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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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"Wie trug er sein Schicksal?"

"Still und fest, doch hat er's nie ganz ver¬
wunden."

"Ich begreife doch immer noch nicht, kann mir
eine Persönlichkeit, die doch so vorwiegend Innenleben
war, als Polizeimann nicht denken. Wie reime ich
den verbohrten Phantasiekampf gegen den kleinen Zu¬
fall mit dem Willensstrom einer thätigen Natur?"

"Je nun, in wie Manchem stecken zwei Naturen!
Uebrigens ist doch ein Zusammenhang. Er war eine
befehlende Kraft und eine dichterisch denkende; den be¬
fehlenden Mann empörte der Widerstand der unbot¬
mäßigen todten Dinge, denen der dichterisch vorstellende
einen Willen lieh, und den harmoniesuchenden Denker
das Chaos der Durchkreuzungen. Wissen Sie, was
eines seiner ersten Worte war, als er amtlos in der
Welt stand? ,Auch gut,' sagte er zu Frau Hedwig,
,jetzt les' ich in meinen Büchern, schreibe Etliches nieder,
prügle ab und zu einen argen Thierquäler und exe¬
kutionire einiges allzu rebellische Objekt.'" --

Wir waren an den Kirchhof gekommen und giengen
an der Werkstätte eines Grabmalkünstlers vorbei. "Ge¬
rade recht," sagte der Assessor, "treten wir einen Augen¬
blick ein." Er zeigte mir in der Ecke des Hofes eine
Marmorplatte: "Da, sehen Sie die Inschrift an!"

Sie lautete:

„Wie trug er ſein Schickſal?“

„Still und feſt, doch hat er's nie ganz ver¬
wunden.“

„Ich begreife doch immer noch nicht, kann mir
eine Perſönlichkeit, die doch ſo vorwiegend Innenleben
war, als Polizeimann nicht denken. Wie reime ich
den verbohrten Phantaſiekampf gegen den kleinen Zu¬
fall mit dem Willensſtrom einer thätigen Natur?“

„Je nun, in wie Manchem ſtecken zwei Naturen!
Uebrigens iſt doch ein Zuſammenhang. Er war eine
befehlende Kraft und eine dichteriſch denkende; den be¬
fehlenden Mann empörte der Widerſtand der unbot¬
mäßigen todten Dinge, denen der dichteriſch vorſtellende
einen Willen lieh, und den harmonieſuchenden Denker
das Chaos der Durchkreuzungen. Wiſſen Sie, was
eines ſeiner erſten Worte war, als er amtlos in der
Welt ſtand? ‚Auch gut,‘ ſagte er zu Frau Hedwig,
‚jetzt leſ' ich in meinen Büchern, ſchreibe Etliches nieder,
prügle ab und zu einen argen Thierquäler und exe¬
kutionire einiges allzu rebelliſche Objekt.'“ —

Wir waren an den Kirchhof gekommen und giengen
an der Werkſtätte eines Grabmalkünſtlers vorbei. „Ge¬
rade recht,“ ſagte der Aſſeſſor, „treten wir einen Augen¬
blick ein.“ Er zeigte mir in der Ecke des Hofes eine
Marmorplatte: „Da, ſehen Sie die Inſchrift an!“

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[35/0048] „Wie trug er ſein Schickſal?“ „Still und feſt, doch hat er's nie ganz ver¬ wunden.“ „Ich begreife doch immer noch nicht, kann mir eine Perſönlichkeit, die doch ſo vorwiegend Innenleben war, als Polizeimann nicht denken. Wie reime ich den verbohrten Phantaſiekampf gegen den kleinen Zu¬ fall mit dem Willensſtrom einer thätigen Natur?“ „Je nun, in wie Manchem ſtecken zwei Naturen! Uebrigens iſt doch ein Zuſammenhang. Er war eine befehlende Kraft und eine dichteriſch denkende; den be¬ fehlenden Mann empörte der Widerſtand der unbot¬ mäßigen todten Dinge, denen der dichteriſch vorſtellende einen Willen lieh, und den harmonieſuchenden Denker das Chaos der Durchkreuzungen. Wiſſen Sie, was eines ſeiner erſten Worte war, als er amtlos in der Welt ſtand? ‚Auch gut,‘ ſagte er zu Frau Hedwig, ‚jetzt leſ' ich in meinen Büchern, ſchreibe Etliches nieder, prügle ab und zu einen argen Thierquäler und exe¬ kutionire einiges allzu rebelliſche Objekt.'“ — Wir waren an den Kirchhof gekommen und giengen an der Werkſtätte eines Grabmalkünſtlers vorbei. „Ge¬ rade recht,“ ſagte der Aſſeſſor, „treten wir einen Augen¬ blick ein.“ Er zeigte mir in der Ecke des Hofes eine Marmorplatte: „Da, ſehen Sie die Inſchrift an!“ Sie lautete:

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/48>, abgerufen am 25.04.2024.