Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Agitationen der patriotisch Gesinnten in der liberalen
Partei; jene, obwohl ihm sonst doch eben nicht hold,
begünstigte in ihm den Mann der strengen Ordnung,
diese den Mann des Rechts und noch mehr des deut¬
schen Einheitstrebens. Die Dinge in Schleswig-Holstein
waren soeben wieder in Fluß gekommen, und man
wußte, daß Einhart zu sagen pflegte, die deutsche
Kaiserkrone liege dort im Küstensand begraben, müsse
dort herausgehauen werden. Einhart nahm die un¬
gesuchte Wahl an und führte seinen Sturz herbei.
Sie erinnern sich, daß damals viel von Wiederein¬
führung der Prügelstrafe die Rede war. Er stellte
einen Antrag, der sich in den Vordersätzen nachdrücklich
dagegen aussprach, weiterhin aber eine Ausnahme postu¬
lirte, und zwar gegen die Mishandlung von Thieren.
In der Kammerrede, worin er den Antrag begründete,
-- Sie müßten sie gehört haben wie ich! -- es war
ein Feuerstrom und doch Alles wohlbedacht! so mag
Demosthenes auf der Rednerbühne gesprüht und sonnen¬
hell gestrahlt haben -- im ersten Theil dieser Rede
nahm er den Ruf der reaktionären Kreise nach Wieder¬
einführung der entehrenden Strafe zum Ausgangs¬
punkt, ein vernichtendes Bild jener kurzsichtigen Leiden¬
schaft zu entwerfen, welche damals die Regungen alles
berechtigten Dranges der Nation nach einem würdigen
politischen Dasein zerstampfte, welche sich nicht begnügte,
die Propheten maßloser, centrifugaler Freiheit mit

Agitationen der patriotiſch Geſinnten in der liberalen
Partei; jene, obwohl ihm ſonſt doch eben nicht hold,
begünſtigte in ihm den Mann der ſtrengen Ordnung,
dieſe den Mann des Rechts und noch mehr des deut¬
ſchen Einheitſtrebens. Die Dinge in Schleswig-Holſtein
waren ſoeben wieder in Fluß gekommen, und man
wußte, daß Einhart zu ſagen pflegte, die deutſche
Kaiſerkrone liege dort im Küſtenſand begraben, müſſe
dort herausgehauen werden. Einhart nahm die un¬
geſuchte Wahl an und führte ſeinen Sturz herbei.
Sie erinnern ſich, daß damals viel von Wiederein¬
führung der Prügelſtrafe die Rede war. Er ſtellte
einen Antrag, der ſich in den Vorderſätzen nachdrücklich
dagegen ausſprach, weiterhin aber eine Ausnahme poſtu¬
lirte, und zwar gegen die Mishandlung von Thieren.
In der Kammerrede, worin er den Antrag begründete,
— Sie müßten ſie gehört haben wie ich! — es war
ein Feuerſtrom und doch Alles wohlbedacht! ſo mag
Demoſthenes auf der Rednerbühne geſprüht und ſonnen¬
hell geſtrahlt haben — im erſten Theil dieſer Rede
nahm er den Ruf der reaktionären Kreiſe nach Wieder¬
einführung der entehrenden Strafe zum Ausgangs¬
punkt, ein vernichtendes Bild jener kurzſichtigen Leiden¬
ſchaft zu entwerfen, welche damals die Regungen alles
berechtigten Dranges der Nation nach einem würdigen
politiſchen Daſein zerſtampfte, welche ſich nicht begnügte,
die Propheten maßloſer, centrifugaler Freiheit mit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0044" n="31"/>
Agitationen der patrioti&#x017F;ch Ge&#x017F;innten in der liberalen<lb/>
Partei; jene, obwohl ihm &#x017F;on&#x017F;t doch eben nicht hold,<lb/>
begün&#x017F;tigte in ihm den Mann der &#x017F;trengen Ordnung,<lb/>
die&#x017F;e den Mann des Rechts und noch mehr des deut¬<lb/>
