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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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dießmal schwerer als sonst und war viel in Gedanken.
Kurz vor Aufbruch fiel es ihm ein, er wolle das Thal
,noch einmal' sehen, wo er vier Jahre, vom vierzehnten
bis zum achtzehnten, in einer Erziehungsanstalt zugebracht
hat. Er hatte immer gern von jener Zeit gesprochen,
von den alten Klosterräumen, worin die Schule sich
befand, von der Schönheit des Thales, von den alten
Kameraden. Still und sichtbar weich gestimmt kam er
zurück und trat bald darauf die Reise an. Er schien
sich nach den wenigen Lebenszeichen, die mir aus der
Entfernung zukamen, in Neapel, dann in Palermo
ganz munter zu befinden. Ueber Pompeji schrieb er
einen ausnahmsweise langen, gar schönen Brief; durch
den tiefen Ernst seiner Schilderung und Betrachtungen
schien mir etwas wie eine Todesahnung hindurch¬
zuklingen, am Schluß aber sprang er auf seine Weise
in Scherz um, indem er berichtete, er beschäftige sich
jetzt profund mit der Frage, ob die Griechen und
Römer auch Hühneraugen gehabt haben; er habe die
Figuren der Verschütteten, die man durch Gypseinguß
in den Lavamantel gewonnen, mikroskopisch genau
darauf angesehen, aber leider sei die Epidermis zu
sehr zerstört. Von Palermo sollte im Frühling eine
Rundreise durch die Insel angetreten werden, aber
auf einmal kam ein Brief aus Rom, dann lange keiner
mehr, ich dachte, er sitze nun im römischen Gebirge,
als endlich, um die Zeit des Kriegsausbruchs, ein paar

dießmal ſchwerer als ſonſt und war viel in Gedanken.
Kurz vor Aufbruch fiel es ihm ein, er wolle das Thal
‚noch einmal‘ ſehen, wo er vier Jahre, vom vierzehnten
bis zum achtzehnten, in einer Erziehungsanſtalt zugebracht
hat. Er hatte immer gern von jener Zeit geſprochen,
von den alten Kloſterräumen, worin die Schule ſich
befand, von der Schönheit des Thales, von den alten
Kameraden. Still und ſichtbar weich geſtimmt kam er
zurück und trat bald darauf die Reiſe an. Er ſchien
ſich nach den wenigen Lebenszeichen, die mir aus der
Entfernung zukamen, in Neapel, dann in Palermo
ganz munter zu befinden. Ueber Pompeji ſchrieb er
einen ausnahmsweiſe langen, gar ſchönen Brief; durch
den tiefen Ernſt ſeiner Schilderung und Betrachtungen
ſchien mir etwas wie eine Todesahnung hindurch¬
zuklingen, am Schluß aber ſprang er auf ſeine Weiſe
in Scherz um, indem er berichtete, er beſchäftige ſich
jetzt profund mit der Frage, ob die Griechen und
Römer auch Hühneraugen gehabt haben; er habe die
Figuren der Verſchütteten, die man durch Gypseinguß
in den Lavamantel gewonnen, mikroſkopiſch genau
darauf angeſehen, aber leider ſei die Epidermis zu
ſehr zerſtört. Von Palermo ſollte im Frühling eine
Rundreiſe durch die Inſel angetreten werden, aber
auf einmal kam ein Brief aus Rom, dann lange keiner
mehr, ich dachte, er ſitze nun im römiſchen Gebirge,
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[18/0031] dießmal ſchwerer als ſonſt und war viel in Gedanken. Kurz vor Aufbruch fiel es ihm ein, er wolle das Thal ‚noch einmal‘ ſehen, wo er vier Jahre, vom vierzehnten bis zum achtzehnten, in einer Erziehungsanſtalt zugebracht hat. Er hatte immer gern von jener Zeit geſprochen, von den alten Kloſterräumen, worin die Schule ſich befand, von der Schönheit des Thales, von den alten Kameraden. Still und ſichtbar weich geſtimmt kam er zurück und trat bald darauf die Reiſe an. Er ſchien ſich nach den wenigen Lebenszeichen, die mir aus der Entfernung zukamen, in Neapel, dann in Palermo ganz munter zu befinden. Ueber Pompeji ſchrieb er einen ausnahmsweiſe langen, gar ſchönen Brief; durch den tiefen Ernſt ſeiner Schilderung und Betrachtungen ſchien mir etwas wie eine Todesahnung hindurch¬ zuklingen, am Schluß aber ſprang er auf ſeine Weiſe in Scherz um, indem er berichtete, er beſchäftige ſich jetzt profund mit der Frage, ob die Griechen und Römer auch Hühneraugen gehabt haben; er habe die Figuren der Verſchütteten, die man durch Gypseinguß in den Lavamantel gewonnen, mikroſkopiſch genau darauf angeſehen, aber leider ſei die Epidermis zu ſehr zerſtört. Von Palermo ſollte im Frühling eine Rundreiſe durch die Inſel angetreten werden, aber auf einmal kam ein Brief aus Rom, dann lange keiner mehr, ich dachte, er ſitze nun im römiſchen Gebirge, als endlich, um die Zeit des Kriegsausbruchs, ein paar

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/31>, abgerufen am 23.04.2024.