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Wanderley, Germano: Handbuch der Bauconstruktionslehre. 2. Aufl. Bd. 2. Die Constructionen in Stein. Leipzig, 1878.

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Das Tonnengewölbe.

Andere Entwickelungen mit Anwendung der Wangen und der
scheitelrechten Gewölbe enthalten noch die Muldengewölbe und die
Spiegelgewölbe, welche wir weiter unten näher betrachten.

I. Das Tonnengewölbe,

auch Cylinder-, Zirkel- oder Kufengewölbe genannt, wird
im Wasser- und Brückenbauwefen gerne angewendet, da es sich leicht
herstellen läßt und von allen Gewölben die größte Tragfähigkeit be-
sitzt; im Hochbauwesen wurde das Tonnengewölbe früher sehr häufig
benutzt, jetzt findet es in Deutschland nur selten, desto öfter aber in
Oesterreich Verwendung zur Ueberdeckung der Kellerräume, Gänge
und Magazine, obgleich hierfür andere Gewölbearten meistens zweck-
mäßiger sind.

1) Form des Tonnengewölbes. Die Tonnengewölbe sind
liegende halbe Cylinder; eine Cylinderfläche entsteht, wenn eine gerade
Linie, eine Curve berührend, sich fortbewewegt und dabei parallel mit
ihrer ersten Lage bleibt. Die gerade Linie heißt die Erzeugende,
die Curve hingegen die Leitlinie. Ist die Curve ein Kreis oder
eine Ellipse und steht deren Ebene senkrecht auf der Erzeugenden, so
entsteht ein kreisförmiger oder elliptischer Cylinder (Tonne), und die
durch den Mittelpunkt des Kreises oder der Ellipse gedachte Gerade
heißt Axe oder Drehaxe des Cylinders.

Man kann sich eine Cylinderfläche auch auf eine zweite Art ent-
standen denken, indem sich nämlich eine Curve auf der genannten
Axe so fortbewegt, daß sie immer parallel in ihrer ersten Lage bleibt.
Bei dieser Erzeugungsart ist die Axe die Leitlinie und die Curve die
Erzeugende. Bewegt sich nun nach diesem Gesetze ein Halbkreis, dessen
Verbindungslinien der Endpunkte horizontal ist, an einer durch dessen
Mittelpunkt gehenden Geraden fort, so entsteht die Leitungsfläche für
das halbkreisförmige Tonnengewölbe. Ist die Wölblinie
eine halbe Ellipse, so heißt das Gewölbe ein elliptisches Tonnen-
gewölbe
, und je nach der horizontalen Lage der großen oder
kleinen Axe, unterscheidet man ein flaches und ein überhöhtes
elliptisches
Tonnengewölbe. Statt der Ellipse wird sehr häufig ein
Korbbogen für die Wölbungslinie vorgezogen, weil die Bestimmung
der Fugenrichtung bei letzterem bequemer ist und weil der Korbbogen
bei der Unbestimmtheit seiner Form einen sehr großen Spielraum in

Das Tonnengewölbe.

Andere Entwickelungen mit Anwendung der Wangen und der
ſcheitelrechten Gewölbe enthalten noch die Muldengewölbe und die
Spiegelgewölbe, welche wir weiter unten näher betrachten.

I. Das Tonnengewölbe,

auch Cylinder-, Zirkel- oder Kufengewölbe genannt, wird
im Waſſer- und Brückenbauwefen gerne angewendet, da es ſich leicht
herſtellen läßt und von allen Gewölben die größte Tragfähigkeit be-
ſitzt; im Hochbauweſen wurde das Tonnengewölbe früher ſehr häufig
benutzt, jetzt findet es in Deutſchland nur ſelten, deſto öfter aber in
Oeſterreich Verwendung zur Ueberdeckung der Kellerräume, Gänge
und Magazine, obgleich hierfür andere Gewölbearten meiſtens zweck-
mäßiger ſind.

1) Form des Tonnengewölbes. Die Tonnengewölbe ſind
liegende halbe Cylinder; eine Cylinderfläche entſteht, wenn eine gerade
Linie, eine Curve berührend, ſich fortbewewegt und dabei parallel mit
ihrer erſten Lage bleibt. Die gerade Linie heißt die Erzeugende,
die Curve hingegen die Leitlinie. Iſt die Curve ein Kreis oder
eine Ellipſe und ſteht deren Ebene ſenkrecht auf der Erzeugenden, ſo
entſteht ein kreisförmiger oder elliptiſcher Cylinder (Tonne), und die
durch den Mittelpunkt des Kreiſes oder der Ellipſe gedachte Gerade
heißt Axe oder Drehaxe des Cylinders.

