Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

sich zu gewissen Zeiten eigenthümliche Individuen aus, deren Verdau-
ungsapparat meist nur rudimentär oder selbst gänzlich verkümmert ist;
auch die Fühler dieser Geschlechtsindividuen sind durchaus verkümmert
und meistens bilden sie nur geschlossene Becher, in deren Innerem sich
vollständige Eier oder Samenthierchen erzeugen. Nach ihrer Entleerung
verschwinden diese kapselförmigen Individuen wieder und der Polypenstock
erscheint dann vollkommen geschlechtlos. Die letzte Art der Fort-
pflanzung, welche die vollkommnere Quallenform liefert, werden wir
erst später betrachten.

Man findet die Armpolypen in allen Meeren und eine Gattung,
das einzige Beispiel unter sämmtlichen Strahlthieren, auch im süßen
Wasser. Sie bilden stets nur sehr kleine, dünne Polypenstöcke, die
entweder krustenartig sind oder kleine Fädchen und Bäumchen dar-
stellen, die sich überall, besonders aber auch auf den Blättern der
Tange und andern Seepflanzen ansiedeln. Diejenigen der südlichen
Meere sind noch fast gar nicht bekannt und auch die der nördlichen
See nur unzureichend untersucht.

Die Zahl der bekannten Armpolyen ist nur gering und steht
durchaus in keinem Verhältniß mit derjenigen der vollendeteren For-
men, so daß eine genauere Eintheilung derselben auch schon deshalb
unthunlich ist, weil dieselbe aus der Kenntniß der beiden Erscheinungs-
formen gemeinschaftlich hervorgehen müßte. Wir theilen einstweilen
die Armpolypen in folgende Familien ein:

Die Familie der Süßwasserpolypen (Hydrida) besteht hauptsäch-

[Abbildung] Fig 102.

a Wasserlinsen, an deren
Wurzeln die Polypen sitzen. b
ein entwickelter Polyp. c ein
solcher mit zwei, der Ablösung na-
hen ausgebildeten Knosven. d ein
anderer, ganz zusammengezogen.

lich aus der Gattung Hydra, deren Arten
man vorzüglich häufig an Wasserlinsenwur-
zeln angeheftet findet. Das Thier ist ganz
nackt, mit langen Fangarmen versehen, die
es auch zum Umherklettern braucht, obgleich
es sich gewöhnlich mit seinem Fuße festsetzt
und ruhig auf Beute lauert. Die Fangarme
selbst sind hohl und ihre Höhle steht mit
der, den ganzen Leib des Thieres bildenden
Verdauungshöhle in Verbindung. Sie kön-
nen ungemein verlängert werden und dienen
durch ihre Nessel- und Haftorgane zum
Fangen der Beute, die besonders in Wasser-
flöhen (Cyclops), kleinen Mückenlarven und
derlei Thierchen besteht. Die Thiere sind
ungeheuer gefräßig und pflanzen sich bei gu-
tem Futter lebhaft durch Knospen fort, die

ſich zu gewiſſen Zeiten eigenthümliche Individuen aus, deren Verdau-
ungsapparat meiſt nur rudimentär oder ſelbſt gänzlich verkümmert iſt;
auch die Fühler dieſer Geſchlechtsindividuen ſind durchaus verkümmert
und meiſtens bilden ſie nur geſchloſſene Becher, in deren Innerem ſich
vollſtändige Eier oder Samenthierchen erzeugen. Nach ihrer Entleerung
verſchwinden dieſe kapſelförmigen Individuen wieder und der Polypenſtock
erſcheint dann vollkommen geſchlechtlos. Die letzte Art der Fort-
pflanzung, welche die vollkommnere Quallenform liefert, werden wir
erſt ſpäter betrachten.

Man findet die Armpolypen in allen Meeren und eine Gattung,
das einzige Beiſpiel unter ſämmtlichen Strahlthieren, auch im ſüßen
Waſſer. Sie bilden ſtets nur ſehr kleine, dünne Polypenſtöcke, die
entweder kruſtenartig ſind oder kleine Fädchen und Bäumchen dar-
ſtellen, die ſich überall, beſonders aber auch auf den Blättern der
Tange und andern Seepflanzen anſiedeln. Diejenigen der ſüdlichen
Meere ſind noch faſt gar nicht bekannt und auch die der nördlichen
See nur unzureichend unterſucht.

