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Wander, Karl Friedrich Wilhelm (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Bd. 3. Leipzig, 1873.

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[Spaltenumbruch] 52 Morgens Brei und nichts dabei; Mittags Zopp (Supp) und damit ob (auf); abends Moss (Mus) und ein kahler Foss (Fuss). - Schmitz, 180, 39.

Aus der Zeit, wo die Kartoffel noch nicht eingeführt war.

53 Morgens fängt der Tag an.

54 Niemand kann am Morgen sehen, was vor Abend wird geschehen. - Gaal, 1153.

Lat.: Nescia mens hominum fati, sortisque futurae. (Gaal, 1153.)

55 Niemand weiss, was der Morgen bringt. - Simrock, 7092; Eiselein, 172.

56 Niewlich Morjen, gauldich Owend. (Siebenbürg.-sächs.) - Schuster, 90.

57 Roth und brauner Morgen ist des Wanderers Sorgen. (Anhalt.)

58 Schon des Morgens sieht man, ob der Tag schön werden will. - Eiselein, 472.

Engl.: It is known from the dawn if it will be a flne or a bad day.

59 Vber Morgen kompt aber glück. - Henisch, 1664, 29.

60 Was man am Morgen beginnt, geht gut von statten.

Lat.: Mane quod occoeperis negotium agere, id totum procedit diem. (Philippi, I, 240.)

61 Was man am Morgen säet, geht acht Tage früher auf, als was man zu Abend säet.

62 Was man am Morgen thuet, kommt einem om nachts neune z' guet. (Deisslingen.) - Birlinger, 379.

63 Wenn er des Morgens aufsteht, so kann er sagen: Prosit Feierabend.

Von geschäftslosen Leuten und Müssiggängern.

64 Wenn es am Morgen ein Wetter (Gewitter) hat, so gibt es auf den Abend wieder eins.

Sprichwörtliche Witterungsregel.

65 Wer am Morge 's Bett nid macht, de wird den ganze Tag nid gra (fertig). - Sutermeister, 134.

66 Wer am Morgen lacht, weint am Abend.

Böhm.: Casto pod vecer place, kdo se smal z rana. (Celakovsky, 263.)

Frz.: Qui rit le matin, pleure le soir. (Leroux, II, 309.)

67 Wer am Morgen sterben soll, der lebt nicht bis zum Abend.

Holl.: Als hij in de derde nachtwake zult sterven, leeft hij niet tot de vijfde. (Harrebomee, II, 114b.)

68 Wer den Morgen verschläft, kommt um den ganzen Tag.

Frz.: Qui dort grasse matinee, trotte toute la journee. (Leroux, II, 296.)

Holl.: Die verslaapt zijn ochtendwerk, bedorven is zijn dagwerk. (Harrebomee, II, 132a.)

69 Wer des Morgens fruh aufsteht, sein Händ ins Wirthshauss waschen geht, der wol nimmer thut kaufen seins Nachbars Gut. - Chaos, 679.

70 Wer einen bösen Morgen haben soll, dem hilft's nicht, dass er spät aufsteht.

71 Wer nur zehn Morgen (Land) hat, schätzt es mehr als wer tausend Morgen (Dessätinen) besitzt.

Auch russisch.

72 Wer sich des Morgens die Zähne ausbeisst, kann am Abend nicht kauen. - Sprichwörtergarten, 286.

Wer seine Gesundheit in der Jugend zerstört, seine Güter verschwendet, der krankt oder darbt im Alter.

73 Z' Morgest a Reat'l (Morgenroth), z' Nachts a Keat'l (Köthel, Koth). (Unterinnthal.) - Frommann, VI, 34, 16.

*74 Den künft'gen Morgen füttert er mit heutigen Sorgen.

*75 Er behält den guten Morgen in der Tasche.

*76 Er war schon am frühen Morgen hungrig.

Er liess sich's vor der Zeit gelüsten.

*77 Gode Morge, Herr George! Schön Dank, Herr Frank! - Frischbier, 2659.

*78 Gode Morge, Tött, wer heft di gesage. (Stallupönen.)

Wenn jemand ungewaschen und ungekämmt oder mit Stroh und Federn behängt zum Vorschein kommt.

*79 Gode Morgen nöchtern (nüchtern), e halwet Kalw to Lief. (Stallupönen.)

[Spaltenumbruch] *80 Guden Girgen, Herr Murgen. - Robinson, 464.

