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Wander, Karl Friedrich Wilhelm (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Bd. 3. Leipzig, 1873.

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Ist der fehlende Quellennachweis bei hochdeutschen und fremdsprachlichen Sprichwörtern zu beklagen, so raubt er bei den mundartlichen dem Buche jeden wissenschaftlichen Werth. Tadelt der Freih. von Reinsberg an meinem Deutschen Sprichwörter-Lexi kon, dass sich angeblich von mir selbst "fabricirte" Sprichwörter darin finden, so ist ohne Quellenangabe der gesammte Inhalt seines Buchs gleich einem selbst fabricirten, da wir bei keinem Sprichwort eine andere Garantie besitzen, als, um mit der oben angeführten wiener Presse zu reden, Otto und Ida.

Dem Freih. von Reinsberg hat vielleicht die Idee eines mundartlichen Sprichwörterbuchs vorgeschwebt, die ich für sehr interessant halte und in deren Durchführung ich ein wissenschaftliches Verdienst erblicken würde, wenn ich auch glaube, dass sie zur Zeit noch nicht vollständig ausgeführt werden kann, weil es an den dazu unbedingt erforderlichen Hülfsmitteln gebricht; aber auch als Vorarbeit wäre sie dankenswerth, und ich würde sie mit Freude begrüsst haben, wenn sie mit der vorhandenen mundartlichen Literatur in Verbindung stände, resp. an sie anknüpfte, oder wenn sie die Sprichwörter eines Landes, einer bestimmten Gegend, aus dem Volksmunde geschöpft, dargestellt hätte, wie Baumgarten, Birlinger, Eichwald, Frischbier, Raabe, Sutermeister u. v. a. in eigenen Schriften, andere in den werthvollen Quellenwerken von Firmenich und Frommann gethan haben.

Die Ausführung eines grossen mundartlichen Werks beansprucht ein ganzes Menschenleben oder die Kräfte einer Gesellschaft für lange Zeit; denn sie setzt die Kenntniss, Durchforschung und Ausbeutung unserer gesammten mundartlichen Literatur, sie setzt für jede Hauptmundart ein gutes Wörterbuch und dann, auf diese begründet, ein Gesammtwörterbuch der deutschen Mundarten, ausserdem aber unterstützende Kräfte in allen Theilen Deutschlands, "wo die deutsche Zunge klingt", voraus. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, dann mag der mit der deutschen Sprache gründlich vertraute Herausgeber mit dem Wunsche an die Arbeit gehen: O dass ich tausend Zungen und - recht viel Sitzfleisch hätte! Ein Nomadenleben eignet sich für solche Arbeit nicht.

Ueber deutsche Gründlichkeit hat mir ein Schreiber, wie der in den Grenzboten, keinen Unterricht zu ertheilen; ich habe diese schon vor fünfzig Jahren als Lehrer consequent geübt. Federn, die in der Welt umherziehen, aus allen Bibliotheken etwas herausnaschen, um es in irgendeiner Zeitschrift abzulagern oder zu einem Buche zusammenzukneten, spreche ich jede Befugniss ab, über das zu urtheilen, was arbeiten heisst und was eine Arbeit ist.

Ich schliesse hier meine Zurückweisung eines leichtfertigen und völlig ungerechtfertigten Angriffs mit der Versicherung, dass ich nur mit Widerstreben darauf eingegangen bin. Aber ich habe es für eine Pflicht gehalten, die Ehre des gewissenhaften Schriftstellers zu vertheidigen. "Grob war's freilich", sage ich mit Börne, "aber was liegt daran, wie eine Katze die Maus abthut." Solchem Gebaren gegenüber hat die Bescheidenheit aufgehört, eine Tugend zu sein. Neben meinem Deutschen Sprichwörter-Lexikon haben noch viel andere Bücher Raum; wer aber den geordneten, durchgehends mittels Quellennachweis mit der Literatur in Verbindung gebrachten Sprichwörterschatz besitzen will, der wird, wenn er einen Blick in mein Deutsches Sprichwörter-Lexikon gethan und dann einen zweiten in das neu-wissenschaftliche Buch des Freih. von Reinsberg thut, insofern er überhaupt ein Urtheil in der Sache besitzt, in der Wahl nicht zweifelhaft sein können; denn während an jenem Fehler, Irrthümer und Mängel haften, ist dieses selbst ein einziger grosser Gesammtirrthum.