Die Zahl der bekannten Armpolyen iſt nur gering und ſteht
durchaus in keinem Verhältniß mit derjenigen der vollendeteren For-
men, ſo daß eine genauere Eintheilung derſelben auch ſchon deshalb
unthunlich iſt, weil dieſelbe aus der Kenntniß der beiden Erſcheinungs-
formen gemeinſchaftlich hervorgehen müßte. Wir theilen einſtweilen
die Armpolypen in folgende Familien ein:

Die Familie der Süßwaſſerpolypen (Hydrida) beſteht hauptſäch-

[Abbildung] Fig 102.

a Waſſerlinſen, an deren
Wurzeln die Polypen ſitzen. b
ein entwickelter Polyp. c ein
ſolcher mit zwei, der Ablöſung na-
hen ausgebildeten Knosven. d ein
anderer, ganz zuſammengezogen.

lich aus der Gattung Hydra, deren Arten
man vorzüglich häufig an Waſſerlinſenwur-
zeln angeheftet findet. Das Thier iſt ganz
nackt, mit langen Fangarmen verſehen, die
es auch zum Umherklettern braucht, obgleich
es ſich gewöhnlich mit ſeinem Fuße feſtſetzt
und ruhig auf Beute lauert. Die Fangarme
ſelbſt ſind hohl und ihre Höhle ſteht mit
der, den ganzen Leib des Thieres bildenden
Verdauungshöhle in Verbindung. Sie kön-
nen ungemein verlängert werden und dienen
durch ihre Neſſel- und Haftorgane zum
Fangen der Beute, die beſonders in Waſſer-
flöhen (Cyclops), kleinen Mückenlarven und
derlei Thierchen beſteht. Die Thiere ſind
ungeheuer gefräßig und pflanzen ſich bei gu-
tem Futter lebhaft durch Knospen fort, die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0134" n="128"/>
&#x017F;ich zu gewi&#x017F;&#x017F;en Zeiten eigenthümliche Individuen aus, deren Verdau-<lb/>
ungsapparat mei&#x017F;t nur rudimentär oder &#x017F;elb&#x017F;t gänzlich verkümmert i&#x017F;t;<lb/>
auch die Fühler die&#x017F;er Ge&#x017F;chlechtsindividuen &#x017F;ind durchaus verkümmert<lb/>
und mei&#x017F;tens bilden &#x017F;ie nur ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene Becher, in deren Innerem &#x017F;ich<lb/>
voll&#x017F;tändige Eier oder Samenthierchen erzeugen. Nach ihrer Entleerung<lb/>
ver&#x017F;chwinden die&#x017F;e kap&#x017F;elförmigen Individuen wieder und der Polypen&#x017F;tock<lb/>
er&#x017F;cheint dann vollkommen ge&#x017F;chlechtlos. Die letzte Art der Fort-<lb/>
pflanzung, welche die vollkommnere Quallenform liefert, werden wir<lb/>
er&#x017F;t &#x017F;päter betrachten.</p><lb/>
          <p>Man findet die Armpolypen in allen Meeren und eine Gattung,<lb/>
das einzige Bei&#x017F;piel unter &#x017F;ämmtlichen Strahlthieren, auch im &#x017F;üßen<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er. Sie bilden &#x017F;tets nur &#x017F;ehr kleine, dünne Polypen&#x017F;töcke, die<lb/>
entweder kru&#x017F;tenartig &#x017F;ind oder kleine Fädchen und Bäumchen dar-<lb/>
&#x017F;tellen, die &#x017F;ich überall, be&#x017F;onders aber auch auf den Blättern der<lb/>
Tange und andern Seepflanzen an&#x017F;iedeln. Diejenigen der &#x017F;üdlichen<lb/>
Meere &#x017F;ind noch fa&#x017F;t gar nicht bekannt und auch die der nördlichen<lb/>
See nur unzureichend unter&#x017F;ucht.</p><lb/>
          <p>Die Zahl der bekannten Armpolyen i&#x017F;t nur gering und &#x017F;teht<lb/>
durchaus in keinem Verhältniß mit derjenigen der vollendeteren For-<lb/>
men, &#x017F;o daß eine genauere Eintheilung der&#x017F;elben auch &#x017F;chon deshalb<lb/>
unthunlich i&#x017F;t, weil die&#x017F;elbe aus der Kenntniß der beiden Er&#x017F;cheinungs-<lb/>
formen gemein&#x017F;chaftlich hervorgehen müßte. Wir theilen ein&#x017F;tweilen<lb/>
die Armpolypen in folgende Familien ein:</p><lb/>
          <p>Die Familie der <hi rendition="#b">Süßwa&#x017F;&#x017F;erpolypen</hi> <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">(Hydrida)</hi></hi> be&#x017F;teht haupt&#x017F;äch-<lb/><figure><head>Fig 102.</head><lb/><p><hi rendition="#aq">a</hi> Wa&#x017F;&#x017F;erlin&#x017F;en, an deren<lb/>
Wurzeln die Polypen &#x017F;itzen. <hi rendition="#aq">b</hi><lb/>
