Band, welches diese und die
Bildnerkunst an die weitere Umgebung bindet, abgeworfen. Zum Bau-
werke selbst aber soll das Wandbild natürlich in einem innern Verhältniß

der Farbe als eines flüſſigen, nach dem Auftrage trocknenden Mittels ab-
geht; die eine höchſt vergänglich und im Ausdrucke trocken: die Paſtell-
malerei, die andere dauernder, als jedes eigentliche Gemälde, weil die
Farbe als eine Vielheit beſonderer harter Körper feſt in die Fläche ein-
gelaſſen wird, weniger trocken, weil bunte Steine und gefärbte Glasſtifte
einen ſatteren Ton haben, aber der verſchmelzenden Uebergänge weniger
fähig, als jede andere Weiſe der maleriſchen Ausführung: die Moſaik.
Sie iſt eigentlich eine Uebertragung der Darſtellungsart der Stickerei, die
auf gegittertem Grunde würfelförmig einnäht, in feſtes und hartes Ma-
terial, verſteinerter Teppich, und ſie ſollte ebenſowenig, als dieſer, mit
den Feinheiten der eigentlichen Malerei wetteifern wollen, wie es die
ausgezeichnete Moſaikſchule des Vaticans in jenen großen Gemälde-Nach-
bildungen gethan, welche man in der Peters-Kirche ſieht. Sie verdient
hohe Anerkennung, wenn der Moſaiciſt es verſteht, mit wenigen Mitteln
die Hauptſtellen des Ausdrucks, die weſentlichſten Lagen des Schattens
und der Hauptfarbe ſo zu beſtimmen, daß ſie in entſprechender Entfernung
eine große Geſammtwirkung machen: ſie muß ſich bewußt bleiben, daß
ſie ungefähr ſo zu Werke gehen muß, wie die Papierausſchnitte, die vor
das Licht gehalten ein Bild an die Wand werfen, oder, damit wir die
Farbe nicht überſehen, wie die Decorationsmalerei für die Schaubühne.
Was ſie leiſten kann, beweist vor Allem die große Pompejaniſche Moſaik
der Alexander- und Dariusſchlacht, der Orpheus auf dem Fußboden des
römiſchen Hauſes bei Rotweil.

§. 661.

Die Abhängigkeit von der landſchaftlichen Umgebung hört auf, das Ver-1.
hältniß zur Baukunſt wird zur freien Verbindung, die aber, ſei ſie bleibend
oder veränderlich, nicht in Beziehungsloſigkeit ſich verlieren ſoll. Die Größe2.
des Maaßſtabs iſt nach §. 649 zwar relativ, doch nicht ſchlechthin: das Auge
fordert ſeine Bahn, der Unterſchied der Stoffe, der Beſtimmung, der damit
weſentlich zuſammenhängenden Verknüpfung mit der Architektur bringt auch ver-
ſchiedene Größe-Verhältniſſe mit ſich; das Toloſſale iſt beſchränkter, das Kleine
berechtigter, als in der Bildnerkunſt.

1. Nur mittelbar, ſofern ein Werk der Baukunſt mit ſeinen Umge-
bungen zuſammenwirken ſoll, wird die Malerei, wie ſie ſich an ihren
Flächen ausbreitet, in das Verhältniß zur umgebenden Natur und Archi-
tektur hineingezogen; an ſich iſt das enge Band, welches dieſe und die
Bildnerkunſt an die weitere Umgebung bindet, abgeworfen. Zum Bau-
werke ſelbſt aber ſoll das Wandbild natürlich in einem innern Verhältniß

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[543/0051] der Farbe als eines flüſſigen, nach dem Auftrage trocknenden Mittels ab- geht; die eine höchſt vergänglich und im Ausdrucke trocken: die Paſtell- malerei, die andere dauernder, als jedes eigentliche Gemälde, weil die Farbe als eine Vielheit beſonderer harter Körper feſt in die Fläche ein- gelaſſen wird, weniger trocken, weil bunte Steine und gefärbte Glasſtifte einen ſatteren Ton haben, aber der verſchmelzenden Uebergänge weniger fähig, als jede andere Weiſe der maleriſchen Ausführung: die Moſaik. Sie iſt eigentlich eine Uebertragung der Darſtellungsart der Stickerei, die auf gegittertem Grunde würfelförmig einnäht, in feſtes und hartes Ma- terial, verſteinerter Teppich, und ſie ſollte ebenſowenig, als dieſer, mit den Feinheiten der eigentlichen Malerei wetteifern wollen, wie es die ausgezeichnete Moſaikſchule des Vaticans in jenen großen Gemälde-Nach- bildungen gethan, welche man in der Peters-Kirche ſieht. Sie verdient hohe Anerkennung, wenn der Moſaiciſt es verſteht, mit wenigen Mitteln die Hauptſtellen des Ausdrucks, die weſentlichſten Lagen des Schattens und der Hauptfarbe ſo zu beſtimmen, daß ſie in entſprechender Entfernung eine große Geſammtwirkung machen: ſie muß ſich bewußt bleiben, daß ſie ungefähr ſo zu Werke gehen muß, wie die Papierausſchnitte, die vor das Licht gehalten ein Bild an die Wand werfen, oder, damit wir die Farbe nicht überſehen, wie die Decorationsmalerei für die Schaubühne. Was ſie leiſten kann, beweist vor Allem die große Pompejaniſche Moſaik der Alexander- und Dariusſchlacht, der Orpheus auf dem Fußboden des römiſchen Hauſes bei Rotweil. §. 661. Die Abhängigkeit von der landſchaftlichen Umgebung hört auf, das Ver- hältniß zur Baukunſt wird zur freien Verbindung, die aber, ſei ſie bleibend oder veränderlich, nicht in Beziehungsloſigkeit ſich verlieren ſoll. Die Größe des Maaßſtabs iſt nach §. 649 zwar relativ, doch nicht ſchlechthin: das Auge fordert ſeine Bahn, der Unterſchied der Stoffe, der Beſtimmung, der damit weſentlich zuſammenhängenden Verknüpfung mit der Architektur bringt auch ver- ſchiedene Größe-Verhältniſſe mit ſich; das Toloſſale iſt beſchränkter, das Kleine berechtigter, als in der Bildnerkunſt. 1. Nur mittelbar, ſofern ein Werk der Baukunſt mit ſeinen Umge- bungen zuſammenwirken ſoll, wird die Malerei, wie ſie ſich an ihren Flächen ausbreitet, in das Verhältniß zur umgebenden Natur und Archi- tektur hineingezogen; an ſich iſt das enge Band, welches dieſe und die Bildnerkunſt an die weitere Umgebung bindet, abgeworfen. Zum Bau- werke ſelbſt aber ſoll das Wandbild natürlich in einem innern Verhältniß

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 543. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/51>, abgerufen am 23.04.2024.