Auch diesem Bande habe ich wieder ein Verzeichniss derjenigen beigefügt, die mich freundlichst in der schweren Arbeit unterstützt haben, und ersuche sie, mir bis an den Schluss ihre Mitwirkung zu erhalten.

Ebenso ist eine Uebersicht der in diesem Bande enthaltenen Zusammenstellung sinnverwandter Sprichwörtergruppen gegeben.

Die Befürchtung, dass es unbeendet bleiben möchte, welche manche öffentliche Bibliotheken und Besitzer von Privatbibliotheken vom Ankauf des Werks abgehalten hat, wird nun wol ziemlich geschwunden sein, und ich darf wol hoffen, dass der deutsche Sprichwörterschatz in immer mehr Büchersälen einen Platz finden werde; ich darf hoffen, dass die Freunde desselben feindseligen Angriffen gegenüber um so kräftiger dafür wirken werden, dass es bald keine gute Bibliothek mehr gibt, in der man vergeblich danach fragt.

Der Druck des vierten Bandes hat bereits begonnen. Möchte es mir vergönnt sein, ihn zu beendigen und das reiche Material zu verarbeiten, was während des Drucks eingegangen ist und nicht mehr in die bereits im Druck beendigten Buchstaben zu bringen war!

Hermsdorf bei Warmbrunn, 24. Juni 1873.


K. F. W. Wander.
[Beginn Spaltensatz]

Ist der fehlende Quellennachweis bei hochdeutschen und fremdsprachlichen Sprichwörtern zu beklagen, so raubt er bei den mundartlichen dem Buche jeden wissenschaftlichen Werth. Tadelt der Freih. von Reinsberg an meinem Deutschen Sprichwörter-Lexi kon, dass sich angeblich von mir selbst „fabricirte“ Sprichwörter darin finden, so ist ohne Quellenangabe der gesammte Inhalt seines Buchs gleich einem selbst fabricirten, da wir bei keinem Sprichwort eine andere Garantie besitzen, als, um mit der oben angeführten wiener Presse zu reden, Otto und Ida.

Dem Freih. von Reinsberg hat vielleicht die Idee eines mundartlichen Sprichwörterbuchs vorgeschwebt, die ich für sehr interessant halte und in deren Durchführung ich ein wissenschaftliches Verdienst erblicken würde, wenn ich auch glaube, dass sie zur Zeit noch nicht vollständig ausgeführt werden kann, weil es an den dazu unbedingt erforderlichen Hülfsmitteln gebricht; aber auch als Vorarbeit wäre sie dankenswerth, und ich würde sie mit Freude begrüsst haben, wenn sie mit der vorhandenen mundartlichen Literatur in Verbindung stände, resp. an sie anknüpfte, oder wenn sie die Sprichwörter eines Landes, einer bestimmten Gegend, aus dem Volksmunde geschöpft, dargestellt hätte, wie Baumgarten, Birlinger, Eichwald, Frischbier, Raabe, Sutermeister u. v. a. in eigenen Schriften, andere in den werthvollen Quellenwerken von Firmenich und Frommann gethan haben.

Die Ausführung eines grossen mundartlichen Werks beansprucht ein ganzes Menschenleben oder die Kräfte einer Gesellschaft für lange Zeit; denn sie setzt die Kenntniss, Durchforschung und Ausbeutung unserer gesammten mundartlichen Literatur, sie setzt für jede Hauptmundart ein gutes Wörterbuch und dann, auf diese begründet, ein Gesammtwörterbuch der deutschen Mundarten, ausserdem aber unterstützende Kräfte in allen Theilen Deutschlands, „wo die deutsche Zunge klingt“, voraus. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, dann mag der mit der deutschen Sprache gründlich vertraute Herausgeber mit dem Wunsche an die Arbeit gehen: O dass ich tausend Zungen und – recht viel Sitzfleisch hätte! Ein Nomadenleben eignet sich für solche Arbeit nicht.

Ueber deutsche Gründlichkeit hat mir ein Schreiber, wie der in den Grenzboten, keinen Unterricht zu ertheilen; ich habe diese schon vor fünfzig Jahren als Lehrer consequent geübt. Federn, die in der Welt umherziehen, aus allen Bibliotheken etwas herausnaschen, um es in irgendeiner Zeitschrift abzulagern oder zu einem Buche zusammenzukneten, spreche ich jede Befugniss ab, über das zu urtheilen, was arbeiten heisst und was eine Arbeit ist.

