Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

und mit je zwei Ausführungsgängen versehen, von welchen der eine
sogar bei einigen Arten in die Bauchhöhle hinabsteigt, um dann wie-
der umzubiegen und im Schlunde zu münden. Offenbar sondern
die so zusammengesetzten Speichelapparate die Flüssigkeit ab, welche den
Stich der meisten Wanzen für andere Insekten unbedingt tödtlich, für
uns schmerzhaft macht. Es finden sich stets vier Harnkanäle. Die
Tracheen sind sehr verschieden angeordnet; bei den fliegenden Zir-
pen und Wanzen aber oft mit großen, blasigen Erweiterungen ver-
sehen.

Die Eierstöcke bestehen bei den meisten aus vier bis acht quirl-
förmig gestellten Röhren, die nur wenige Kammern enthalten; nur
die Blattflöhe und Zirpen haben sehr viele, auf verzweigten Eileitern
büschelförmig stehende Eiröhren. Die Samentasche ist meist einfach,
lang, gewunden oder birnförmig hornig; eine Begattungstasche fehlt
oft; Kittorgane sind wenig ausgebildet. Die männlichen Fort-
pflanzungsorgane
sind höchst mannichfaltig, die Hoden aus schlauch-
förmigen Röhren in sehr wechselnder Zahl gebildet, die Ausführungs-
gänge meist lang, gewunden und mit verschiedenen Drüsenröhren be-
setzt. Die Ruthe ist einfach röhrenförmig.

Bei der Begattung sitzen viele Schnabelkerfe nebeneinander. Aus
den Eiern kommen Larven, die in Form, Gewohnheit, Lebensart,
Nahrung den erwachsenen Thieren sehr gleichen, aber stets flügellos
und meist mit zartem, seidenartigem Flaum bedeckt sind. Nach mehr-
facher Häutung zeigen sich endlich die Flügelscheiden und später die
vollständig ausgebildeten Flügel.

Alle Schnabelkerfe saugen Säfte, entweder von lebenden Insekten
oder auch von Blättern. Die von Pflanzensäften lebenden wohnen
meist in Haufen zusammen und verursachen durch ihre Stiche krank-
hafte Entartungen der Gewächse.

Der Typus der Schnabelkerfe erscheint unter den fossilen Insekten
als einer der frühesten. Im Jura finden sich große Wasserwanzen,
einige Landwanzen und Singzirpen, also im Ganzen mehr Familien
südlicher Gegenden, die Wälder und stehende Gewässer bewohnen.
Die Kreide zeigt Blattläuse auf; die Binnensee'n und Sümpfe der
Tertiärzeit Singzirpen, Schaumzirpen (Cercopis), und zahlreiche
Landwanzen, die denen der jetzigen Schöpfung sehr nahe treten.


und mit je zwei Ausführungsgängen verſehen, von welchen der eine
ſogar bei einigen Arten in die Bauchhöhle hinabſteigt, um dann wie-
der umzubiegen und im Schlunde zu münden. Offenbar ſondern
die ſo zuſammengeſetzten Speichelapparate die Flüſſigkeit ab, welche den
Stich der meiſten Wanzen für andere Inſekten unbedingt tödtlich, für
uns ſchmerzhaft macht. Es finden ſich ſtets vier Harnkanäle. Die
Tracheen ſind ſehr verſchieden angeordnet; bei den fliegenden Zir-
pen und Wanzen aber oft mit großen, blaſigen Erweiterungen ver-
ſehen.

Die Eierſtöcke beſtehen bei den meiſten aus vier bis acht quirl-
förmig geſtellten Röhren, die nur wenige Kammern enthalten; nur
die Blattflöhe und Zirpen haben ſehr viele, auf verzweigten Eileitern
büſchelförmig ſtehende Eiröhren. Die Samentaſche iſt meiſt einfach,
lang, gewunden oder birnförmig hornig; eine Begattungstaſche fehlt
oft; Kittorgane ſind wenig ausgebildet. Die männlichen Fort-
pflanzungsorgane
ſind höchſt mannichfaltig, die Hoden aus ſchlauch-
förmigen Röhren in ſehr wechſelnder Zahl gebildet, die Ausführungs-
gänge meiſt lang, gewunden und mit verſchiedenen Drüſenröhren be-
ſetzt. Die Ruthe iſt einfach röhrenförmig.

