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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.

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stenthum zur Staatsreligion erhoben ist, steigt auch die Malerei an das
Licht und schmückt Grab- und Tauf-Capellen, Basiliken, auch Paläste,
namentlich mit Mosaiken. Im Style, welcher in Gestalt, Gewand, Be-
wegung, auch räumlicher Anordnung und Ornament die künstlerischen
Formen der antiken Malerei in jenem Zustande des Verfalls zeigt, treten
allerdings Unterschiede hervor: neben dem schwungvolleren und lebendi-
geren Zuge der von antikem Gefühle noch sichtbarer geleiteten Hand sieht
man eine rohere, härtere Manier, die sich an die schlechtesten Formen der
Verfallszeit anschließt und sie mehr und mehr, namentlich in den steifen,
schweren Gewändern, zu bewegungsloser Starrheit zusammenzieht. Noch
ist von der neuen Seele, die sich in diese Formen legen soll, nichts wahr-
zunehmen, als ein ganz ferner Anklang von Gemüth und Innigkeit, dann
eine Haltung feierlichen, großartigen, streng objectiven Ernstes, jener in
der freundlichen Neigung Christi zum verlorenen Lamm, den Agapen u. A.,
dieser besonders in den großen Tribunenbildern der Basiliken. Vom sechsten
Jahrhundert an, in der Zerrüttung Italiens, verwildert selbst der schwache
Rest classischen Formgefühls noch mehr und sinkt endlich auf die Kinder-
stufe des Orients, die dicken Umrisse mit greller Farben-Ausfüllung, ja
noch tiefer herab, da in den plumpen Figuren selbst jedes Verständniß
der Form verschwindet. Dem Stoffe nach beginnt diese altchristliche Kunst
mit jenen Sinnbildern, die schon in §. 460, 2. erwähnt sind; Christus
selbst, Scenen des A. u. N. Testaments treten nicht in der Absicht eigentlicher,
sondern parabolischer, vorbildlicher Bedeutung auf. Doch später und
vornämlich seit der öffentlichen Anerkennung des Christenthums dringt
auch die eigentliche Darstellung ein, es werden die Motive der Gestal-
tenbildung, Handlung, Composition, welche in der Geschichte Jesu und
der ältesten Gemeinde liegen, benützt und angebaut: wir sehen den Er-
löser lehrend, heilend, seine Taufe, seinen Einzug in Jerusalem, die Lie-
besmahle der ersten Christen; auch Maria tritt bereits als wesentliche
Gestalt in den Kreis des christlichen Ideals ein. Selbst der Drang der
Malerei zum Individuellen und rein Geschichtlichen dringt vereinzelt schon
zu Tage: in dem traditionell sich feststellenden porträtartigen Typus
Christi, der Apostel Petrus und Paulus, in einzelnen profangeschichtlichen
und kirchlich ceremoniellen Darstellungen, worin Personen in eigentlichem
Bildniß auftreten.

Der byzantinische Styl rettet die dürftigen Reste des classischen
Formgefühls, die im oströmischen Reiche nie bis zu dem Grade verwil-
dert waren, wie im weströmischen. Es ist eine Einpuppung auf lange
Zeit, denn er dauert und herrscht vom siebenten Jahrhundert bis hinein in's
dreizehnte; ein Winterschlaf, eine Versteinerung, welche vom Athem eines
neuen Lebens erst wieder erweicht werden, die Einbalsamirung eines Leich-

ſtenthum zur Staatsreligion erhoben iſt, ſteigt auch die Malerei an das
Licht und ſchmückt Grab- und Tauf-Capellen, Baſiliken, auch Paläſte,
namentlich mit Moſaiken. Im Style, welcher in Geſtalt, Gewand, Be-
wegung, auch räumlicher Anordnung und Ornament die künſtleriſchen
Formen der antiken Malerei in jenem Zuſtande des Verfalls zeigt, treten
allerdings Unterſchiede hervor: neben dem ſchwungvolleren und lebendi-
geren Zuge der von antikem Gefühle noch ſichtbarer geleiteten Hand ſieht
man eine rohere, härtere Manier, die ſich an die ſchlechteſten Formen der
Verfallszeit anſchließt und ſie mehr und mehr, namentlich in den ſteifen,
ſchweren Gewändern, zu bewegungsloſer Starrheit zuſammenzieht. Noch
iſt von der neuen Seele, die ſich in dieſe Formen legen ſoll, nichts wahr-
zunehmen, als ein ganz ferner Anklang von Gemüth und Innigkeit, dann
eine Haltung feierlichen, großartigen, ſtreng objectiven Ernſtes, jener in
der freundlichen Neigung Chriſti zum verlorenen Lamm, den Agapen u. A.,
dieſer beſonders in den großen Tribunenbildern der Baſiliken. Vom ſechsten
Jahrhundert an, in der Zerrüttung Italiens, verwildert ſelbſt der ſchwache
Reſt claſſiſchen Formgefühls noch mehr und ſinkt endlich auf die Kinder-
ſtufe des Orients, die dicken Umriſſe mit greller Farben-Ausfüllung, ja
noch tiefer herab, da in den plumpen Figuren ſelbſt jedes Verſtändniß
der Form verſchwindet. Dem Stoffe nach beginnt dieſe altchriſtliche Kunſt
mit jenen Sinnbildern, die ſchon in §. 460, 2. erwähnt ſind; Chriſtus
ſelbſt, Scenen des A. u. N. Teſtaments treten nicht in der Abſicht eigentlicher,
ſondern paraboliſcher, vorbildlicher Bedeutung auf. Doch ſpäter und
vornämlich ſeit der öffentlichen Anerkennung des Chriſtenthums dringt
auch die eigentliche Darſtellung ein, es werden die Motive der Geſtal-
tenbildung, Handlung, Compoſition, welche in der Geſchichte Jeſu und
der älteſten Gemeinde liegen, benützt und angebaut: wir ſehen den Er-
löſer lehrend, heilend, ſeine Taufe, ſeinen Einzug in Jeruſalem, die Lie-
besmahle der erſten Chriſten; auch Maria tritt bereits als weſentliche
Geſtalt in den Kreis des chriſtlichen Ideals ein. Selbſt der Drang der
Malerei zum Individuellen und rein Geſchichtlichen dringt vereinzelt ſchon
zu Tage: in dem traditionell ſich feſtſtellenden porträtartigen Typus
Chriſti, der Apoſtel Petrus und Paulus, in einzelnen profangeſchichtlichen
und kirchlich ceremoniellen Darſtellungen, worin Perſonen in eigentlichem
Bildniß auftreten.