*81 Guten Morgen.

D. h. ich wünsche einen guten Morgen; erster Tagesgruss. Andere Grüsse sind: Guten Tag, guten Abend, gute Nacht. Auch in den Grussformen spricht sich der Charakter eines Volks aus. Die Deutschen verbinden mit ihren Grüssen gern die Frage: Wie geht's? wodurch sie die Bewegung, das Streben nach einem unbestimmten Ziele, einem Ideale ausdrücken. Die Holländer grüssen mit der Frage: Wie reist Ihr? einer Formel, welche den Handelsgeist eines Volks kennzeichnet. Der Gruss der Engländer: How do you do? (Wie thun Sie?) drückt die fieberische Thätigkeit des materiellen und productiven Volks noch bezeichnender aus. Der französische Charakter wird durch die Grüsse: Bon jour und Comment vous portez-vous ausgedrückt. In Spanien, wo das Volk muselmanisches Blut in den Adern hat, begrüsst sich mit den Worten: Der Herr sei mit Euch! denen der Wunsch folgt: Muchos annos! (Möget Ihr lange leben!) Der Muselman grüsst: Möge dein Morgen gut sein! mit dem Zusatz: Wenn Gott es will. Bei den Hebräern bildet das Wort Salem (Friede!) den Grund aller Begrüssungen. Die persische Grussformel lautet sehr malerisch: Möge dein Schatten sich nie verringern! und ist bezeichnend für ein Volk, das fortwährend den Sonnenstrahlen ausgesetzt ist, für ein Land, wo Fächer und Sonnenschirm zu Zeichen und Sinnbildern der Macht erhoben sind. Auch die Grussformel der Aegypter kennzeichnet ihr heisses Klima. In dem Lande, wo Schwitzen Leben bedeutet, fragt man sich beim Begegnen: Schwitzt Ihr viel? Der Gruss der Chinesen erinnert an das deutsche: Wohl gespeist zu haben! Sie fragen: Habt Ihr Euern Reis gegessen? Oder: Seid Ihr mit Euerm Magen zufrieden? Die alten Griechen pflegten sich beim Begegnen zu sagen: Freue dich! Die jetzigen fragen mehr neugierig: Was thust du? Die ersten Römer kannten nur eine Formel der Begrüssung: Salve! (Sei stark!) Später fragte man: Quid agis dulcissime rerum? (Was thust du, süssestes der Dinge?). (Vgl. den Artikel Begrüssungsformeln der Völker, in der Presse, Wien 1865.)

Lat.: Ave quid noui. (Bovill, III, 197.)

*82 Guten Morgen, Herr Fischer. - Frischbier, 507; Frischbier2, 2568.

