Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

eine Zornröthe gefahren, die Augen funkelten, er erhob
sich und mit mächtiger Stimme rief er: "Was ich dazu
sage? Daß Sie nicht unter gebildete Menschen ge¬
hören, daß es gemein ist und Ekel erregt, ein ehr¬
würdiges Heldenbild, woran seit Jahrhunderten ein
braves Volk hinaufschaut, mit Schmutz zu bespritzen;
die verkehrte Politik eines an Macht überlegenen Staates
um ein Nichts" -- hier, mitten im Zug, Schwung und
kräftigen Schall seiner Rede überfiel ihn plötzlich ein
krampfhafter Hustenreiz, die Stimme überschlug sich in
lächerliche Fisteltöne, knirschend vor Aerger fuhr er in
die Höhe, rieß den Wagenschlag auf, sprang hinaus,
blieb am Tritt hängen und fiel zu Boden in den
dichten Staub des Weges. Die langsame Bewegung
des Wagens aus einer Steigung des Wegs ließ
unserem Geschäftsreisenden Zeit, den Kopf aus dem
Fenster zu strecken und dem so peinlich unterbroche¬
nen Gegner ein schallendes Hohngelächter nachzu¬
senden, die Mitfahrenden, obwohl sichtbar theil¬
nahmvoll für Letzteren gestimmt, konnten des Lachens
sich doch auch nicht ganz erwehren, und ich selbst, im
Stillen schnell sein Freund geworden, betroffen und
stutzend und für ihn beschämt, konnte ein Zucken der
Lachmuskel nicht unterdrücken. Der Gefallene aber
hatte sich schnell aufgerafft, über und über mit Staub
bedeckt stand er und rief uns mit vernehmlicher Stimme
nach: "Amplificatio, Ignoranten, amplificatio!" --

eine Zornröthe gefahren, die Augen funkelten, er erhob
ſich und mit mächtiger Stimme rief er: „Was ich dazu
ſage? Daß Sie nicht unter gebildete Menſchen ge¬
hören, daß es gemein iſt und Ekel erregt, ein ehr¬
würdiges Heldenbild, woran ſeit Jahrhunderten ein
braves Volk hinaufſchaut, mit Schmutz zu beſpritzen;
die verkehrte Politik eines an Macht überlegenen Staates
um ein Nichts“ — hier, mitten im Zug, Schwung und
kräftigen Schall ſeiner Rede überfiel ihn plötzlich ein
krampfhafter Huſtenreiz, die Stimme überſchlug ſich in
lächerliche Fiſteltöne, knirſchend vor Aerger fuhr er in
die Höhe, rieß den Wagenſchlag auf, ſprang hinaus,
blieb am Tritt hängen und fiel zu Boden in den
dichten Staub des Weges. Die langſame Bewegung
des Wagens aus einer Steigung des Wegs ließ
unſerem Geſchäftsreiſenden Zeit, den Kopf aus dem
Fenſter zu ſtrecken und dem ſo peinlich unterbroche¬
nen Gegner ein ſchallendes Hohngelächter nachzu¬
ſenden, die Mitfahrenden, obwohl ſichtbar theil¬
nahmvoll für Letzteren geſtimmt, konnten des Lachens
ſich doch auch nicht ganz erwehren, und ich ſelbſt, im
Stillen ſchnell ſein Freund geworden, betroffen und
ſtutzend und für ihn beſchämt, konnte ein Zucken der
Lachmuskel nicht unterdrücken. Der Gefallene aber
hatte ſich ſchnell aufgerafft, über und über mit Staub
bedeckt ſtand er und rief uns mit vernehmlicher Stimme
nach: „Amplificatio, Ignoranten, amplificatio!“ —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0017" n="4"/>
eine Zornröthe gefahren, die Augen funkelten, er erhob<lb/>
&#x017F;ich und mit mächtiger Stimme rief er: &#x201E;Was ich dazu<lb/>
&#x017F;age? Daß Sie nicht unter gebildete Men&#x017F;chen ge¬<lb/>
hören, daß es gemein i&#x017F;t und Ekel erregt, ein ehr¬<lb/>