Der byzantiniſche Styl rettet die dürftigen Reſte des claſſiſchen
Formgefühls, die im oſtrömiſchen Reiche nie bis zu dem Grade verwil-
dert waren, wie im weſtrömiſchen. Es iſt eine Einpuppung auf lange
Zeit, denn er dauert und herrſcht vom ſiebenten Jahrhundert bis hinein in’s
dreizehnte; ein Winterſchlaf, eine Verſteinerung, welche vom Athem eines
neuen Lebens erſt wieder erweicht werden, die Einbalſamirung eines Leich-

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[702/0210] ſtenthum zur Staatsreligion erhoben iſt, ſteigt auch die Malerei an das Licht und ſchmückt Grab- und Tauf-Capellen, Baſiliken, auch Paläſte, namentlich mit Moſaiken. Im Style, welcher in Geſtalt, Gewand, Be- wegung, auch räumlicher Anordnung und Ornament die künſtleriſchen Formen der antiken Malerei in jenem Zuſtande des Verfalls zeigt, treten allerdings Unterſchiede hervor: neben dem ſchwungvolleren und lebendi- geren Zuge der von antikem Gefühle noch ſichtbarer geleiteten Hand ſieht man eine rohere, härtere Manier, die ſich an die ſchlechteſten Formen der Verfallszeit anſchließt und ſie mehr und mehr, namentlich in den ſteifen, ſchweren Gewändern, zu bewegungsloſer Starrheit zuſammenzieht. Noch iſt von der neuen Seele, die ſich in dieſe Formen legen ſoll, nichts wahr- zunehmen, als ein ganz ferner Anklang von Gemüth und Innigkeit, dann eine Haltung feierlichen, großartigen, ſtreng objectiven Ernſtes, jener in der freundlichen Neigung Chriſti zum verlorenen Lamm, den Agapen u. A., dieſer beſonders in den großen Tribunenbildern der Baſiliken. Vom ſechsten Jahrhundert an, in der Zerrüttung Italiens, verwildert ſelbſt der ſchwache Reſt claſſiſchen Formgefühls noch mehr und ſinkt endlich auf die Kinder- ſtufe des Orients, die dicken Umriſſe mit greller Farben-Ausfüllung, ja noch tiefer herab, da in den plumpen Figuren ſelbſt jedes Verſtändniß der Form verſchwindet. Dem Stoffe nach beginnt dieſe altchriſtliche Kunſt mit jenen Sinnbildern, die ſchon in §. 460, 2. erwähnt ſind; Chriſtus ſelbſt, Scenen des A. u. N. Teſtaments treten nicht in der Abſicht eigentlicher, ſondern paraboliſcher, vorbildlicher Bedeutung auf. Doch ſpäter und vornämlich ſeit der öffentlichen Anerkennung des Chriſtenthums dringt auch die eigentliche Darſtellung ein, es werden die Motive der Geſtal- tenbildung, Handlung, Compoſition, welche in der Geſchichte Jeſu und der älteſten Gemeinde liegen, benützt und angebaut: wir ſehen den Er- löſer lehrend, heilend, ſeine Taufe, ſeinen Einzug in Jeruſalem, die Lie- besmahle der erſten Chriſten; auch Maria tritt bereits als weſentliche Geſtalt in den Kreis des chriſtlichen Ideals ein. Selbſt der Drang der Malerei zum Individuellen und rein Geſchichtlichen dringt vereinzelt ſchon zu Tage: in dem traditionell ſich feſtſtellenden porträtartigen Typus Chriſti, der Apoſtel Petrus und Paulus, in einzelnen profangeſchichtlichen und kirchlich ceremoniellen Darſtellungen, worin Perſonen in eigentlichem Bildniß auftreten. Der byzantiniſche Styl rettet die dürftigen Reſte des claſſiſchen Formgefühls, die im oſtrömiſchen Reiche nie bis zu dem Grade verwil- dert waren, wie im weſtrömiſchen. Es iſt eine Einpuppung auf lange Zeit, denn er dauert und herrſcht vom ſiebenten Jahrhundert bis hinein in’s dreizehnte; ein Winterſchlaf, eine Verſteinerung, welche vom Athem eines neuen Lebens erſt wieder erweicht werden, die Einbalſamirung eines Leich-

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 702. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/210>, abgerufen am 28.03.2024.