Diese in ganz Deutschland bekannt gewordene Redensart, die sogar den Stoff zu einem Lustspiele gegeben hat, soll in Königsberg entstanden sein, wo noch in den dreissiger Jahren dieses Jahrhunderts ein alter Candidat der Theologie dieses Namens lebte, auf den sie zurückgeführt wird. Wie man erzählt, pflegte er mit grossem Eifer die Bibel zu studiren, aber so, dass er, wie es leider sehr häufig geschieht, die Aussprüche derselben aus ihrem Zusammenhange herausriss und zu Lebensforderungen erhob. So fand er einmal die Stelle: "Und ich sage euch, auf der Strasse sollt ihr nicht stehen und die Leute grüssen!" Daran, dass diese Forderung eine Mahnung an die Apostel war, sich auf ihren Verkündigungsreisen nicht unnöthig aufzuhalten, Bekanntschaften anzuknüpfen und Einkehr zu halten, kümmerte er sich nicht. Er hielt es vielmehr fortan für eine unverzeihliche, wider die christliche Lehre verstossende Sünde, wenn sich Menschen auf der Strasse grüssten, und begriff gar nicht, wie es überhaupt erlaubt sein könne, da es doch in der Bibel verboten sei. Er vermied es daher von nun an sorgfältig, noch irgendjemand zu grüssen, und war sehr entrüstet, wenn er trotzdem von manchem gegrüsst wurde. Um diesem Aergernisse auszuweichen, ging er den ganzen Tag über nicht aus, ausser frühzeitig, wo er zu dem halarberger Brunnen wanderte, wo das beste Wasser in dem an trinkbarem Wasser armen Königsberg zu haben ist, um sich seinen Tagesbedarf an Trinkwasser zu holen. Bei diesem Gange begegnete der alte Candidat jedoch stets einer Anzahl von Arbeitern, die ihn unabänderlich mit den Worten grüssten: Guten Morgen, Herr Fischer! was sie natürlich erst recht thaten, als sie bemerkten, wie sehr sie den Candidaten dadurch aufbrachten. Besonders ärgerte er sich stets über einen Fleischergesellen, der mit einer vorzugsweise kräftigen Stentorstimme das "Guten Morgen, Herr Fischer!" ausrief. Da er nicht ausweichen konnte, das Wasser haben musste und das Aergerniss nicht länger ertragen wollte, so machte er eine Eingabe an den Magistrat, worin er sich über die unchristliche Neckerei des Grüssens beklagte, den Fleischergesellen als den Hauptübelthäter hervorhob und dessen Bestrafung beantragte. Da die Beschwerde ohne Erfolg blieb, so wandte er sich noch einmal an die Polizeibehörde, an die Regierung, das Ministerium und zuletzt an den König selbst, von wo an den Magistrat der Bescheid erging, man möge doch den Bittsteller zu beruhigen suchen. Alt, arm und kränklich war er inzwischen in das städtische Hospital gebracht worden. Das ihm dort angewiesene Zimmer, in dem er unermüdlich sass und studirte, verliess er nie wieder; ja er gestattete sogar nicht, dass es jemals gefegt werde, er streute eigenhändig alljährlich zwei Metzen Salz auf den Fussboden. Warum, erfuhr man nicht, vielleicht als Insektenpulver. Als er 1836 gestorben war, bestand sein Nachlass aus einigen Säcken voll winzig kleinen, von ihm selbst in so eigenthümlicher Schrift geschriebenen Heften, wahrer Däumlingsbücher, dass niemand

[Spaltenumbruch] 52 Morgens Brei und nichts dabei; Mittags Zopp (Supp) und damit ob (auf); abends Moss (Mus) und ein kahler Foss (Fuss).Schmitz, 180, 39.

Aus der Zeit, wo die Kartoffel noch nicht eingeführt war.

53 Morgens fängt der Tag an.

54 Niemand kann am Morgen sehen, was vor Abend wird geschehen.Gaal, 1153.

Lat.: Nescia mens hominum fati, sortisque futurae. (Gaal, 1153.)

55 Niemand weiss, was der Morgen bringt.Simrock, 7092; Eiselein, 172.

56 Niewlich Morjen, gûldich Owend. (Siebenbürg.-sächs.) – Schuster, 90.

57 Roth und brauner Morgen ist des Wanderers Sorgen. (Anhalt.)

58 Schon des Morgens sieht man, ob der Tag schön werden will.Eiselein, 472.

Engl.: It is known from the dawn if it will be a flne or a bad day.

59 Vber Morgen kompt aber glück.Henisch, 1664, 29.

60 Was man am Morgen beginnt, geht gut von statten.

Lat.: Mane quod occoeperis negotium agere, id totum procedit diem. (Philippi, I, 240.)

61 Was man am Morgen säet, geht acht Tage früher auf, als was man zu Abend säet.

62 Was man am Morgen thuet, kommt einem om nachts neune z' guet. (Deisslingen.) – Birlinger, 379.

63 Wenn er des Morgens aufsteht, so kann er sagen: Prosit Feierabend.

Von geschäftslosen Leuten und Müssiggängern.

64 Wenn es am Morgen ein Wetter (Gewitter) hat, so gibt es auf den Abend wieder eins.

Sprichwörtliche Witterungsregel.

65 Wer am Morge 's Bett nid macht, de wird den ganze Tag nid grâ (fertig).Sutermeister, 134.

66 Wer am Morgen lacht, weint am Abend.

Böhm.: Často pod večer pláče, kdo se smál z rána. (Čelakovský, 263.)

Frz.: Qui rit le matin, pleure le soir. (Leroux, II, 309.)

67 Wer am Morgen sterben soll, der lebt nicht bis zum Abend.

Holl.: Als hij in de derde nachtwake zult sterven, leeft hij niet tot de vijfde. (Harrebomée, II, 114b.)

68 Wer den Morgen verschläft, kommt um den ganzen Tag.

Frz.: Qui dort grasse matinée, trotte toute la journée. (Leroux, II, 296.)

Holl.: Die verslaapt zijn ochtendwerk, bedorven is zijn dagwerk. (Harrebomée, II, 132a.)

