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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823.

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Da wandelt' ich wieder am königlichen Euro-
tas, und sah die Schwäne ziehen in seinem blauen
Gewässer im Schatten des Lorbeers. Die Burg
von Sparta lag vor meinem Auge. Von den wei-
ßen Höhen des Taygetos rollten donnernd die
Schneelawinen in die Thäler.

Ein alter Mann mit langem Barte saß am
Ufer unter einer jähen Felswand. Er schien in
tiefe Gedanken versunken.

Jch wünscht' ihm einen guten Abend. Er
schaute auf. Jch sah aus langen grauen Locken
ein altes, ehrwürdiges Gesicht, mit hoher, freyer
Stirne, mit feurigem Auge, voll edler Würde
blicken. Ein tiefer Gram schwebte, wie der Schat-
ten einer Wolke, um seinen Mund.

Er schaute mich lange unbeweglich an und
schien sich zu erfreuen an meinem Wesen. Dann
fragt' er mich: wer bist du?

Jch antwortete mit kühnem Stolz: ein Grieche!

Der Alte stutzte. Woher kommst du?

Von den Ruinen meiner Väter.

Da wandelt’ ich wieder am koͤniglichen Euro-
tas, und ſah die Schwaͤne ziehen in ſeinem blauen
Gewaͤſſer im Schatten des Lorbeers. Die Burg
von Sparta lag vor meinem Auge. Von den wei-
ßen Hoͤhen des Taygetos rollten donnernd die
Schneelawinen in die Thaͤler.

Ein alter Mann mit langem Barte ſaß am
Ufer unter einer jaͤhen Felswand. Er ſchien in
tiefe Gedanken verſunken.

Jch wuͤnſcht’ ihm einen guten Abend. Er
ſchaute auf. Jch ſah aus langen grauen Locken
ein altes, ehrwuͤrdiges Geſicht, mit hoher, freyer
Stirne, mit feurigem Auge, voll edler Wuͤrde
blicken. Ein tiefer Gram ſchwebte, wie der Schat-
ten einer Wolke, um ſeinen Mund.

Er ſchaute mich lange unbeweglich an und
ſchien ſich zu erfreuen an meinem Weſen. Dann
fragt’ er mich: wer biſt du?

Jch antwortete mit kuͤhnem Stolz: ein Grieche!

Der Alte ſtutzte. Woher kommſt du?

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[31/0031] Da wandelt’ ich wieder am koͤniglichen Euro- tas, und ſah die Schwaͤne ziehen in ſeinem blauen Gewaͤſſer im Schatten des Lorbeers. Die Burg von Sparta lag vor meinem Auge. Von den wei- ßen Hoͤhen des Taygetos rollten donnernd die Schneelawinen in die Thaͤler. Ein alter Mann mit langem Barte ſaß am Ufer unter einer jaͤhen Felswand. Er ſchien in tiefe Gedanken verſunken. Jch wuͤnſcht’ ihm einen guten Abend. Er ſchaute auf. Jch ſah aus langen grauen Locken ein altes, ehrwuͤrdiges Geſicht, mit hoher, freyer Stirne, mit feurigem Auge, voll edler Wuͤrde blicken. Ein tiefer Gram ſchwebte, wie der Schat- ten einer Wolke, um ſeinen Mund. Er ſchaute mich lange unbeweglich an und ſchien ſich zu erfreuen an meinem Weſen. Dann fragt’ er mich: wer biſt du? Jch antwortete mit kuͤhnem Stolz: ein Grieche! Der Alte ſtutzte. Woher kommſt du? Von den Ruinen meiner Vaͤter.

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/31>, abgerufen am 29.03.2024.