würdiges Heldenbild, woran &#x017F;eit Jahrhunderten ein<lb/>
braves Volk hinauf&#x017F;chaut, mit Schmutz zu be&#x017F;pritzen;<lb/>
die verkehrte Politik eines an Macht überlegenen Staates<lb/>
um ein Nichts&#x201C; &#x2014; hier, mitten im Zug, Schwung und<lb/>
kräftigen Schall &#x017F;einer Rede überfiel ihn plötzlich ein<lb/>
krampfhafter Hu&#x017F;tenreiz, die Stimme über&#x017F;chlug &#x017F;ich in<lb/>
lächerliche Fi&#x017F;teltöne, knir&#x017F;chend vor Aerger fuhr er in<lb/>
die Höhe, rieß den Wagen&#x017F;chlag auf, &#x017F;prang hinaus,<lb/>
blieb am Tritt hängen und fiel zu Boden in den<lb/>
dichten Staub des Weges. Die lang&#x017F;ame Bewegung<lb/>
des Wagens aus einer Steigung des Wegs ließ<lb/>
un&#x017F;erem Ge&#x017F;chäftsrei&#x017F;enden Zeit, den Kopf aus dem<lb/>
Fen&#x017F;ter zu &#x017F;trecken und dem &#x017F;o peinlich unterbroche¬<lb/>
nen Gegner ein &#x017F;challendes Hohngelächter nachzu¬<lb/>
&#x017F;enden, die Mitfahrenden, obwohl &#x017F;ichtbar theil¬<lb/>
nahmvoll für Letzteren ge&#x017F;timmt, konnten des Lachens<lb/>
&#x017F;ich doch auch nicht ganz erwehren, und ich &#x017F;elb&#x017F;t, im<lb/>
Stillen &#x017F;chnell &#x017F;ein Freund geworden, betroffen und<lb/>
&#x017F;tutzend und für ihn be&#x017F;chämt, konnte ein Zucken der<lb/>
Lachmuskel nicht unterdrücken. Der Gefallene aber<lb/>
hatte &#x017F;ich &#x017F;chnell aufgerafft, über und über mit Staub<lb/>
bedeckt &#x017F;tand er und rief uns mit vernehmlicher Stimme<lb/>
nach: &#x201E;<hi rendition="#aq">Amplificatio</hi>, Ignoranten, <hi rendition="#aq">amplificatio</hi>!&#x201C; &#x2014;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[4/0017] eine Zornröthe gefahren, die Augen funkelten, er erhob ſich und mit mächtiger Stimme rief er: „Was ich dazu ſage? Daß Sie nicht unter gebildete Menſchen ge¬ hören, daß es gemein iſt und Ekel erregt, ein ehr¬ würdiges Heldenbild, woran ſeit Jahrhunderten ein braves Volk hinaufſchaut, mit Schmutz zu beſpritzen; die verkehrte Politik eines an Macht überlegenen Staates um ein Nichts“ — hier, mitten im Zug, Schwung und kräftigen Schall ſeiner Rede überfiel ihn plötzlich ein krampfhafter Huſtenreiz, die Stimme überſchlug ſich in lächerliche Fiſteltöne, knirſchend vor Aerger fuhr er in die Höhe, rieß den Wagenſchlag auf, ſprang hinaus, blieb am Tritt hängen und fiel zu Boden in den dichten Staub des Weges. Die langſame Bewegung des Wagens aus einer Steigung des Wegs ließ unſerem Geſchäftsreiſenden Zeit, den Kopf aus dem Fenſter zu ſtrecken und dem ſo peinlich unterbroche¬ nen Gegner ein ſchallendes Hohngelächter nachzu¬ ſenden, die Mitfahrenden, obwohl ſichtbar theil¬ nahmvoll für Letzteren geſtimmt, konnten des Lachens ſich doch auch nicht ganz erwehren, und ich ſelbſt, im Stillen ſchnell ſein Freund geworden, betroffen und ſtutzend und für ihn beſchämt, konnte ein Zucken der Lachmuskel nicht unterdrücken. Der Gefallene aber hatte ſich ſchnell aufgerafft, über und über mit Staub bedeckt ſtand er und rief uns mit vernehmlicher Stimme nach: „Amplificatio, Ignoranten, amplificatio!“ —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/17
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/17>, abgerufen am 24.04.2024.