69 Wer des Morgens fruh aufsteht, sein Händ ins Wirthshauss waschen geht, der wol nimmer thut kaufen seins Nachbars Gut.Chaos, 679.

70 Wer einen bösen Morgen haben soll, dem hilft's nicht, dass er spät aufsteht.

71 Wer nur zehn Morgen (Land) hat, schätzt es mehr als wer tausend Morgen (Dessätinen) besitzt.

Auch russisch.

72 Wer sich des Morgens die Zähne ausbeisst, kann am Abend nicht kauen.Sprichwörtergarten, 286.

Wer seine Gesundheit in der Jugend zerstört, seine Güter verschwendet, der krankt oder darbt im Alter.

73 Z' Morgest a Reat'l (Morgenroth), z' Nachts a Keat'l (Köthel, Koth). (Unterinnthal.) – Frommann, VI, 34, 16.

*74 Den künft'gen Morgen füttert er mit heutigen Sorgen.

*75 Er behält den guten Morgen in der Tasche.

*76 Er war schon am frühen Morgen hungrig.

Er liess sich's vor der Zeit gelüsten.

*77 Gode Morge, Herr George! Schön Dank, Herr Frank!Frischbier, 2659.

*78 Gode Morge, Tött, wer heft di gesage. (Stallupönen.)

Wenn jemand ungewaschen und ungekämmt oder mit Stroh und Federn behängt zum Vorschein kommt.

*79 Gode Morgen nöchtern (nüchtern), e halwet Kalw to Lief. (Stallupönen.)

[Spaltenumbruch] *80 Guden Girgen, Herr Murgen.Robinson, 464.

*81 Guten Morgen.

D. h. ich wünsche einen guten Morgen; erster Tagesgruss. Andere Grüsse sind: Guten Tag, guten Abend, gute Nacht. Auch in den Grussformen spricht sich der Charakter eines Volks aus. Die Deutschen verbinden mit ihren Grüssen gern die Frage: Wie geht's? wodurch sie die Bewegung, das Streben nach einem unbestimmten Ziele, einem Ideale ausdrücken. Die Holländer grüssen mit der Frage: Wie reist Ihr? einer Formel, welche den Handelsgeist eines Volks kennzeichnet. Der Gruss der Engländer: How do you do? (Wie thun Sie?) drückt die fieberische Thätigkeit des materiellen und productiven Volks noch bezeichnender aus. Der französische Charakter wird durch die Grüsse: Bon jour und Comment vous portez-vous ausgedrückt. In Spanien, wo das Volk muselmanisches Blut in den Adern hat, begrüsst sich mit den Worten: Der Herr sei mit Euch! denen der Wunsch folgt: Muchos años! (Möget Ihr lange leben!) Der Muselman grüsst: Möge dein Morgen gut sein! mit dem Zusatz: Wenn Gott es will. Bei den Hebräern bildet das Wort Salem (Friede!) den Grund aller Begrüssungen. Die persische Grussformel lautet sehr malerisch: Möge dein Schatten sich nie verringern! und ist bezeichnend für ein Volk, das fortwährend den Sonnenstrahlen ausgesetzt ist, für ein Land, wo Fächer und Sonnenschirm zu Zeichen und Sinnbildern der Macht erhoben sind. Auch die Grussformel der Aegypter kennzeichnet ihr heisses Klima. In dem Lande, wo Schwitzen Leben bedeutet, fragt man sich beim Begegnen: Schwitzt Ihr viel? Der Gruss der Chinesen erinnert an das deutsche: Wohl gespeist zu haben! Sie fragen: Habt Ihr Euern Reis gegessen? Oder: Seid Ihr mit Euerm Magen zufrieden? Die alten Griechen pflegten sich beim Begegnen zu sagen: Freue dich! Die jetzigen fragen mehr neugierig: Was thust du? Die ersten Römer kannten nur eine Formel der Begrüssung: Salve! (Sei stark!) Später fragte man: Quid agis dulcissime rerum? (Was thust du, süssestes der Dinge?). (Vgl. den Artikel Begrüssungsformeln der Völker, in der Presse, Wien 1865.)

Lat.: Ave quid noui. (Bovill, III, 197.)

*82 Guten Morgen, Herr Fischer.Frischbier, 507; Frischbier2, 2568.

