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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.

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auszuführen und in Wandgemälden etwa gar an großen nach außen ge-
wendeten Flächen eines Gebäudes zum Anspruche des Oeffentlichen und
Monumentalen hinaufzuschrauben ist unnatürlich. Es mag allerdings auch
Genrebilder geben, welche eine besonders glückliche und schwungvolle
Natur mit einer gewissen Größe des Styls behandeln, die sich dann zu
Fresken und zu großem Maaßstab in Staffeleibildern sowie zur Aufstellung
in bedeutenderen Räumen eignen (z. B. Carl Müller's Carnevalsbilder in
Stuttgart); im Uebrigen ist das Genre eine Darstellung der kleineren
Seite des Lebens und es bleibt daher in Ganzen und Großen bei dem
Gesagten; die locale Bestimmung ist die engere häusliche. Das Porträt
wird bald ebendieselbe, bald eine öffentliche Bestimmung haben und dieß
begründet natürlich ebenfalls verschiedenen Maaßstab. Bei der Landschaft
kommt es auf Stoff und Auffassung an: große und heroisch aufgefaßte
Natur eignet sich für Fresken und fordert bedeutenden Maaßstab auch im
Staffelleibilde; der gemüthlich belauschte Moment einer bescheidenen, einer
mehr physiognomisch aufgefaßten Natur wird diese Ansprüche nicht machen;
man will das in der Nähe sehen, sich als Einzelner einsam darein ver-
tiefen. Dagegen wird nun bei den großen, mythischen, heroischen, ge-
schichtlichen Stoffen das Auge jene allgemeine Forderung einer sattsamen
Bahn, geleitet von derselben Symbolik wie dort bei den kleineren Stoffen,
mit besonderem Nachdruck geltend machen; zugleich liegt es in der Natur
dieser Stoffe selbst, da der große Gegenstand dem Allgemeinen angehört,
daß das Bild einen öffentlichen Charakter hat, also von Vielen gesehen
sein will. Beide Momente fallen zusammen und begründen die Bestim-
mung, daß das Großartige auch groß sein soll. Dieß führt uns nun
aber auf das dem allzu Kleinen entgegengesetzte Extrem: die Größe kann in
der Malerei nie so in's Colossale gehen, wie in der Sculptur; bei
einem gewissen Grade derselben muß der Klarheit der Sinneswahr-
nehmung Abbruch geschehen, weil im Gemälde die Gestalt nicht
mit dem scharfen Umrisse des wirklichen Körpers sich von einer wirkli-
chen äußeren Umgebung abhebt, sondern eine mitdargestellte scheinbare
Umgebung die ersteren mehr oder minder abschwächt, daher jene Deut-
lichkeit der äußersten Grenzen wegfällt, welche dem Auge möglich macht,
auch ein sehr Ausgedehntes noch als ein geschlossenes Ganzes aufzufassen.
Es hat aber eine Colossalität, welche das natürliche Maaß sehr bedeutend
überschreitet, in der Malerei überhaupt keinen Sinn. Es handelt sich
nämlich hier doch im Wesentlichen nur von der menschlichen Gestalt; wird
nun diese sehr colossal dargestellt, so muß ja Haus, Wand, Baum u. s. w.
ebenso colossal gegeben werden und doch geht einer solchen Vergrößerung
des Umgebenden aller Zweck ab, da bei diesem nicht so wie bei jener die
Rede davon sein kann, eine geistige Größe symbolisch in einer äußern

auszuführen und in Wandgemälden etwa gar an großen nach außen ge-
wendeten Flächen eines Gebäudes zum Anſpruche des Oeffentlichen und
Monumentalen hinaufzuſchrauben iſt unnatürlich. Es mag allerdings auch
Genrebilder geben, welche eine beſonders glückliche und ſchwungvolle
Natur mit einer gewiſſen Größe des Styls behandeln, die ſich dann zu
Fresken und zu großem Maaßſtab in Staffeleibildern ſowie zur Aufſtellung
in bedeutenderen Räumen eignen (z. B. Carl Müller’s Carnevalsbilder in
Stuttgart); im Uebrigen iſt das Genre eine Darſtellung der kleineren
Seite des Lebens und es bleibt daher in Ganzen und Großen bei dem
Geſagten; die locale Beſtimmung iſt die engere häusliche. Das Porträt
wird bald ebendieſelbe, bald eine öffentliche Beſtimmung haben und dieß
begründet natürlich ebenfalls verſchiedenen Maaßſtab. Bei der Landſchaft
kommt es auf Stoff und Auffaſſung an: große und heroiſch aufgefaßte
Natur eignet ſich für Fresken und fordert bedeutenden Maaßſtab auch im
Staffelleibilde; der gemüthlich belauſchte Moment einer beſcheidenen, einer
mehr phyſiognomiſch aufgefaßten Natur wird dieſe Anſprüche nicht machen;
man will das in der Nähe ſehen, ſich als Einzelner einſam darein ver-
tiefen. Dagegen wird nun bei den großen, mythiſchen, heroiſchen, ge-
ſchichtlichen Stoffen das Auge jene allgemeine Forderung einer ſattſamen
Bahn, geleitet von derſelben Symbolik wie dort bei den kleineren Stoffen,
mit beſonderem Nachdruck geltend machen; zugleich liegt es in der Natur
dieſer Stoffe ſelbſt, da der große Gegenſtand dem Allgemeinen angehört,
daß das Bild einen öffentlichen Charakter hat, alſo von Vielen geſehen
ſein will. Beide Momente fallen zuſammen und begründen die Beſtim-
mung, daß das Großartige auch groß ſein ſoll. Dieß führt uns nun
aber auf das dem allzu Kleinen entgegengeſetzte Extrem: die Größe kann in
der Malerei nie ſo in’s Coloſſale gehen, wie in der Sculptur; bei
einem gewiſſen Grade derſelben muß der Klarheit der Sinneswahr-
nehmung Abbruch geſchehen, weil im Gemälde die Geſtalt nicht
mit dem ſcharfen Umriſſe des wirklichen Körpers ſich von einer wirkli-
chen äußeren Umgebung abhebt, ſondern eine mitdargeſtellte ſcheinbare
Umgebung die erſteren mehr oder minder abſchwächt, daher jene Deut-
lichkeit der äußerſten Grenzen wegfällt, welche dem Auge möglich macht,
auch ein ſehr Ausgedehntes noch als ein geſchloſſenes Ganzes aufzufaſſen.
Es hat aber eine Coloſſalität, welche das natürliche Maaß ſehr bedeutend
überſchreitet, in der Malerei überhaupt keinen Sinn. Es handelt ſich
nämlich hier doch im Weſentlichen nur von der menſchlichen Geſtalt; wird
nun dieſe ſehr coloſſal dargeſtellt, ſo muß ja Haus, Wand, Baum u. ſ. w.
ebenſo coloſſal gegeben werden und doch geht einer ſolchen Vergrößerung
des Umgebenden aller Zweck ab, da bei dieſem nicht ſo wie bei jener die
Rede davon ſein kann, eine geiſtige Größe ſymboliſch in einer äußern

