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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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ungleicher Zahl auf beiden Seiten angebracht. Der übrige Verdau-
ungskanal, sowie das aus einem Bauchmarke und deutlichen Hirn-
knoten bestehende Nervensystem, bieten keine wesentlichen Verschieden-
heiten von den Röhrenwürmern dar. Das Gefäßsystem ist au-
ßerordentlich entwickelt und namentlich das Rücken- und Bauchgefäß
von Bedeutung. Ersteres speist die Kiemen, welche meist in Baum-
form zu beiden Seiten des Rückens angebracht, aber oft ziemlich
rudimentär sind, während sie bei andern Gattungen eine enorme
Entwickelung und Zahl erreichen. Die Geschlechter sind getrennt, die
Geschlechtsorgane ganz so ausgebildet, wie bei den Röhrenwürmern.
Die Eier werden entweder an Steine oder Wasserpflanzen gelegt oder,
in schleimige Säcke gehüllt, von der Mutter an dem Leibe mit herum-

[Abbildung] Fig. 253. 254.
Fig 255.

Fig. 253. Ein Vielauge (Poly-
ophthalmus).
Man sieht die ent-
wickelten wimpernden Kopflappen
und auf dem Leibe die seitlichen
Augen als weiße Punkte. Fig. 254.
A. Das Kopfende vergrößert. a die
Oberlippe mit dem Centralner-
vensysteme; b die Räderlappen,
c der Leib. Fig. 255. B. Die
Bewegungsorgane. a die Fußbor-
sten. b die beiden muskulösen
Säckchen, in welchen sie stecken. c
obere und untere Muskelbündel.

getragen. Die Entwickelung geschieht
ganz in derselben Weise wie bei den Röh-
renwürmern, nur mit dem Unterschiede, daß
die Anfangs eiförmigen Larven den Hals-
kragen wie es scheint noch lange behalten
und daß die Gliederzahl, welche Anfangs
nur eine unbedeutende ist, stets mehr und
mehr neben der Ausbildung des Kopfes
ebenfalls zunimmt.

Neben der geschlechtlichen Zeugung
ist auch bei einigen Schlangenwürmern
wahre Knospenbildung beobachtet worden,
und zwar in der Weise, daß die Jungen
an dem Hinterleibsende hervorsprossen und
die neuen Knospen sich schon entwickeln,
ehe noch die ältern sich losgetrennt
hatten.

Unter den vielen Familien, in wel-
che sich die Ordnung der Schlangenwür-
mer theilt, zeigen die Vielaugen (Poly-
ophthalmida
) eine merkwürdige Beziehung
zu den Räderthieren. An der Spitze des
Kopfes stehen nämlich zu beiden Seiten
eines kurzen, mit Wimpern besetzten
rüsselartigen Fühlers, zwei seitliche mit
langen Wimperhaaren besetzte Wülste, die
wie die Räder der Räderthiere eingezogen
und ausgestülpt werden können. Die Füße dieser Vielaugen sind

ungleicher Zahl auf beiden Seiten angebracht. Der übrige Verdau-
ungskanal, ſowie das aus einem Bauchmarke und deutlichen Hirn-
knoten beſtehende Nervenſyſtem, bieten keine weſentlichen Verſchieden-
heiten von den Röhrenwürmern dar. Das Gefäßſyſtem iſt au-
ßerordentlich entwickelt und namentlich das Rücken- und Bauchgefäß
von Bedeutung. Erſteres ſpeiſt die Kiemen, welche meiſt in Baum-
form zu beiden Seiten des Rückens angebracht, aber oft ziemlich
rudimentär ſind, während ſie bei andern Gattungen eine enorme
Entwickelung und Zahl erreichen. Die Geſchlechter ſind getrennt, die
Geſchlechtsorgane ganz ſo ausgebildet, wie bei den Röhrenwürmern.
Die Eier werden entweder an Steine oder Waſſerpflanzen gelegt oder,
in ſchleimige Säcke gehüllt, von der Mutter an dem Leibe mit herum-

[Abbildung] Fig. 253. 254.
Fig 255.