Diese in ganz Deutschland bekannt gewordene Redensart, die sogar den Stoff zu einem Lustspiele gegeben hat, soll in Königsberg entstanden sein, wo noch in den dreissiger Jahren dieses Jahrhunderts ein alter Candidat der Theologie dieses Namens lebte, auf den sie zurückgeführt wird. Wie man erzählt, pflegte er mit grossem Eifer die Bibel zu studiren, aber so, dass er, wie es leider sehr häufig geschieht, die Aussprüche derselben aus ihrem Zusammenhange herausriss und zu Lebensforderungen erhob. So fand er einmal die Stelle: „Und ich sage euch, auf der Strasse sollt ihr nicht stehen und die Leute grüssen!“ Daran, dass diese Forderung eine Mahnung an die Apostel war, sich auf ihren Verkündigungsreisen nicht unnöthig aufzuhalten, Bekanntschaften anzuknüpfen und Einkehr zu halten, kümmerte er sich nicht. Er hielt es vielmehr fortan für eine unverzeihliche, wider die christliche Lehre verstossende Sünde, wenn sich Menschen auf der Strasse grüssten, und begriff gar nicht, wie es überhaupt erlaubt sein könne, da es doch in der Bibel verboten sei. Er vermied es daher von nun an sorgfältig, noch irgendjemand zu grüssen, und war sehr entrüstet, wenn er trotzdem von manchem gegrüsst wurde. Um diesem Aergernisse auszuweichen, ging er den ganzen Tag über nicht aus, ausser frühzeitig, wo er zu dem halarberger Brunnen wanderte, wo das beste Wasser in dem an trinkbarem Wasser armen Königsberg zu haben ist, um sich seinen Tagesbedarf an Trinkwasser zu holen. Bei diesem Gange begegnete der alte Candidat jedoch stets einer Anzahl von Arbeitern, die ihn unabänderlich mit den Worten grüssten: Guten Morgen, Herr Fischer! was sie natürlich erst recht thaten, als sie bemerkten, wie sehr sie den Candidaten dadurch aufbrachten. Besonders ärgerte er sich stets über einen Fleischergesellen, der mit einer vorzugsweise kräftigen Stentorstimme das „Guten Morgen, Herr Fischer!“ ausrief. Da er nicht ausweichen konnte, das Wasser haben musste und das Aergerniss nicht länger ertragen wollte, so machte er eine Eingabe an den Magistrat, worin er sich über die unchristliche Neckerei des Grüssens beklagte, den Fleischergesellen als den Hauptübelthäter hervorhob und dessen Bestrafung beantragte. Da die Beschwerde ohne Erfolg blieb, so wandte er sich noch einmal an die Polizeibehörde, an die Regierung, das Ministerium und zuletzt an den König selbst, von wo an den Magistrat der Bescheid erging, man möge doch den Bittsteller zu beruhigen suchen. Alt, arm und kränklich war er inzwischen in das städtische Hospital gebracht worden. Das ihm dort angewiesene Zimmer, in dem er unermüdlich sass und studirte, verliess er nie wieder; ja er gestattete sogar nicht, dass es jemals gefegt werde, er streute eigenhändig alljährlich zwei Metzen Salz auf den Fussboden. Warum, erfuhr man nicht, vielleicht als Insektenpulver. Als er 1836 gestorben war, bestand sein Nachlass aus einigen Säcken voll winzig kleinen, von ihm selbst in so eigenthümlicher Schrift geschriebenen Heften, wahrer Däumlingsbücher, dass niemand