ein entwickelter Polyp. <hi rendition="#aq">c</hi> ein<lb/>
&#x017F;olcher mit zwei, der Ablö&#x017F;ung na-<lb/>
hen ausgebildeten Knosven. <hi rendition="#aq">d</hi> ein<lb/>
anderer, ganz zu&#x017F;ammengezogen.</p></figure><lb/>
lich aus der Gattung Hydra, deren Arten<lb/>
man vorzüglich häufig an Wa&#x017F;&#x017F;erlin&#x017F;enwur-<lb/>
zeln angeheftet findet. Das Thier i&#x017F;t ganz<lb/>
nackt, mit langen Fangarmen ver&#x017F;ehen, die<lb/>
es auch zum Umherklettern braucht, obgleich<lb/>
es &#x017F;ich gewöhnlich mit &#x017F;einem Fuße fe&#x017F;t&#x017F;etzt<lb/>
und ruhig auf Beute lauert. Die Fangarme<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ind hohl und ihre Höhle &#x017F;teht mit<lb/>
der, den ganzen Leib des Thieres bildenden<lb/>
Verdauungshöhle in Verbindung. Sie kön-<lb/>
nen ungemein verlängert werden und dienen<lb/>
durch ihre Ne&#x017F;&#x017F;el- und Haftorgane zum<lb/>
Fangen der Beute, die be&#x017F;onders in Wa&#x017F;&#x017F;er-<lb/>
flöhen <hi rendition="#aq">(Cyclops)</hi>, kleinen Mückenlarven und<lb/>
derlei Thierchen be&#x017F;teht. Die Thiere &#x017F;ind<lb/>
ungeheuer gefräßig und pflanzen &#x017F;ich bei gu-<lb/>
tem Futter lebhaft durch Knospen fort, die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[128/0134] ſich zu gewiſſen Zeiten eigenthümliche Individuen aus, deren Verdau- ungsapparat meiſt nur rudimentär oder ſelbſt gänzlich verkümmert iſt; auch die Fühler dieſer Geſchlechtsindividuen ſind durchaus verkümmert und meiſtens bilden ſie nur geſchloſſene Becher, in deren Innerem ſich vollſtändige Eier oder Samenthierchen erzeugen. Nach ihrer Entleerung verſchwinden dieſe kapſelförmigen Individuen wieder und der Polypenſtock erſcheint dann vollkommen geſchlechtlos. Die letzte Art der Fort- pflanzung, welche die vollkommnere Quallenform liefert, werden wir erſt ſpäter betrachten. Man findet die Armpolypen in allen Meeren und eine Gattung, das einzige Beiſpiel unter ſämmtlichen Strahlthieren, auch im ſüßen Waſſer. Sie bilden ſtets nur ſehr kleine, dünne Polypenſtöcke, die entweder kruſtenartig ſind oder kleine Fädchen und Bäumchen dar- ſtellen, die ſich überall, beſonders aber auch auf den Blättern der Tange und andern Seepflanzen anſiedeln. Diejenigen der ſüdlichen Meere ſind noch faſt gar nicht bekannt und auch die der nördlichen See nur unzureichend unterſucht. Die Zahl der bekannten Armpolyen iſt nur gering und ſteht durchaus in keinem Verhältniß mit derjenigen der vollendeteren For- men, ſo daß eine genauere Eintheilung derſelben auch ſchon deshalb unthunlich iſt, weil dieſelbe aus der Kenntniß der beiden Erſcheinungs- formen gemeinſchaftlich hervorgehen müßte. Wir theilen einſtweilen die Armpolypen in folgende Familien ein: Die Familie der Süßwaſſerpolypen (Hydrida) beſteht hauptſäch- [Abbildung Fig 102. a Waſſerlinſen, an deren Wurzeln die Polypen ſitzen. b ein entwickelter Polyp. c ein ſolcher mit zwei, der Ablöſung na- hen ausgebildeten Knosven. d ein anderer, ganz zuſammengezogen.] lich aus der Gattung Hydra, deren Arten man vorzüglich häufig an Waſſerlinſenwur- zeln angeheftet findet. Das Thier iſt ganz nackt, mit langen Fangarmen verſehen, die es auch zum Umherklettern braucht, obgleich es ſich gewöhnlich mit ſeinem Fuße feſtſetzt und ruhig auf Beute lauert. Die Fangarme ſelbſt ſind hohl und ihre Höhle ſteht mit der, den ganzen Leib des Thieres bildenden Verdauungshöhle in Verbindung. Sie kön- nen ungemein verlängert werden und dienen durch ihre Neſſel- und Haftorgane zum Fangen der Beute, die beſonders in Waſſer- flöhen (Cyclops), kleinen Mückenlarven und derlei Thierchen beſteht. Die Thiere ſind ungeheuer gefräßig und pflanzen ſich bei gu- tem Futter lebhaft durch Knospen fort, die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/134
Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/134>, abgerufen am 25.04.2024.