Ich schliesse hier meine Zurückweisung eines leichtfertigen und völlig ungerechtfertigten Angriffs mit der Versicherung, dass ich nur mit Widerstreben darauf eingegangen bin. Aber ich habe es für eine Pflicht gehalten, die Ehre des gewissenhaften Schriftstellers zu vertheidigen. „Grob war's freilich“, sage ich mit Börne, „aber was liegt daran, wie eine Katze die Maus abthut.“ Solchem Gebaren gegenüber hat die Bescheidenheit aufgehört, eine Tugend zu sein. Neben meinem Deutschen Sprichwörter-Lexikon haben noch viel andere Bücher Raum; wer aber den geordneten, durchgehends mittels Quellennachweis mit der Literatur in Verbindung gebrachten Sprichwörterschatz besitzen will, der wird, wenn er einen Blick in mein Deutsches Sprichwörter-Lexikon gethan und dann einen zweiten in das neu-wissenschaftliche Buch des Freih. von Reinsberg thut, insofern er überhaupt ein Urtheil in der Sache besitzt, in der Wahl nicht zweifelhaft sein können; denn während an jenem Fehler, Irrthümer und Mängel haften, ist dieses selbst ein einziger grosser Gesammtirrthum.

Auch diesem Bande habe ich wieder ein Verzeichniss derjenigen beigefügt, die mich freundlichst in der schweren Arbeit unterstützt haben, und ersuche sie, mir bis an den Schluss ihre Mitwirkung zu erhalten.

Ebenso ist eine Uebersicht der in diesem Bande enthaltenen Zusammenstellung sinnverwandter Sprichwörtergruppen gegeben.

Die Befürchtung, dass es unbeendet bleiben möchte, welche manche öffentliche Bibliotheken und Besitzer von Privatbibliotheken vom Ankauf des Werks abgehalten hat, wird nun wol ziemlich geschwunden sein, und ich darf wol hoffen, dass der deutsche Sprichwörterschatz in immer mehr Büchersälen einen Platz finden werde; ich darf hoffen, dass die Freunde desselben feindseligen Angriffen gegenüber um so kräftiger dafür wirken werden, dass es bald keine gute Bibliothek mehr gibt, in der man vergeblich danach fragt.

Der Druck des vierten Bandes hat bereits begonnen. Möchte es mir vergönnt sein, ihn zu beendigen und das reiche Material zu verarbeiten, was während des Drucks eingegangen ist und nicht mehr in die bereits im Druck beendigten Buchstaben zu bringen war!

Hermsdorf bei Warmbrunn, 24. Juni 1873.


