Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Morgen dem Ziele sich näherte. Ich enthielt mich,
Mitreisende mit Erkundigungen anzugehen; ungeschmä¬
lert von halbem Vorwissen wollte ich die Wohlthat
genießen, nun den Mann in seiner Heimath, seinen
Lebensbedingungen erst ganz kennen zu lernen. Gleich
nach der Ankunft eilte ich in einen Gasthof und fragte
schon unter der Thüre nach der Wohnung des räthsel¬
haften Freundes. "Sie treffen ihn nicht mehr am
Leben," sagte mit schmerzlicher Miene der Wirth. Ich
zuckte zusammen. "Ein blutiger Tod," setzte er hin¬
zu; "Tod durch einen Messerstich im Streite mit
einem rohen Fuhrmann." -- "Hat er Familie hinter¬
lassen?" -- "Er war Junggeselle, eine Verwandte
hielt ihm Haus, Frau Hedwig, eine Wittwe." -- "Ist
sie noch da?" -- "Sie verbleibt im Hause." -- Ich
ließ mir Straße und Hausnummer angeben, wies
Begleitung ab und fand mich bald zurecht.

Ich sah an der Nummernzahl, daß ich der Woh¬
nung nahe sein müsse, als mir hart an der Nase ein
Trinkglas vorüberflog und auf dem Pflaster klirrend
zerschellte. Mir war, als streifte mich der Geist des
Verstorbenen. -- Das Haus war gefunden und wurde
auf mein Läuten geöffnet; im Flur stürzten zwei
Hunde die Treppe herab auf mich zu, laut bellend,
doch nicht in feindlichem Tone, es war der halbwim¬
mernde Ruf, welchen dieß Hausthier in der Aufregung
der Freude hören läßt. Plötzlich blieben sie vor mir

Morgen dem Ziele ſich näherte. Ich enthielt mich,
Mitreiſende mit Erkundigungen anzugehen; ungeſchmä¬
lert von halbem Vorwiſſen wollte ich die Wohlthat
genießen, nun den Mann in ſeiner Heimath, ſeinen
Lebensbedingungen erſt ganz kennen zu lernen. Gleich
nach der Ankunft eilte ich in einen Gaſthof und fragte
ſchon unter der Thüre nach der Wohnung des räthſel¬
haften Freundes. „Sie treffen ihn nicht mehr am
Leben,“ ſagte mit ſchmerzlicher Miene der Wirth. Ich
zuckte zuſammen. „Ein blutiger Tod,“ ſetzte er hin¬
zu; „Tod durch einen Meſſerſtich im Streite mit
einem rohen Fuhrmann.“ — „Hat er Familie hinter¬
laſſen?“ — „Er war Junggeſelle, eine Verwandte
hielt ihm Haus, Frau Hedwig, eine Wittwe.“ — „Iſt
ſie noch da?“ — „Sie verbleibt im Hauſe.“ — Ich
ließ mir Straße und Hausnummer angeben, wies
Begleitung ab und fand mich bald zurecht.

Ich ſah an der Nummernzahl, daß ich der Woh¬
nung nahe ſein müſſe, als mir hart an der Naſe ein
Trinkglas vorüberflog und auf dem Pflaſter klirrend
zerſchellte. Mir war, als ſtreifte mich der Geiſt des
Verſtorbenen. — Das Haus war gefunden und wurde
auf mein Läuten geöffnet; im Flur ſtürzten zwei
Hunde die Treppe herab auf mich zu, laut bellend,
doch nicht in feindlichem Tone, es war der halbwim¬
mernde Ruf, welchen dieß Hausthier in der Aufregung
der Freude hören läßt. Plötzlich blieben ſie vor mir