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          <p rendition="#et">Diese in ganz Deutschland bekannt gewordene Redensart, die sogar den Stoff zu einem Lustspiele gegeben hat, soll in Königsberg entstanden sein, wo noch in den dreissiger Jahren dieses Jahrhunderts ein alter Candidat der Theologie dieses Namens lebte, auf den sie zurückgeführt wird. Wie man erzählt, pflegte er mit grossem Eifer die Bibel zu studiren, aber so, dass er, wie es leider sehr häufig geschieht, die Aussprüche derselben aus ihrem Zusammenhange herausriss und zu Lebensforderungen erhob. So fand er einmal die Stelle: &#x201E;Und ich sage euch, auf der Strasse sollt ihr nicht stehen und die Leute grüssen!&#x201C; Daran, dass diese Forderung eine Mahnung an die Apostel war, sich auf ihren Verkündigungsreisen nicht unnöthig aufzuhalten, Bekanntschaften anzuknüpfen und Einkehr zu halten, kümmerte er sich nicht. Er hielt es vielmehr fortan für eine unverzeihliche, wider die christliche Lehre verstossende Sünde, wenn sich Menschen auf der Strasse grüssten, und begriff gar nicht, wie es überhaupt erlaubt sein könne, da es doch in der Bibel verboten sei. Er vermied es daher von nun an sorgfältig, noch irgendjemand zu grüssen, und war sehr entrüstet, wenn er trotzdem von manchem gegrüsst wurde. Um diesem Aergernisse auszuweichen, ging er den ganzen Tag über nicht aus, ausser frühzeitig, wo er zu dem halarberger Brunnen wanderte, wo das beste Wasser in dem an trinkbarem Wasser armen Königsberg zu haben ist, um sich seinen Tagesbedarf an Trinkwasser zu holen. Bei diesem Gange begegnete der alte Candidat jedoch stets einer Anzahl von Arbeitern, die ihn unabänderlich mit den Worten grüssten: Guten Morgen, Herr Fischer! was sie natürlich erst recht thaten, als sie bemerkten, wie sehr sie den Candidaten dadurch aufbrachten. Besonders ärgerte er sich stets über einen Fleischergesellen, der mit einer vorzugsweise kräftigen Stentorstimme das &#x201E;Guten Morgen, Herr Fischer!&#x201C; ausrief. Da er nicht ausweichen konnte, das Wasser haben musste und das Aergerniss nicht länger ertragen wollte, so machte er eine Eingabe an den Magistrat, worin er sich über die unchristliche Neckerei des Grüssens beklagte, den Fleischergesellen als den Hauptübelthäter hervorhob und dessen Bestrafung beantragte. Da die Beschwerde ohne Erfolg blieb, so wandte er sich noch einmal an die Polizeibehörde, an die Regierung, das Ministerium und zuletzt an den König selbst, von wo an den Magistrat der Bescheid erging, man möge doch den Bittsteller zu beruhigen suchen. Alt, arm und kränklich war er inzwischen in das städtische Hospital gebracht worden. Das ihm dort angewiesene Zimmer, in dem er unermüdlich sass und studirte, verliess er nie wieder; ja er gestattete sogar nicht, dass es jemals gefegt werde, er streute eigenhändig alljährlich zwei Metzen Salz auf den Fussboden. Warum, erfuhr man nicht, vielleicht als Insektenpulver. Als er 1836 gestorben war, bestand sein Nachlass aus einigen Säcken voll winzig kleinen, von ihm selbst in so eigenthümlicher Schrift geschriebenen Heften, wahrer Däumlingsbücher, dass niemand
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[[363]/0377] 52 Morgens Brei und nichts dabei; Mittags Zopp (Supp) und damit ob (auf); abends Moss (Mus) und ein kahler Foss (Fuss). – Schmitz, 180, 39. Aus der Zeit, wo die Kartoffel noch nicht eingeführt war. 53 Morgens fängt der Tag an. 54 Niemand kann am Morgen sehen, was vor Abend wird geschehen. – Gaal, 1153. Lat.: Nescia mens hominum fati, sortisque futurae. (Gaal, 1153.) 55 Niemand weiss, was der Morgen bringt. – Simrock, 7092; Eiselein, 172. 56 Niewlich Morjen, gûldich Owend. (Siebenbürg.-sächs.) – Schuster, 90. 57 Roth und brauner Morgen ist des Wanderers Sorgen. (Anhalt.) 58 Schon des Morgens sieht man, ob der Tag schön werden will. – Eiselein, 472. Engl.: It is known from the dawn if it will be a flne or a bad day. 59 Vber Morgen kompt aber glück. – Henisch, 1664, 29. 