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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

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tentheils in Hemdärmeln; er lauschte mit glänzenden
Augen den rauhen Rachentönen des lauten Gesprächs
und den wiehernden Jodlern, die es unterbrachen, und
das Durcheinander der Stimmen schien ihn dießmal
durchaus nicht zu belästigen. Das Bild erschien mir
so heiter naiv, daß ich fast bedauerte, nicht dasselbe
Theil erwählt zu haben, denn ich war langweilig ge¬
nug unter einigen steifen Theegesichtern in der "salle
a manger
" gesessen, wozu ich das früher einfache
Landwirthshaus emporgeschraubt finden mußte.

Ich konnte lang nicht einschlafen, hörte meinen
Wandnachbar in sein Zimmer treten, sich auskleiden
und zu Bett legen. Das Haus war so hörsam, daß
selbst das Nagen einer Maus im Nebenzimmer meinem
Ohre nicht entgieng. Den unbekannten Bewohner des¬
selben hielt ich für längst eingeschlafen, als ich die
Worte vernahm: "Ach, es fängt an." Es war die
Stimme meines armen Verkälteten. Was denn auch
wirklich anfieng, war ein scharfes Husten und häufiges
starkes Räuspern und Spucken, das, von tiefen Seufzern
unterbrochen, zu meiner eigenen Qual wohl eine Stunde
dauerte, dann aber einem fürchterlichen Schnarchen
Platz machte, das im ganzen Register einer Orgel sich
hin und her bewegte, oft von stoßenden, plötzlich ab¬
schnappenden Tönen und bangen Pausen unterbrochen,
worin der musikalische Schläfer nach Athem zu ringen
schien. Ich hätte ernstlich für seine Lunge gefürchtet,

tentheils in Hemdärmeln; er lauſchte mit glänzenden
Augen den rauhen Rachentönen des lauten Geſprächs
und den wiehernden Jodlern, die es unterbrachen, und
das Durcheinander der Stimmen ſchien ihn dießmal
durchaus nicht zu beläſtigen. Das Bild erſchien mir
ſo heiter naiv, daß ich faſt bedauerte, nicht daſſelbe
Theil erwählt zu haben, denn ich war langweilig ge¬
nug unter einigen ſteifen Theegeſichtern in der „salle
à manger
“ geſeſſen, wozu ich das früher einfache
Landwirthshaus emporgeſchraubt finden mußte.

Ich konnte lang nicht einſchlafen, hörte meinen
Wandnachbar in ſein Zimmer treten, ſich auskleiden
und zu Bett legen. Das Haus war ſo hörſam, daß
ſelbſt das Nagen einer Maus im Nebenzimmer meinem
Ohre nicht entgieng. Den unbekannten Bewohner des¬
ſelben hielt ich für längſt eingeſchlafen, als ich die
Worte vernahm: „Ach, es fängt an.“ Es war die
Stimme meines armen Verkälteten. Was denn auch
wirklich anfieng, war ein ſcharfes Huſten und häufiges
ſtarkes Räuſpern und Spucken, das, von tiefen Seufzern
unterbrochen, zu meiner eigenen Qual wohl eine Stunde
dauerte, dann aber einem fürchterlichen Schnarchen
Platz machte, das im ganzen Regiſter einer Orgel ſich
hin und her bewegte, oft von ſtoßenden, plötzlich ab¬
ſchnappenden Tönen und bangen Pauſen unterbrochen,
worin der muſikaliſche Schläfer nach Athem zu ringen
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[15/0028] tentheils in Hemdärmeln; er lauſchte mit glänzenden Augen den rauhen Rachentönen des lauten Geſprächs und den wiehernden Jodlern, die es unterbrachen, und das Durcheinander der Stimmen ſchien ihn dießmal durchaus nicht zu beläſtigen. Das Bild erſchien mir ſo heiter naiv, daß ich faſt bedauerte, nicht daſſelbe Theil erwählt zu haben, denn ich war langweilig ge¬ nug unter einigen ſteifen Theegeſichtern in der „salle à manger“ geſeſſen, wozu ich das früher einfache Landwirthshaus emporgeſchraubt finden mußte. Ich konnte lang nicht einſchlafen, hörte meinen Wandnachbar in ſein Zimmer treten, ſich auskleiden und zu Bett legen. Das Haus war ſo hörſam, daß ſelbſt das Nagen einer Maus im Nebenzimmer meinem Ohre nicht entgieng. Den unbekannten Bewohner des¬ ſelben hielt ich für längſt eingeſchlafen, als ich die Worte vernahm: „Ach, es fängt an.“ Es war die Stimme meines armen Verkälteten. Was denn auch wirklich anfieng, war ein ſcharfes Huſten und häufiges ſtarkes Räuſpern und Spucken, das, von tiefen Seufzern unterbrochen, zu meiner eigenen Qual wohl eine Stunde dauerte, dann aber einem fürchterlichen Schnarchen Platz machte, das im ganzen Regiſter einer Orgel ſich hin und her bewegte, oft von ſtoßenden, plötzlich ab¬ ſchnappenden Tönen und bangen Pauſen unterbrochen, worin der muſikaliſche Schläfer nach Athem zu ringen ſchien. Ich hätte ernſtlich für ſeine Lunge gefürchtet,

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/28>, abgerufen am 25.04.2024.