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0023" n="10"/>
Morgen dem Ziele &#x017F;ich näherte. Ich enthielt mich,<lb/>
Mitrei&#x017F;ende mit Erkundigungen anzugehen; unge&#x017F;chmä¬<lb/>
lert von halbem Vorwi&#x017F;&#x017F;en wollte ich die Wohlthat<lb/>
genießen, nun den Mann in &#x017F;einer Heimath, &#x017F;einen<lb/>
Lebensbedingungen er&#x017F;t ganz kennen zu lernen. Gleich<lb/>
nach der Ankunft eilte ich in einen Ga&#x017F;thof und fragte<lb/>
&#x017F;chon unter der Thüre nach der Wohnung des räth&#x017F;el¬<lb/>
haften Freundes. &#x201E;Sie treffen ihn nicht mehr am<lb/>
Leben,&#x201C; &#x017F;agte mit &#x017F;chmerzlicher Miene der Wirth. Ich<lb/>
zuckte zu&#x017F;ammen. &#x201E;Ein blutiger Tod,&#x201C; &#x017F;etzte er hin¬<lb/>
zu; &#x201E;Tod durch einen Me&#x017F;&#x017F;er&#x017F;tich im Streite mit<lb/>
einem rohen Fuhrmann.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Hat er Familie hinter¬<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en?&#x201C; &#x2014; &#x201E;Er war Jungge&#x017F;elle, eine Verwandte<lb/>
hielt ihm Haus, Frau Hedwig, eine Wittwe.&#x201C; &#x2014; &#x201E;I&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ie noch da?&#x201C; &#x2014; &#x201E;Sie verbleibt im Hau&#x017F;e.&#x201C; &#x2014; Ich<lb/>
ließ mir Straße und Hausnummer angeben, wies<lb/>
Begleitung ab und fand mich bald zurecht.</p><lb/>
      <p>Ich &#x017F;ah an der Nummernzahl, daß ich der Woh¬<lb/>
nung nahe &#x017F;ein mü&#x017F;&#x017F;e, als mir hart an der Na&#x017F;e ein<lb/>
Trinkglas vorüberflog und auf dem Pfla&#x017F;ter klirrend<lb/>
zer&#x017F;chellte. Mir war, als &#x017F;treifte mich der Gei&#x017F;t des<lb/>
Ver&#x017F;torbenen. &#x2014; Das Haus war gefunden und wurde<lb/>
auf mein Läuten geöffnet; im Flur &#x017F;türzten zwei<lb/>
Hunde die Treppe herab auf mich zu, laut bellend,<lb/>
doch nicht in feindlichem Tone, es war der halbwim¬<lb/>
mernde Ruf, welchen dieß Hausthier in der Aufregung<lb/>
der Freude hören läßt. Plötzlich blieben &#x017F;ie vor mir<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[10/0023] Morgen dem Ziele ſich näherte. Ich enthielt mich, Mitreiſende mit Erkundigungen anzugehen; ungeſchmä¬ lert von halbem Vorwiſſen wollte ich die Wohlthat genießen, nun den Mann in ſeiner Heimath, ſeinen Lebensbedingungen erſt ganz kennen zu lernen. Gleich nach der Ankunft eilte ich in einen Gaſthof und fragte ſchon unter der Thüre nach der Wohnung des räthſel¬ haften Freundes. „Sie treffen ihn nicht mehr am Leben,“ ſagte mit ſchmerzlicher Miene der Wirth. Ich zuckte zuſammen. „Ein blutiger Tod,“ ſetzte er hin¬ zu; „Tod durch einen Meſſerſtich im Streite mit einem rohen Fuhrmann.“ — „Hat er Familie hinter¬ laſſen?“ — „Er war Junggeſelle, eine Verwandte hielt ihm Haus, Frau Hedwig, eine Wittwe.“ — „Iſt ſie noch da?“ — „Sie verbleibt im Hauſe.“ — Ich ließ mir Straße und Hausnummer angeben, wies Begleitung ab und fand mich bald zurecht. Ich ſah an der Nummernzahl, daß ich der Woh¬ nung nahe ſein müſſe, als mir hart an der Naſe ein Trinkglas vorüberflog und auf dem Pflaſter klirrend zerſchellte. Mir war, als ſtreifte mich der Geiſt des Verſtorbenen. — Das Haus war gefunden und wurde auf mein Läuten geöffnet; im Flur ſtürzten zwei Hunde die Treppe herab auf mich zu, laut bellend, doch nicht in feindlichem Tone, es war der halbwim¬ mernde Ruf, welchen dieß Hausthier in der Aufregung der Freude hören läßt. Plötzlich blieben ſie vor mir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/23
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/23>, abgerufen am 25.04.2024.