K. F. W. Wander.
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[XVI/0014] Ist der fehlende Quellennachweis bei hochdeutschen und fremdsprachlichen Sprichwörtern zu beklagen, so raubt er bei den mundartlichen dem Buche jeden wissenschaftlichen Werth. Tadelt der Freih. von Reinsberg an meinem Deutschen Sprichwörter-Lexi kon, dass sich angeblich von mir selbst „fabricirte“ Sprichwörter darin finden, so ist ohne Quellenangabe der gesammte Inhalt seines Buchs gleich einem selbst fabricirten, da wir bei keinem Sprichwort eine andere Garantie besitzen, als, um mit der oben angeführten wiener Presse zu reden, Otto und Ida. Dem Freih. von Reinsberg hat vielleicht die Idee eines mundartlichen Sprichwörterbuchs vorgeschwebt, die ich für sehr interessant halte und in deren Durchführung ich ein wissenschaftliches Verdienst erblicken würde, wenn ich auch glaube, dass sie zur Zeit noch nicht vollständig ausgeführt werden kann, weil es an den dazu unbedingt erforderlichen Hülfsmitteln gebricht; aber auch als Vorarbeit wäre sie dankenswerth, und ich würde sie mit Freude begrüsst haben, wenn sie mit der vorhandenen mundartlichen Literatur in Verbindung stände, resp. an sie anknüpfte, oder wenn sie die Sprichwörter eines Landes, einer bestimmten Gegend, aus dem Volksmunde geschöpft, dargestellt hätte, wie Baumgarten, Birlinger, Eichwald, Frischbier, Raabe, Sutermeister u. v. a. in eigenen Schriften, andere in den werthvollen Quellenwerken von Firmenich und Frommann gethan haben. Die Ausführung eines grossen mundartlichen Werks beansprucht ein ganzes Menschenleben oder die Kräfte einer Gesellschaft für lange Zeit; denn sie setzt die Kenntniss, Durchforschung und Ausbeutung unserer gesammten mundartlichen Literatur, sie setzt für jede Hauptmundart ein gutes Wörterbuch und dann, auf diese begründet, ein Gesammtwörterbuch der deutschen Mundarten, ausserdem aber unterstützende Kräfte in allen Theilen Deutschlands, „wo die deutsche Zunge klingt“, voraus. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, dann mag der mit der deutschen Sprache gründlich vertraute Herausgeber mit dem Wunsche an die Arbeit gehen: O dass ich tausend Zungen und – recht viel Sitzfleisch hätte! Ein Nomadenleben eignet sich für solche Arbeit nicht. Ueber deutsche Gründlichkeit hat mir ein Schreiber, wie der in den Grenzboten, keinen Unterricht zu ertheilen; ich habe diese schon vor fünfzig Jahren als Lehrer consequent geübt. Federn, die in der Welt umherziehen, aus allen Bibliotheken etwas herausnaschen, um es in irgendeiner Zeitschrift abzulagern oder zu einem Buche zusammenzukneten, spreche ich jede Befugniss ab, über das zu urtheilen, was arbeiten heisst und was eine Arbeit ist. Ich schliesse hier meine Zurückweisung eines leichtfertigen und völlig ungerechtfertigten Angriffs mit der Versicherung, dass ich nur mit Widerstreben darauf eingegangen bin. Aber ich habe es für eine Pflicht gehalten, die Ehre des gewissenhaften Schriftstellers zu vertheidigen. „Grob war's freilich“, sage ich mit Börne, „aber was liegt daran, wie eine Katze die Maus abthut.“ Solchem Gebaren gegenüber hat die Bescheidenheit aufgehört, eine Tugend zu sein. Neben meinem Deutschen Sprichwörter-Lexikon haben noch viel andere Bücher Raum; wer aber den geordneten, durchgehends mittels Quellennachweis mit der Literatur in Verbindung gebrachten Sprichwörterschatz besitzen will, der wird, wenn er einen Blick in mein Deutsches Sprichwörter-Lexikon gethan und dann einen zweiten in das neu-wissenschaftliche Buch des Freih. von Reinsberg thut, insofern er überhaupt ein Urtheil in der Sache besitzt, in der Wahl nicht zweifelhaft sein können; denn während an jenem Fehler, Irrthümer und Mängel haften, ist dieses selbst ein einziger grosser Gesammtirrthum. Auch diesem Bande habe ich wieder ein Verzeichniss derjenigen beigefügt, die mich freundlichst in der schweren Arbeit unterstützt haben, und ersuche sie, mir bis an den Schluss ihre Mitwirkung zu erhalten. Ebenso ist eine Uebersicht der in diesem Bande enthaltenen Zusammenstellung sinnverwandter Sprichwörtergruppen gegeben. Die Befürchtung, dass es unbeendet bleiben möchte, welche manche öffentliche Bibliotheken und Besitzer von Privatbibliotheken vom Ankauf des Werks abgehalten hat, wird nun wol ziemlich geschwunden sein, und ich darf wol hoffen, dass der deutsche Sprichwörterschatz in immer mehr Büchersälen einen Platz finden werde; ich darf hoffen, dass die Freunde desselben feindseligen Angriffen gegenüber um so kräftiger dafür wirken werden, dass es bald keine gute Bibliothek mehr gibt, in der man vergeblich danach fragt. Der Druck des vierten Bandes hat bereits begonnen. Möchte es mir vergönnt sein, ihn zu beendigen und das reiche Material zu verarbeiten, was während des Drucks eingegangen ist und nicht mehr in die bereits im Druck beendigten Buchstaben zu bringen war! Hermsdorf bei Warmbrunn, 24. Juni 1873. K. F. W. Wander.

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Zitationshilfe: Wander, Karl Friedrich Wilhelm (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Bd. 3. Leipzig, 1873, S. XVI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wander_sprichwoerterlexikon03_1873/14>, abgerufen am 29.03.2024.