Fig. 253. Ein Vielauge (Poly-
ophthalmus).
Man ſieht die ent-
wickelten wimpernden Kopflappen
und auf dem Leibe die ſeitlichen
Augen als weiße Punkte. Fig. 254.
A. Das Kopfende vergrößert. a die
Oberlippe mit dem Centralner-
venſyſteme; b die Räderlappen,
c der Leib. Fig. 255. B. Die
Bewegungsorgane. a die Fußbor-
ſten. b die beiden muskulöſen
Säckchen, in welchen ſie ſtecken. c
obere und untere Muskelbündel.

getragen. Die Entwickelung geſchieht
ganz in derſelben Weiſe wie bei den Röh-
renwürmern, nur mit dem Unterſchiede, daß
die Anfangs eiförmigen Larven den Hals-
kragen wie es ſcheint noch lange behalten
und daß die Gliederzahl, welche Anfangs
nur eine unbedeutende iſt, ſtets mehr und
mehr neben der Ausbildung des Kopfes
ebenfalls zunimmt.

Neben der geſchlechtlichen Zeugung
iſt auch bei einigen Schlangenwürmern
wahre Knospenbildung beobachtet worden,
und zwar in der Weiſe, daß die Jungen
an dem Hinterleibsende hervorſproſſen und
die neuen Knospen ſich ſchon entwickeln,
ehe noch die ältern ſich losgetrennt
hatten.

Unter den vielen Familien, in wel-
che ſich die Ordnung der Schlangenwür-
mer theilt, zeigen die Vielaugen (Poly-
ophthalmida
) eine merkwürdige Beziehung
zu den Räderthieren. An der Spitze des
Kopfes ſtehen nämlich zu beiden Seiten
eines kurzen, mit Wimpern beſetzten
rüſſelartigen Fühlers, zwei ſeitliche mit
langen Wimperhaaren beſetzte Wülſte, die
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[238/0244] ungleicher Zahl auf beiden Seiten angebracht. Der übrige Verdau- ungskanal, ſowie das aus einem Bauchmarke und deutlichen Hirn- knoten beſtehende Nervenſyſtem, bieten keine weſentlichen Verſchieden- heiten von den Röhrenwürmern dar. Das Gefäßſyſtem iſt au- ßerordentlich entwickelt und namentlich das Rücken- und Bauchgefäß von Bedeutung. Erſteres ſpeiſt die Kiemen, welche meiſt in Baum- form zu beiden Seiten des Rückens angebracht, aber oft ziemlich rudimentär ſind, während ſie bei andern Gattungen eine enorme Entwickelung und Zahl erreichen. Die Geſchlechter ſind getrennt, die Geſchlechtsorgane ganz ſo ausgebildet, wie bei den Röhrenwürmern. Die Eier werden entweder an Steine oder Waſſerpflanzen gelegt oder, in ſchleimige Säcke gehüllt, von der Mutter an dem Leibe mit herum- [Abbildung Fig. 253. 254. Fig 255. Fig. 253. Ein Vielauge (Poly- ophthalmus). Man ſieht die ent- wickelten wimpernden Kopflappen und auf dem Leibe die ſeitlichen Augen als weiße Punkte. Fig. 254. A. Das Kopfende vergrößert. a die Oberlippe mit dem Centralner- venſyſteme; b die Räderlappen, c der Leib. Fig. 255. B. Die Bewegungsorgane. a die Fußbor- ſten. b die beiden muskulöſen Säckchen, in welchen ſie ſtecken. c obere und untere Muskelbündel.] getragen. Die Entwickelung geſchieht ganz in derſelben Weiſe wie bei den Röh- renwürmern, nur mit dem Unterſchiede, daß die Anfangs eiförmigen Larven den Hals- kragen wie es ſcheint noch lange behalten und daß die Gliederzahl, welche Anfangs nur eine unbedeutende iſt, ſtets mehr und mehr neben der Ausbildung des Kopfes ebenfalls zunimmt. Neben der geſchlechtlichen Zeugung iſt auch bei einigen Schlangenwürmern wahre Knospenbildung beobachtet worden, und zwar in der Weiſe, daß die Jungen an dem Hinterleibsende hervorſproſſen und die neuen Knospen ſich ſchon entwickeln, ehe noch die ältern ſich losgetrennt hatten. Unter den vielen Familien, in wel- che ſich die Ordnung der Schlangenwür- mer theilt, zeigen die Vielaugen (Poly- ophthalmida) eine merkwürdige Beziehung zu den Räderthieren. An der Spitze des Kopfes ſtehen nämlich zu beiden Seiten eines kurzen, mit Wimpern beſetzten rüſſelartigen Fühlers, zwei ſeitliche mit langen Wimperhaaren beſetzte Wülſte, die wie die Räder der Räderthiere eingezogen und ausgeſtülpt werden können. Die Füße dieſer Vielaugen ſind

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/244>, abgerufen am 24.04.2024.