&#x017F;chen Einheit&#x017F;trebens. Die Dinge in Schleswig-Hol&#x017F;tein<lb/>
waren &#x017F;oeben wieder in Fluß gekommen, und man<lb/>
wußte, daß Einhart zu &#x017F;agen pflegte, die deut&#x017F;che<lb/>
Kai&#x017F;erkrone liege dort im Kü&#x017F;ten&#x017F;and begraben, mü&#x017F;&#x017F;e<lb/>
dort herausgehauen werden. Einhart nahm die un¬<lb/>
ge&#x017F;uchte Wahl an und führte &#x017F;einen Sturz herbei.<lb/>
Sie erinnern &#x017F;ich, daß damals viel von Wiederein¬<lb/>
führung der Prügel&#x017F;trafe die Rede war. Er &#x017F;tellte<lb/>
einen Antrag, der &#x017F;ich in den Vorder&#x017F;ätzen nachdrücklich<lb/>
dagegen aus&#x017F;prach, weiterhin aber eine Ausnahme po&#x017F;tu¬<lb/>
lirte, und zwar gegen die Mishandlung von Thieren.<lb/>
In der Kammerrede, worin er den Antrag begründete,<lb/>
&#x2014; Sie müßten &#x017F;ie gehört haben wie ich! &#x2014; es war<lb/>
ein Feuer&#x017F;trom und doch Alles wohlbedacht! &#x017F;o mag<lb/>
Demo&#x017F;thenes auf der Rednerbühne ge&#x017F;prüht und &#x017F;onnen¬<lb/>
hell ge&#x017F;trahlt haben &#x2014; im er&#x017F;ten Theil die&#x017F;er Rede<lb/>
nahm er den Ruf der reaktionären Krei&#x017F;e nach Wieder¬<lb/>
einführung der entehrenden Strafe zum Ausgangs¬<lb/>
punkt, ein vernichtendes Bild jener kurz&#x017F;ichtigen Leiden¬<lb/>
&#x017F;chaft zu entwerfen, welche damals die Regungen alles<lb/>
berechtigten Dranges der Nation nach einem würdigen<lb/>
politi&#x017F;chen Da&#x017F;ein zer&#x017F;tampfte, welche &#x017F;ich nicht begnügte,<lb/>
die Propheten maßlo&#x017F;er, centrifugaler Freiheit mit<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0044] Agitationen der patriotiſch Geſinnten in der liberalen Partei; jene, obwohl ihm ſonſt doch eben nicht hold, begünſtigte in ihm den Mann der ſtrengen Ordnung, dieſe den Mann des Rechts und noch mehr des deut¬ ſchen Einheitſtrebens. Die Dinge in Schleswig-Holſtein waren ſoeben wieder in Fluß gekommen, und man wußte, daß Einhart zu ſagen pflegte, die deutſche Kaiſerkrone liege dort im Küſtenſand begraben, müſſe dort herausgehauen werden. Einhart nahm die un¬ geſuchte Wahl an und führte ſeinen Sturz herbei. Sie erinnern ſich, daß damals viel von Wiederein¬ führung der Prügelſtrafe die Rede war. Er ſtellte einen Antrag, der ſich in den Vorderſätzen nachdrücklich dagegen ausſprach, weiterhin aber eine Ausnahme poſtu¬ lirte, und zwar gegen die Mishandlung von Thieren. In der Kammerrede, worin er den Antrag begründete, — Sie müßten ſie gehört haben wie ich! — es war ein Feuerſtrom und doch Alles wohlbedacht! ſo mag Demoſthenes auf der Rednerbühne geſprüht und ſonnen¬ hell geſtrahlt haben — im erſten Theil dieſer Rede nahm er den Ruf der reaktionären Kreiſe nach Wieder¬ einführung der entehrenden Strafe zum Ausgangs¬ punkt, ein vernichtendes Bild jener kurzſichtigen Leiden¬ ſchaft zu entwerfen, welche damals die Regungen alles berechtigten Dranges der Nation nach einem würdigen politiſchen Daſein zerſtampfte, welche ſich nicht begnügte, die Propheten maßloſer, centrifugaler Freiheit mit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/44
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/44>, abgerufen am 25.04.2024.