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Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797.

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hervorzubringen, besaß er zugleich eine ge¬
wisse Blödigkeit und Eingeschränktheit des
Geistes, bey welcher die Pflanze der Kunst
immer einen unterdrückten und gebrechlichen
Wuchs behält, und nie frey und gesund zum
Himmel emporschießen kann: eine unglück¬
liche Constellation der Gemüthskräfte, welche
schon manche Halbkünstler auf die Welt ge¬
setzt hat.

Antonio hatte sich schon nach verschiede¬
nen Meistern seiner Zeit geübt, und es war
ihm so weit gelungen, daß ihm selber die
Ähnlichkeit seiner Nachahmungen ungemeines
Vergnügen machte, und er über seine all¬
mähligen Fortschritte sehr genaue Rechnung
hielt. Endlich sah er einige Zeichnungen und
Gemählde Raphaels; er hatte seinen Namen
schon oft mit großen Lobeserhebungen aus¬
sprechen hören, und er schickte sich den Au¬
genblick an, nach den Werken dieses hoch¬

hervorzubringen, beſaß er zugleich eine ge¬
wiſſe Blödigkeit und Eingeſchränktheit des
Geiſtes, bey welcher die Pflanze der Kunſt
immer einen unterdrückten und gebrechlichen
Wuchs behält, und nie frey und geſund zum
Himmel emporſchießen kann: eine unglück¬
liche Conſtellation der Gemüthskräfte, welche
ſchon manche Halbkünſtler auf die Welt ge¬
ſetzt hat.

Antonio hatte ſich ſchon nach verſchiede¬
nen Meiſtern ſeiner Zeit geübt, und es war
ihm ſo weit gelungen, daß ihm ſelber die
Ähnlichkeit ſeiner Nachahmungen ungemeines
Vergnügen machte, und er über ſeine all¬
mähligen Fortſchritte ſehr genaue Rechnung
hielt. Endlich ſah er einige Zeichnungen und
Gemählde Raphaels; er hatte ſeinen Namen
ſchon oft mit großen Lobeserhebungen aus¬
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[42/0050] hervorzubringen, beſaß er zugleich eine ge¬ wiſſe Blödigkeit und Eingeſchränktheit des Geiſtes, bey welcher die Pflanze der Kunſt immer einen unterdrückten und gebrechlichen Wuchs behält, und nie frey und geſund zum Himmel emporſchießen kann: eine unglück¬ liche Conſtellation der Gemüthskräfte, welche ſchon manche Halbkünſtler auf die Welt ge¬ ſetzt hat. Antonio hatte ſich ſchon nach verſchiede¬ nen Meiſtern ſeiner Zeit geübt, und es war ihm ſo weit gelungen, daß ihm ſelber die Ähnlichkeit ſeiner Nachahmungen ungemeines Vergnügen machte, und er über ſeine all¬ mähligen Fortſchritte ſehr genaue Rechnung hielt. Endlich ſah er einige Zeichnungen und Gemählde Raphaels; er hatte ſeinen Namen ſchon oft mit großen Lobeserhebungen aus¬ ſprechen hören, und er ſchickte ſich den Au¬ genblick an, nach den Werken dieſes hoch¬

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Zitationshilfe: Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/50>, abgerufen am 24.04.2024.