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[545/0053] auszuführen und in Wandgemälden etwa gar an großen nach außen ge- wendeten Flächen eines Gebäudes zum Anſpruche des Oeffentlichen und Monumentalen hinaufzuſchrauben iſt unnatürlich. Es mag allerdings auch Genrebilder geben, welche eine beſonders glückliche und ſchwungvolle Natur mit einer gewiſſen Größe des Styls behandeln, die ſich dann zu Fresken und zu großem Maaßſtab in Staffeleibildern ſowie zur Aufſtellung in bedeutenderen Räumen eignen (z. B. Carl Müller’s Carnevalsbilder in Stuttgart); im Uebrigen iſt das Genre eine Darſtellung der kleineren Seite des Lebens und es bleibt daher in Ganzen und Großen bei dem Geſagten; die locale Beſtimmung iſt die engere häusliche. Das Porträt wird bald ebendieſelbe, bald eine öffentliche Beſtimmung haben und dieß begründet natürlich ebenfalls verſchiedenen Maaßſtab. Bei der Landſchaft kommt es auf Stoff und Auffaſſung an: große und heroiſch aufgefaßte Natur eignet ſich für Fresken und fordert bedeutenden Maaßſtab auch im Staffelleibilde; der gemüthlich belauſchte Moment einer beſcheidenen, einer mehr phyſiognomiſch aufgefaßten Natur wird dieſe Anſprüche nicht machen; man will das in der Nähe ſehen, ſich als Einzelner einſam darein ver- tiefen. Dagegen wird nun bei den großen, mythiſchen, heroiſchen, ge- ſchichtlichen Stoffen das Auge jene allgemeine Forderung einer ſattſamen Bahn, geleitet von derſelben Symbolik wie dort bei den kleineren Stoffen, mit beſonderem Nachdruck geltend machen; zugleich liegt es in der Natur dieſer Stoffe ſelbſt, da der große Gegenſtand dem Allgemeinen angehört, daß das Bild einen öffentlichen Charakter hat, alſo von Vielen geſehen ſein will. Beide Momente fallen zuſammen und begründen die Beſtim- mung, daß das Großartige auch groß ſein ſoll. Dieß führt uns nun aber auf das dem allzu Kleinen entgegengeſetzte Extrem: die Größe kann in der Malerei nie ſo in’s Coloſſale gehen, wie in der Sculptur; bei einem gewiſſen Grade derſelben muß der Klarheit der Sinneswahr- nehmung Abbruch geſchehen, weil im Gemälde die Geſtalt nicht mit dem ſcharfen Umriſſe des wirklichen Körpers ſich von einer wirkli- chen äußeren Umgebung abhebt, ſondern eine mitdargeſtellte ſcheinbare Umgebung die erſteren mehr oder minder abſchwächt, daher jene Deut- lichkeit der äußerſten Grenzen wegfällt, welche dem Auge möglich macht, auch ein ſehr Ausgedehntes noch als ein geſchloſſenes Ganzes aufzufaſſen. Es hat aber eine Coloſſalität, welche das natürliche Maaß ſehr bedeutend überſchreitet, in der Malerei überhaupt keinen Sinn. Es handelt ſich nämlich hier doch im Weſentlichen nur von der menſchlichen Geſtalt; wird nun dieſe ſehr coloſſal dargeſtellt, ſo muß ja Haus, Wand, Baum u. ſ. w. ebenſo coloſſal gegeben werden und doch geht einer ſolchen Vergrößerung des Umgebenden aller Zweck ab, da bei dieſem nicht ſo wie bei jener die Rede davon ſein kann, eine geiſtige Größe ſymboliſch in einer äußern

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 545. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/53>, abgerufen am 19.04.2024.