Man kann ſich eine Cylinderfläche auch auf eine zweite Art ent-
ſtanden denken, indem ſich nämlich eine Curve auf der genannten
Axe ſo fortbewegt, daß ſie immer parallel in ihrer erſten Lage bleibt.
Bei dieſer Erzeugungsart iſt die Axe die Leitlinie und die Curve die
Erzeugende. Bewegt ſich nun nach dieſem Geſetze ein Halbkreis, deſſen
Verbindungslinien der Endpunkte horizontal iſt, an einer durch deſſen
Mittelpunkt gehenden Geraden fort, ſo entſteht die Leitungsfläche für
das halbkreisförmige Tonnengewölbe. Iſt die Wölblinie
eine halbe Ellipſe, ſo heißt das Gewölbe ein elliptiſches Tonnen-
gewölbe
, und je nach der horizontalen Lage der großen oder
kleinen Axe, unterſcheidet man ein flaches und ein überhöhtes
elliptiſches
Tonnengewölbe. Statt der Ellipſe wird ſehr häufig ein
Korbbogen für die Wölbungslinie vorgezogen, weil die Beſtimmung
der Fugenrichtung bei letzterem bequemer iſt und weil der Korbbogen
bei der Unbeſtimmtheit ſeiner Form einen ſehr großen Spielraum in

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[255/0271] Das Tonnengewölbe. Andere Entwickelungen mit Anwendung der Wangen und der ſcheitelrechten Gewölbe enthalten noch die Muldengewölbe und die Spiegelgewölbe, welche wir weiter unten näher betrachten. I. Das Tonnengewölbe, auch Cylinder-, Zirkel- oder Kufengewölbe genannt, wird im Waſſer- und Brückenbauwefen gerne angewendet, da es ſich leicht herſtellen läßt und von allen Gewölben die größte Tragfähigkeit be- ſitzt; im Hochbauweſen wurde das Tonnengewölbe früher ſehr häufig benutzt, jetzt findet es in Deutſchland nur ſelten, deſto öfter aber in Oeſterreich Verwendung zur Ueberdeckung der Kellerräume, Gänge und Magazine, obgleich hierfür andere Gewölbearten meiſtens zweck- mäßiger ſind. 1) Form des Tonnengewölbes. Die Tonnengewölbe ſind liegende halbe Cylinder; eine Cylinderfläche entſteht, wenn eine gerade Linie, eine Curve berührend, ſich fortbewewegt und dabei parallel mit ihrer erſten Lage bleibt. Die gerade Linie heißt die Erzeugende, die Curve hingegen die Leitlinie. Iſt die Curve ein Kreis oder eine Ellipſe und ſteht deren Ebene ſenkrecht auf der Erzeugenden, ſo entſteht ein kreisförmiger oder elliptiſcher Cylinder (Tonne), und die durch den Mittelpunkt des Kreiſes oder der Ellipſe gedachte Gerade heißt Axe oder Drehaxe des Cylinders. Man kann ſich eine Cylinderfläche auch auf eine zweite Art ent- ſtanden denken, indem ſich nämlich eine Curve auf der genannten Axe ſo fortbewegt, daß ſie immer parallel in ihrer erſten Lage bleibt. Bei dieſer Erzeugungsart iſt die Axe die Leitlinie und die Curve die Erzeugende. Bewegt ſich nun nach dieſem Geſetze ein Halbkreis, deſſen Verbindungslinien der Endpunkte horizontal iſt, an einer durch deſſen Mittelpunkt gehenden Geraden fort, ſo entſteht die Leitungsfläche für das halbkreisförmige Tonnengewölbe. Iſt die Wölblinie eine halbe Ellipſe, ſo heißt das Gewölbe ein elliptiſches Tonnen- gewölbe, und je nach der horizontalen Lage der großen oder kleinen Axe, unterſcheidet man ein flaches und ein überhöhtes elliptiſches Tonnengewölbe. Statt der Ellipſe wird ſehr häufig ein Korbbogen für die Wölbungslinie vorgezogen, weil die Beſtimmung der Fugenrichtung bei letzterem bequemer iſt und weil der Korbbogen bei der Unbeſtimmtheit ſeiner Form einen ſehr großen Spielraum in

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Zitationshilfe: Wanderley, Germano: Handbuch der Bauconstruktionslehre. 2. Aufl. Bd. 2. Die Constructionen in Stein. Leipzig, 1878, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wanderley_bauconstructionslehre02_1878/271>, abgerufen am 28.03.2024.