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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823.

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Aphrodite ihre Opfer brachte, und die Hetären,
mild, wie ihr sanfter Himmel, im Arm der Wol-
lust, in tausend schwelgenden Genüssen die Triebe
freyer Männer wiegten. Einst war's der Sitz der
Schönheit, Kunst und Freude: der Reichthum warf
seine Fülle, wie Apfelblüthen, über diese jugendli-
che Stadt ... jetzt hatte die Armuth die gefall'nen
Brüder gebleicht wie zu Schatten und Gespenster.
Alles, was die Menschen gebaut und geordnet, ist
verschwunden: wie ein Fremdling klimmet der späte
Nachkomme um die Trümmer seiner Väter, und
doch lächelt der Himmel noch so rein wie vordem,
und das Meer rauscht ewig in seinen Ufern und
die Berge schauen ewig jung über die verwandelte
Erde.

Von Korinth schifft' ich nach Athen. Dort saß
ich Tagelang auf der Höhe der Akropolis und sah
durch die grauen Säulen und die jungen Lorbeere
hinüber zum bienenreichen Hymettos. Jch wandelte
an den verlassenen Ufern des Jlyssos, und des ge-
trockneten Kephissos, .... und durfte mir nicht
sagen: auch du bist ein Grieche.

Nun kam ich durch das alte Böotien, durch-
wandelte die Wälder und Haiden des dürren Aeto-

Aphrodite ihre Opfer brachte, und die Hetaͤren,
mild, wie ihr ſanfter Himmel, im Arm der Wol-
luſt, in tauſend ſchwelgenden Genuͤſſen die Triebe
freyer Maͤnner wiegten. Einſt war’s der Sitz der
Schoͤnheit, Kunſt und Freude: der Reichthum warf
ſeine Fuͤlle, wie Apfelbluͤthen, uͤber dieſe jugendli-
che Stadt … jetzt hatte die Armuth die gefall’nen
Bruͤder gebleicht wie zu Schatten und Geſpenſter.
Alles, was die Menſchen gebaut und geordnet, iſt
verſchwunden: wie ein Fremdling klimmet der ſpaͤte
Nachkomme um die Truͤmmer ſeiner Vaͤter, und
doch laͤchelt der Himmel noch ſo rein wie vordem,
und das Meer rauſcht ewig in ſeinen Ufern und
die Berge ſchauen ewig jung uͤber die verwandelte
Erde.

Von Korinth ſchifft’ ich nach Athen. Dort ſaß
ich Tagelang auf der Hoͤhe der Akropolis und ſah
durch die grauen Saͤulen und die jungen Lorbeere
hinuͤber zum bienenreichen Hymettos. Jch wandelte
an den verlaſſenen Ufern des Jlyſſos, und des ge-
trockneten Kephiſſos, .... und durfte mir nicht
ſagen: auch du biſt ein Grieche.

Nun kam ich durch das alte Boͤotien, durch-
wandelte die Waͤlder und Haiden des duͤrren Aeto-

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[28/0028] Aphrodite ihre Opfer brachte, und die Hetaͤren, mild, wie ihr ſanfter Himmel, im Arm der Wol- luſt, in tauſend ſchwelgenden Genuͤſſen die Triebe freyer Maͤnner wiegten. Einſt war’s der Sitz der Schoͤnheit, Kunſt und Freude: der Reichthum warf ſeine Fuͤlle, wie Apfelbluͤthen, uͤber dieſe jugendli- che Stadt … jetzt hatte die Armuth die gefall’nen Bruͤder gebleicht wie zu Schatten und Geſpenſter. Alles, was die Menſchen gebaut und geordnet, iſt verſchwunden: wie ein Fremdling klimmet der ſpaͤte Nachkomme um die Truͤmmer ſeiner Vaͤter, und doch laͤchelt der Himmel noch ſo rein wie vordem, und das Meer rauſcht ewig in ſeinen Ufern und die Berge ſchauen ewig jung uͤber die verwandelte Erde. Von Korinth ſchifft’ ich nach Athen. Dort ſaß ich Tagelang auf der Hoͤhe der Akropolis und ſah durch die grauen Saͤulen und die jungen Lorbeere hinuͤber zum bienenreichen Hymettos. Jch wandelte an den verlaſſenen Ufern des Jlyſſos, und des ge- trockneten Kephiſſos, .... und durfte mir nicht ſagen: auch du biſt ein Grieche. Nun kam ich durch das alte Boͤotien, durch- wandelte die Waͤlder und Haiden des duͤrren Aeto-

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/28>, abgerufen am 29.03.2024.