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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.

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die veränderte, in Aufregung sentimental erzitternde und schwimmende Ge-
fühlsweise eines Volkes in sie hineinlegt, das doch den ethischen, Illusion-
zertrümmernden Bruch mit den Göttern der Romantik nicht zu vollziehen
vermag. An M. Angelo knüpft sich die prahlerische Manier der Kraft,
zugleich der kühneren Zeichnung, der Verkürzung; Correggio nimmt die
letztere Seite auch in sich auf. Die wachsende Sucht der Verkürzung ist
eigentlich ein Drang nach dem Malerischen, malerisch Bewegten, der in
Italien auf falsche Wege geräth. Statt der Ueberkraft wirft nun aber
Correggio in die unruhig umgestellten, aufgeworfenen Formen jene Auf-
regung des Gefühls, die auf der sublimsten Spitze geistiger Ueberschweng-
lichkeit fein und tief mit einer nervösen Wollust zusammentrifft; ein Faden,
nicht gemein, zart, durchsichtig, aber fühlbar führt von dem himmlischen
Jubel seiner selig lächelnden Gestalten hinüber zu seiner Leda, Jo, Danae,
Darstellungen, in denen der Kitzel und die äußersten Schauer der Lust
durch die vom antiken Mythus getragene reine Vollendung der Form im
Grunde zu einem wahreren Ganzen werden, als die christlichen Stoffe in
jener gereizten, übersinnlich sinnlichen Auffassung.

2. Das Neue, was zugleich Abschluß dieser italienischen Kunstblüthe
ist und zugleich auf den Norden und auf die moderne Zeit hinüberweist,
ist die besondere Ausbildung der Spitze und Summe des malerischen
Verfahrens: des Colorits. Was an sich das Letzte und Höchste ist, wird
auch zuletzt ausdrücklich zur Reife gebildet. Es ist die normale Natur
des italienischen Kunstgeistes, daß das ganze Wesen der Malerei nach
seinen Momenten sich hier organisch verläuft und abschließend hinaus-
mündet nach einer anderen Stätte und Nationalität. Die Florentiner
hatten Bedeutendes in der Farbe gethan, aber ihr Augenmerk war doch
mehr die Zeichnung, bei den Umbriern gehört die Wärme des Colorits
innerlich nothwendig zur ganzen Auffassung, doch führt sie mehr instinct-
mäßig der Antrieb des Inhalts, als daß sie mit künstlerischem Willen
und Bewußtsein dieß Element fortbildeten; auch genügte ihre Auffassung
selbst nicht, um Alles zu entwickeln, was in der Farbe liegt, denn es ist
ja nicht nur die Ausdruckstiefe, was zur Vollendung der Farbe führt und
umgekehrt durch sie zu Tage tritt, sondern das Prinzip der Gegenwär-
tigkeit überhaupt, der Welt als eines Ganzen, wie es in gesättigter Fülle
des Inhalts aus sich und in sich leuchtet; daher ist denn die umbrische
Farbe trotz ihrer Wärme doch gegenüber der feineren Aufgabe noch ein-
fach und undurchgearbeitet. Correggio nun schwimmt wohl im dritten
Himmel, aber das Lichtmeer von Entzückungen, in welchem hier jeder
Nerv vibrirt, ergießt sich in das Erdendunkel und zaubert Helle in
die äußersten Schatten, macht das scheinbar höchste Licht relativ selbst
wieder zum Dunkel, indem es von einem noch höheren Licht überstrahlt

die veränderte, in Aufregung ſentimental erzitternde und ſchwimmende Ge-
fühlsweiſe eines Volkes in ſie hineinlegt, das doch den ethiſchen, Illuſion-
zertrümmernden Bruch mit den Göttern der Romantik nicht zu vollziehen
vermag. An M. Angelo knüpft ſich die prahleriſche Manier der Kraft,
zugleich der kühneren Zeichnung, der Verkürzung; Correggio nimmt die
letztere Seite auch in ſich auf. Die wachſende Sucht der Verkürzung iſt
eigentlich ein Drang nach dem Maleriſchen, maleriſch Bewegten, der in
Italien auf falſche Wege geräth. Statt der Ueberkraft wirft nun aber
Correggio in die unruhig umgeſtellten, aufgeworfenen Formen jene Auf-
regung des Gefühls, die auf der ſublimſten Spitze geiſtiger Ueberſchweng-
lichkeit fein und tief mit einer nervöſen Wolluſt zuſammentrifft; ein Faden,
nicht gemein, zart, durchſichtig, aber fühlbar führt von dem himmliſchen
Jubel ſeiner ſelig lächelnden Geſtalten hinüber zu ſeiner Leda, Jo, Danae,
Darſtellungen, in denen der Kitzel und die äußerſten Schauer der Luſt
durch die vom antiken Mythus getragene reine Vollendung der Form im
Grunde zu einem wahreren Ganzen werden, als die chriſtlichen Stoffe in
jener gereizten, überſinnlich ſinnlichen Auffaſſung.