Bei der Begattung ſitzen viele Schnabelkerfe nebeneinander. Aus
den Eiern kommen Larven, die in Form, Gewohnheit, Lebensart,
Nahrung den erwachſenen Thieren ſehr gleichen, aber ſtets flügellos
und meiſt mit zartem, ſeidenartigem Flaum bedeckt ſind. Nach mehr-
facher Häutung zeigen ſich endlich die Flügelſcheiden und ſpäter die
vollſtändig ausgebildeten Flügel.

Alle Schnabelkerfe ſaugen Säfte, entweder von lebenden Inſekten
oder auch von Blättern. Die von Pflanzenſäften lebenden wohnen
meiſt in Haufen zuſammen und verurſachen durch ihre Stiche krank-
hafte Entartungen der Gewächſe.

Der Typus der Schnabelkerfe erſcheint unter den foſſilen Inſekten
als einer der früheſten. Im Jura finden ſich große Waſſerwanzen,
einige Landwanzen und Singzirpen, alſo im Ganzen mehr Familien
ſüdlicher Gegenden, die Wälder und ſtehende Gewäſſer bewohnen.
Die Kreide zeigt Blattläuſe auf; die Binnenſee’n und Sümpfe der
Tertiärzeit Singzirpen, Schaumzirpen (Cercopis), und zahlreiche
Landwanzen, die denen der jetzigen Schöpfung ſehr nahe treten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0572" n="566"/>
und mit je zwei Ausführungsgängen ver&#x017F;ehen, von welchen der eine<lb/>
&#x017F;ogar bei einigen Arten in die Bauchhöhle hinab&#x017F;teigt, um dann wie-<lb/>
der umzubiegen und im Schlunde zu münden. Offenbar &#x017F;ondern<lb/>
die &#x017F;o zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzten Speichelapparate die Flü&#x017F;&#x017F;igkeit ab, welche den<lb/>
Stich der mei&#x017F;ten Wanzen für andere In&#x017F;ekten unbedingt tödtlich, für<lb/>
uns &#x017F;chmerzhaft macht. Es finden &#x017F;ich &#x017F;tets vier Harnkanäle. Die<lb/><hi rendition="#g">Tracheen</hi> &#x017F;ind &#x017F;ehr ver&#x017F;chieden angeordnet; bei den fliegenden Zir-<lb/>
pen und Wanzen aber oft mit großen, bla&#x017F;igen Erweiterungen ver-<lb/>
&#x017F;ehen.</p><lb/>
            <p>Die <hi rendition="#g">Eier&#x017F;töcke</hi> be&#x017F;tehen bei den mei&#x017F;ten aus vier bis acht quirl-<lb/>
förmig ge&#x017F;tellten Röhren, die nur wenige Kammern enthalten; nur<lb/>
die Blattflöhe und Zirpen haben &#x017F;ehr viele, auf verzweigten Eileitern<lb/>&#x017F;chelförmig &#x017F;tehende Eiröhren. Die Samenta&#x017F;che i&#x017F;t mei&#x017F;t einfach,<lb/>
lang, gewunden oder birnförmig hornig; eine Begattungsta&#x017F;che fehlt<lb/>
oft; Kittorgane &#x017F;ind wenig ausgebildet. Die <hi rendition="#g">männlichen Fort-<lb/>
pflanzungsorgane</hi> &#x017F;ind höch&#x017F;t mannichfaltig, die Hoden aus &#x017F;chlauch-<lb/>
förmigen Röhren in &#x017F;ehr wech&#x017F;elnder Zahl gebildet, die Ausführungs-<lb/>
gänge mei&#x017F;t lang, gewunden und mit ver&#x017F;chiedenen Drü&#x017F;enröhren be-<lb/>
&#x017F;etzt. Die Ruthe i&#x017F;t einfach röhrenförmig.</p><lb/>
            <p>Bei der Begattung &#x017F;itzen viele Schnabelkerfe nebeneinander. Aus<lb/>
den Eiern kommen Larven, die in Form, Gewohnheit, Lebensart,<lb/>
Nahrung den erwach&#x017F;enen Thieren &#x017F;ehr gleichen, aber &#x017F;tets flügellos<lb/>
und mei&#x017F;t mit zartem, &#x017F;eidenartigem Flaum bedeckt &#x017F;ind. Nach mehr-<lb/>
facher Häutung zeigen &#x017F;ich endlich die Flügel&#x017F;cheiden und &#x017F;päter die<lb/>
voll&#x017F;tändig ausgebildeten Flügel.</p><lb/>
            <p>Alle Schnabelkerfe &#x017F;augen Säfte, entweder von lebenden In&#x017F;ekten<lb/>