60 Was man am Morgen beginnt, geht gut von statten. Lat.: Mane quod occoeperis negotium agere, id totum procedit diem. (Philippi, I, 240.) 61 Was man am Morgen säet, geht acht Tage früher auf, als was man zu Abend säet. 62 Was man am Morgen thuet, kommt einem om nachts neune z' guet. (Deisslingen.) – Birlinger, 379. 63 Wenn er des Morgens aufsteht, so kann er sagen: Prosit Feierabend. Von geschäftslosen Leuten und Müssiggängern. 64 Wenn es am Morgen ein Wetter (Gewitter) hat, so gibt es auf den Abend wieder eins. Sprichwörtliche Witterungsregel. 65 Wer am Morge 's Bett nid macht, de wird den ganze Tag nid grâ (fertig). – Sutermeister, 134. 66 Wer am Morgen lacht, weint am Abend. Böhm.: Často pod večer pláče, kdo se smál z rána. (Čelakovský, 263.) Frz.: Qui rit le matin, pleure le soir. (Leroux, II, 309.) 67 Wer am Morgen sterben soll, der lebt nicht bis zum Abend. Holl.: Als hij in de derde nachtwake zult sterven, leeft hij niet tot de vijfde. (Harrebomée, II, 114b.) 68 Wer den Morgen verschläft, kommt um den ganzen Tag. Frz.: Qui dort grasse matinée, trotte toute la journée. (Leroux, II, 296.) Holl.: Die verslaapt zijn ochtendwerk, bedorven is zijn dagwerk. (Harrebomée, II, 132a.) 69 Wer des Morgens fruh aufsteht, sein Händ ins Wirthshauss waschen geht, der wol nimmer thut kaufen seins Nachbars Gut. – Chaos, 679. 70 Wer einen bösen Morgen haben soll, dem hilft's nicht, dass er spät aufsteht. 71 Wer nur zehn Morgen (Land) hat, schätzt es mehr als wer tausend Morgen (Dessätinen) besitzt. Auch russisch. 72 Wer sich des Morgens die Zähne ausbeisst, kann am Abend nicht kauen. – Sprichwörtergarten, 286. Wer seine Gesundheit in der Jugend zerstört, seine Güter verschwendet, der krankt oder darbt im Alter. 73 Z' Morgest a Reat'l (Morgenroth), z' Nachts a Keat'l (Köthel, Koth). (Unterinnthal.) – Frommann, VI, 34, 16. *74 Den künft'gen Morgen füttert er mit heutigen Sorgen. *75 Er behält den guten Morgen in der Tasche. *76 Er war schon am frühen Morgen hungrig. Er liess sich's vor der Zeit gelüsten. *77 Gode Morge, Herr George! Schön Dank, Herr Frank! – Frischbier, 2659. *78 Gode Morge, Tött, wer heft di gesage. (Stallupönen.) Wenn jemand ungewaschen und ungekämmt oder mit Stroh und Federn behängt zum Vorschein kommt. *79 Gode Morgen nöchtern (nüchtern), e halwet Kalw to Lief. (Stallupönen.) *80 Guden Girgen, Herr Murgen. – Robinson, 464. *81 Guten Morgen. D. h. ich wünsche einen guten Morgen; erster Tagesgruss. Andere Grüsse sind: Guten Tag, guten Abend, gute Nacht. Auch in den Grussformen spricht sich der Charakter eines Volks aus. Die Deutschen verbinden mit ihren Grüssen gern die Frage: Wie geht's? wodurch sie die Bewegung, das Streben nach einem unbestimmten Ziele, einem Ideale ausdrücken. Die Holländer grüssen mit der Frage: Wie reist Ihr? einer Formel, welche den Handelsgeist eines Volks kennzeichnet. Der Gruss der Engländer: How do you do? (Wie thun Sie?) drückt die fieberische Thätigkeit des materiellen und productiven Volks noch bezeichnender aus. Der französische Charakter wird durch die Grüsse: Bon jour und Comment vous portez-vous ausgedrückt. In Spanien, wo das Volk muselmanisches Blut in den Adern hat, begrüsst sich mit den Worten: Der Herr sei mit Euch! denen der Wunsch folgt: Muchos años! (Möget Ihr lange leben!) Der Muselman grüsst: Möge dein Morgen gut sein! mit dem Zusatz: Wenn Gott es will. Bei den Hebräern bildet das Wort Salem (Friede!) den Grund aller Begrüssungen. Die persische Grussformel lautet sehr malerisch: Möge dein Schatten sich nie verringern! und ist bezeichnend für ein Volk, das fortwährend den Sonnenstrahlen ausgesetzt ist, für ein Land, wo Fächer und Sonnenschirm zu Zeichen und Sinnbildern der Macht erhoben sind. Auch die Grussformel der Aegypter kennzeichnet ihr heisses Klima. In dem Lande, wo Schwitzen Leben bedeutet, fragt man sich beim Begegnen: Schwitzt Ihr viel? Der Gruss der