2. Das Neue, was zugleich Abſchluß dieſer italieniſchen Kunſtblüthe
iſt und zugleich auf den Norden und auf die moderne Zeit hinüberweist,
iſt die beſondere Ausbildung der Spitze und Summe des maleriſchen
Verfahrens: des Colorits. Was an ſich das Letzte und Höchſte iſt, wird
auch zuletzt ausdrücklich zur Reife gebildet. Es iſt die normale Natur
des italieniſchen Kunſtgeiſtes, daß das ganze Weſen der Malerei nach
ſeinen Momenten ſich hier organiſch verläuft und abſchließend hinaus-
mündet nach einer anderen Stätte und Nationalität. Die Florentiner
hatten Bedeutendes in der Farbe gethan, aber ihr Augenmerk war doch
mehr die Zeichnung, bei den Umbriern gehört die Wärme des Colorits
innerlich nothwendig zur ganzen Auffaſſung, doch führt ſie mehr inſtinct-
mäßig der Antrieb des Inhalts, als daß ſie mit künſtleriſchem Willen
und Bewußtſein dieß Element fortbildeten; auch genügte ihre Auffaſſung
ſelbſt nicht, um Alles zu entwickeln, was in der Farbe liegt, denn es iſt
ja nicht nur die Ausdruckstiefe, was zur Vollendung der Farbe führt und
umgekehrt durch ſie zu Tage tritt, ſondern das Prinzip der Gegenwär-
tigkeit überhaupt, der Welt als eines Ganzen, wie es in geſättigter Fülle
des Inhalts aus ſich und in ſich leuchtet; daher iſt denn die umbriſche
Farbe trotz ihrer Wärme doch gegenüber der feineren Aufgabe noch ein-
fach und undurchgearbeitet. Correggio nun ſchwimmt wohl im dritten
Himmel, aber das Lichtmeer von Entzückungen, in welchem hier jeder
Nerv vibrirt, ergießt ſich in das Erdendunkel und zaubert Helle in
die äußerſten Schatten, macht das ſcheinbar höchſte Licht relativ ſelbſt
wieder zum Dunkel, indem es von einem noch höheren Licht überſtrahlt

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[719/0227] die veränderte, in Aufregung ſentimental erzitternde und ſchwimmende Ge- fühlsweiſe eines Volkes in ſie hineinlegt, das doch den ethiſchen, Illuſion- zertrümmernden Bruch mit den Göttern der Romantik nicht zu vollziehen vermag. An M. Angelo knüpft ſich die prahleriſche Manier der Kraft, zugleich der kühneren Zeichnung, der Verkürzung; Correggio nimmt die letztere Seite auch in ſich auf. Die wachſende Sucht der Verkürzung iſt eigentlich ein Drang nach dem Maleriſchen, maleriſch Bewegten, der in Italien auf falſche Wege geräth. Statt der Ueberkraft wirft nun aber Correggio in die unruhig umgeſtellten, aufgeworfenen Formen jene Auf- regung des Gefühls, die auf der ſublimſten Spitze geiſtiger Ueberſchweng- lichkeit fein und tief mit einer nervöſen Wolluſt zuſammentrifft; ein Faden, nicht gemein, zart, durchſichtig, aber fühlbar führt von dem himmliſchen Jubel ſeiner ſelig lächelnden Geſtalten hinüber zu ſeiner Leda, Jo, Danae, Darſtellungen, in denen der Kitzel und die äußerſten Schauer der Luſt durch die vom antiken Mythus getragene reine Vollendung der Form im Grunde zu einem wahreren Ganzen werden, als die chriſtlichen Stoffe in jener gereizten, überſinnlich ſinnlichen Auffaſſung. 2. Das Neue, was zugleich Abſchluß dieſer italieniſchen Kunſtblüthe iſt und zugleich auf den Norden und auf die moderne Zeit hinüberweist, iſt die beſondere Ausbildung der Spitze und Summe des maleriſchen Verfahrens: des Colorits. Was an ſich das Letzte und Höchſte iſt, wird auch zuletzt ausdrücklich zur Reife gebildet. Es iſt die normale Natur des italieniſchen Kunſtgeiſtes, daß das ganze Weſen der Malerei nach ſeinen Momenten ſich hier organiſch verläuft und abſchließend hinaus- mündet nach einer anderen Stätte und Nationalität. Die Florentiner hatten Bedeutendes in der Farbe gethan, aber ihr Augenmerk war doch mehr die Zeichnung, bei den Umbriern gehört die Wärme des Colorits innerlich nothwendig zur ganzen Auffaſſung, doch führt ſie mehr inſtinct- mäßig der Antrieb des Inhalts, als daß ſie mit künſtleriſchem Willen und Bewußtſein dieß Element fortbildeten; auch genügte ihre Auffaſſung ſelbſt nicht, um Alles zu entwickeln, was in der Farbe liegt, denn es iſt ja nicht nur die Ausdruckstiefe, was zur Vollendung der Farbe führt und umgekehrt durch ſie zu Tage tritt, ſondern das Prinzip der Gegenwär- tigkeit überhaupt, der Welt als eines Ganzen, wie es in geſättigter Fülle des Inhalts aus ſich und in ſich leuchtet; daher iſt denn die umbriſche Farbe trotz ihrer Wärme doch gegenüber der feineren Aufgabe noch ein- fach und undurchgearbeitet. Correggio nun ſchwimmt wohl im dritten Himmel, aber das Lichtmeer von Entzückungen, in welchem hier jeder Nerv vibrirt, ergießt ſich in das Erdendunkel und zaubert Helle in die äußerſten Schatten, macht das ſcheinbar höchſte Licht relativ ſelbſt wieder zum Dunkel, indem es von einem noch höheren Licht überſtrahlt

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 719. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/227>, abgerufen am 29.03.2024.