oder auch von Blättern. Die von Pflanzen&#x017F;äften lebenden wohnen<lb/>
mei&#x017F;t in Haufen zu&#x017F;ammen und verur&#x017F;achen durch ihre Stiche krank-<lb/>
hafte Entartungen der Gewäch&#x017F;e.</p><lb/>
            <p>Der Typus der Schnabelkerfe er&#x017F;cheint unter den fo&#x017F;&#x017F;ilen In&#x017F;ekten<lb/>
als einer der frühe&#x017F;ten. Im Jura finden &#x017F;ich große Wa&#x017F;&#x017F;erwanzen,<lb/>
einige Landwanzen und Singzirpen, al&#x017F;o im Ganzen mehr Familien<lb/>
&#x017F;üdlicher Gegenden, die Wälder und &#x017F;tehende Gewä&#x017F;&#x017F;er bewohnen.<lb/>
Die Kreide zeigt Blattläu&#x017F;e auf; die Binnen&#x017F;ee&#x2019;n und Sümpfe der<lb/>
Tertiärzeit Singzirpen, Schaumzirpen (<hi rendition="#aq">Cercopis</hi>), und zahlreiche<lb/>
Landwanzen, die denen der jetzigen Schöpfung &#x017F;ehr nahe treten.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[566/0572] und mit je zwei Ausführungsgängen verſehen, von welchen der eine ſogar bei einigen Arten in die Bauchhöhle hinabſteigt, um dann wie- der umzubiegen und im Schlunde zu münden. Offenbar ſondern die ſo zuſammengeſetzten Speichelapparate die Flüſſigkeit ab, welche den Stich der meiſten Wanzen für andere Inſekten unbedingt tödtlich, für uns ſchmerzhaft macht. Es finden ſich ſtets vier Harnkanäle. Die Tracheen ſind ſehr verſchieden angeordnet; bei den fliegenden Zir- pen und Wanzen aber oft mit großen, blaſigen Erweiterungen ver- ſehen. Die Eierſtöcke beſtehen bei den meiſten aus vier bis acht quirl- förmig geſtellten Röhren, die nur wenige Kammern enthalten; nur die Blattflöhe und Zirpen haben ſehr viele, auf verzweigten Eileitern büſchelförmig ſtehende Eiröhren. Die Samentaſche iſt meiſt einfach, lang, gewunden oder birnförmig hornig; eine Begattungstaſche fehlt oft; Kittorgane ſind wenig ausgebildet. Die männlichen Fort- pflanzungsorgane ſind höchſt mannichfaltig, die Hoden aus ſchlauch- förmigen Röhren in ſehr wechſelnder Zahl gebildet, die Ausführungs- gänge meiſt lang, gewunden und mit verſchiedenen Drüſenröhren be- ſetzt. Die Ruthe iſt einfach röhrenförmig. Bei der Begattung ſitzen viele Schnabelkerfe nebeneinander. Aus den Eiern kommen Larven, die in Form, Gewohnheit, Lebensart, Nahrung den erwachſenen Thieren ſehr gleichen, aber ſtets flügellos und meiſt mit zartem, ſeidenartigem Flaum bedeckt ſind. Nach mehr- facher Häutung zeigen ſich endlich die Flügelſcheiden und ſpäter die vollſtändig ausgebildeten Flügel. Alle Schnabelkerfe ſaugen Säfte, entweder von lebenden Inſekten oder auch von Blättern. Die von Pflanzenſäften lebenden wohnen meiſt in Haufen zuſammen und verurſachen durch ihre Stiche krank- hafte Entartungen der Gewächſe. Der Typus der Schnabelkerfe erſcheint unter den foſſilen Inſekten als einer der früheſten. Im Jura finden ſich große Waſſerwanzen, einige Landwanzen und Singzirpen, alſo im Ganzen mehr Familien ſüdlicher Gegenden, die Wälder und ſtehende Gewäſſer bewohnen. Die Kreide zeigt Blattläuſe auf; die Binnenſee’n und Sümpfe der Tertiärzeit Singzirpen, Schaumzirpen (Cercopis), und zahlreiche Landwanzen, die denen der jetzigen Schöpfung ſehr nahe treten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/572
Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 566. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/572>, abgerufen am 16.04.2024.