Chinesen erinnert an das deutsche: Wohl gespeist zu haben! Sie fragen: Habt Ihr Euern Reis gegessen? Oder: Seid Ihr mit Euerm Magen zufrieden? Die alten Griechen pflegten sich beim Begegnen zu sagen: Freue dich! Die jetzigen fragen mehr neugierig: Was thust du? Die ersten Römer kannten nur eine Formel der Begrüssung: Salve! (Sei stark!) Später fragte man: Quid agis dulcissime rerum? (Was thust du, süssestes der Dinge?). (Vgl. den Artikel Begrüssungsformeln der Völker, in der Presse, Wien 1865.) Lat.: Ave quid noui. (Bovill, III, 197.) *82 Guten Morgen, Herr Fischer. – Frischbier, 507; Frischbier2, 2568. Diese in ganz Deutschland bekannt gewordene Redensart, die sogar den Stoff zu einem Lustspiele gegeben hat, soll in Königsberg entstanden sein, wo noch in den dreissiger Jahren dieses Jahrhunderts ein alter Candidat der Theologie dieses Namens lebte, auf den sie zurückgeführt wird. Wie man erzählt, pflegte er mit grossem Eifer die Bibel zu studiren, aber so, dass er, wie es leider sehr häufig geschieht, die Aussprüche derselben aus ihrem Zusammenhange herausriss und zu Lebensforderungen erhob. So fand er einmal die Stelle: „Und ich sage euch, auf der Strasse sollt ihr nicht stehen und die Leute grüssen!“ Daran, dass diese Forderung eine Mahnung an die Apostel war, sich auf ihren Verkündigungsreisen nicht unnöthig aufzuhalten, Bekanntschaften anzuknüpfen und Einkehr zu halten, kümmerte er sich nicht. Er hielt es vielmehr fortan für eine unverzeihliche, wider die christliche Lehre verstossende Sünde, wenn sich Menschen auf der Strasse grüssten, und begriff gar nicht, wie es überhaupt erlaubt sein könne, da es doch in der Bibel verboten sei. Er vermied es daher von nun an sorgfältig, noch irgendjemand zu grüssen, und war sehr entrüstet, wenn er trotzdem von manchem gegrüsst wurde. Um diesem Aergernisse auszuweichen, ging er den ganzen Tag über nicht aus, ausser frühzeitig, wo er zu dem halarberger Brunnen wanderte, wo das beste Wasser in dem an trinkbarem Wasser armen Königsberg zu haben ist, um sich seinen Tagesbedarf an Trinkwasser zu holen. Bei diesem Gange begegnete der alte Candidat jedoch stets einer Anzahl von Arbeitern, die ihn unabänderlich mit den Worten grüssten: Guten Morgen, Herr Fischer! was sie natürlich erst recht thaten, als sie bemerkten, wie sehr sie den Candidaten dadurch aufbrachten. Besonders ärgerte er sich stets über einen Fleischergesellen, der mit einer vorzugsweise kräftigen Stentorstimme das „Guten Morgen, Herr Fischer!“ ausrief. Da er nicht ausweichen konnte, das Wasser haben musste und das Aergerniss nicht länger ertragen wollte, so machte er eine Eingabe an den Magistrat, worin er sich über die unchristliche Neckerei des Grüssens beklagte, den Fleischergesellen als den Hauptübelthäter hervorhob und dessen Bestrafung beantragte. Da die Beschwerde ohne Erfolg blieb, so wandte er sich noch einmal an die Polizeibehörde, an die Regierung, das Ministerium und zuletzt an den König selbst, von wo an den Magistrat der Bescheid erging, man möge doch den Bittsteller zu beruhigen suchen. Alt, arm und kränklich war er inzwischen in das städtische Hospital gebracht worden. Das ihm dort angewiesene Zimmer, in dem er unermüdlich sass und studirte, verliess er nie wieder; ja er gestattete sogar nicht, dass es jemals gefegt werde, er streute eigenhändig alljährlich zwei Metzen Salz auf den Fussboden. Warum, erfuhr man nicht, vielleicht als Insektenpulver. Als er 1836 gestorben war, bestand sein Nachlass aus einigen Säcken voll winzig kleinen, von ihm selbst in so eigenthümlicher Schrift geschriebenen Heften, wahrer Däumlingsbücher, dass niemand

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Zitationshilfe: Wander, Karl Friedrich Wilhelm (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Bd. 3. Leipzig, 1873, S. [363]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wander_sprichwoerterlexikon03_1873/377>, abgerufen am 29.03.2024.