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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

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seiner Seele folgte, war freilich aus dem Blicke nicht
zu lesen. Der unbescheidene junge Mensch schien es
auf den Schweigenden gemünzt zu haben und ließ ein¬
mal ziemlich hörbar etwas von catonischer Würde fallen,
als derselbe einem erneuerten Versuch, ihn in's Ge¬
spräch zu ziehen, mit der gewohnten Stummheit be¬
gegnete und ihm etwas auffallend den Rücken kehrte.
In Immensee stieg ich in den Postomnibus, der da¬
mals nach Küßnacht führte, ein Theil der Dampfboot¬
gesellschaft fand sich hier wieder zusammen, darunter
der Geschwätzige, der dem Stummen gegenüber zu sitzen
kam. Als wir durch die hohle Gasse fuhren, ließ er
einige frivole Witze los, deren Wiederholung dem Leser
billig erlassen wird, machte sich hierauf an die Tell¬
tradition, spielte sich als historischen Kritiker auf, in¬
dem er einige unverdaute Brocken von "bloßer Sage"
vorbrachte, erklärte die Sage für eine pure Erfindung
der schweizerischen Selbstgefälligkeit, kam von da auf
die nächste politische Vergangenheit zu sprechen, spottete
über die kriegerischen Rüstungen, die im Jahr 1856
die preußische Drohung hervorrief, und ergoß sich nun
in einen Schwall von höhnischen und prahlerischen
Reden, der mir solchen Widerwillen erregte, daß ich
im Begriff war, den Schwätzer mit heftigem Wort
anzulassen. Dieser aber wandte sich plötzlich an den
stillen Mann gegenüber und fragte ihn frech: "Nun,
was sagen Sie dazu?" Ueber dessen Gesicht war schon

ſeiner Seele folgte, war freilich aus dem Blicke nicht
zu leſen. Der unbeſcheidene junge Menſch ſchien es
auf den Schweigenden gemünzt zu haben und ließ ein¬
mal ziemlich hörbar etwas von catoniſcher Würde fallen,
als derſelbe einem erneuerten Verſuch, ihn in's Ge¬
ſpräch zu ziehen, mit der gewohnten Stummheit be¬
gegnete und ihm etwas auffallend den Rücken kehrte.
In Immenſee ſtieg ich in den Poſtomnibus, der da¬
mals nach Küßnacht führte, ein Theil der Dampfboot¬
geſellſchaft fand ſich hier wieder zuſammen, darunter
der Geſchwätzige, der dem Stummen gegenüber zu ſitzen
kam. Als wir durch die hohle Gaſſe fuhren, ließ er
einige frivole Witze los, deren Wiederholung dem Leſer
billig erlaſſen wird, machte ſich hierauf an die Tell¬
tradition, ſpielte ſich als hiſtoriſchen Kritiker auf, in¬
dem er einige unverdaute Brocken von „bloßer Sage“
vorbrachte, erklärte die Sage für eine pure Erfindung
der ſchweizeriſchen Selbſtgefälligkeit, kam von da auf
die nächſte politiſche Vergangenheit zu ſprechen, ſpottete
über die kriegeriſchen Rüſtungen, die im Jahr 1856
die preußiſche Drohung hervorrief, und ergoß ſich nun
in einen Schwall von höhniſchen und prahleriſchen
Reden, der mir ſolchen Widerwillen erregte, daß ich
im Begriff war, den Schwätzer mit heftigem Wort
anzulaſſen. Dieſer aber wandte ſich plötzlich an den
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[3/0016] ſeiner Seele folgte, war freilich aus dem Blicke nicht zu leſen. Der unbeſcheidene junge Menſch ſchien es auf den Schweigenden gemünzt zu haben und ließ ein¬ mal ziemlich hörbar etwas von catoniſcher Würde fallen, als derſelbe einem erneuerten Verſuch, ihn in's Ge¬ ſpräch zu ziehen, mit der gewohnten Stummheit be¬ gegnete und ihm etwas auffallend den Rücken kehrte. In Immenſee ſtieg ich in den Poſtomnibus, der da¬ mals nach Küßnacht führte, ein Theil der Dampfboot¬ geſellſchaft fand ſich hier wieder zuſammen, darunter der Geſchwätzige, der dem Stummen gegenüber zu ſitzen kam. Als wir durch die hohle Gaſſe fuhren, ließ er einige frivole Witze los, deren Wiederholung dem Leſer billig erlaſſen wird, machte ſich hierauf an die Tell¬ tradition, ſpielte ſich als hiſtoriſchen Kritiker auf, in¬ dem er einige unverdaute Brocken von „bloßer Sage“ vorbrachte, erklärte die Sage für eine pure Erfindung der ſchweizeriſchen Selbſtgefälligkeit, kam von da auf die nächſte politiſche Vergangenheit zu ſprechen, ſpottete über die kriegeriſchen Rüſtungen, die im Jahr 1856 die preußiſche Drohung hervorrief, und ergoß ſich nun in einen Schwall von höhniſchen und prahleriſchen Reden, der mir ſolchen Widerwillen erregte, daß ich im Begriff war, den Schwätzer mit heftigem Wort anzulaſſen. Dieſer aber wandte ſich plötzlich an den ſtillen Mann gegenüber und fragte ihn frech: „Nun, was ſagen Sie dazu?“ Ueber deſſen Geſicht war ſchon

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/16>, abgerufen am 20.04.2024.