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Weber, Max: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburg (Breisgau) u. a., 1895.

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Kraft seiner politischen Jnstinkte eins der gewaltigsten Kapitalien,
welche im Dienst der Machtinteressen des Staates verwendet werden
konnten. - Sie haben ihre Arbeit geleistet und liegen heute im
ökonomischen Todeskampf, aus dem keine Wirtschaftspolitik des
Staates sie zu ihrem alten sozialen Charakter zurückführen könnte.
Und auch die Aufgaben der Gegenwart sind andere, als solche,
die von ihnen gelöst werden könnten. Ein Vierteljahrhundert
stand an der Spitze Deutschlands der letzte und größte der Junker,
und die Tragik, welche seiner staatsmännischen Laufbahn neben
ihrer unvergleichlichen Größe anhaftete und die sich heute noch
immer dem Blick Vieler entzieht, wird die Zukunft wohl darin
finden, daß unter ihm das Werk seiner Hände, die Nation, der
er die Einheit gab, langsam und unwiderstehlich ihre ökonomische
Struktur veränderte und eine andere wurde, ein Volk, das
andere Ordnungen fordern mußte, als solche, die er ihm geben
und denen seine cäsarische Natur sich einfügen konnte. Jm
letzten Grund ist eben dies es gewesen, was das teilweise Scheitern
seines Lebenswerkes herbeigeführt hat. Denn dieses Lebenswerk
hätte doch nicht nur zur äußeren, sondern auch zur inneren
Einigung der Nation führen sollen und jeder von uns weiß:
das ist nicht erreicht. Es konnte mit seinen Mitteln nicht erreicht
werden. Und als er im Winter letzten Jahres, umstrickt
von der Huld seines Monarchen, in die geschmückte Reichs-
hauptstadt einzog, da - ich weiß es wohl - gab es viele,
welche so empfanden, als öffne der Sachsenwald wie ein
moderner Kyffhäuser seine Tiefen. Allein nicht Alle haben diese
Empfindung geteilt. Denn es schien, als sei in der Luft des
Januartages der kalte Hauch geschichtlicher Vergänglichkeit zu
spüren. Uns überkam ein eigenartig beklemmendes Gefühl, - als

Kraft ſeiner politiſchen Jnſtinkte eins der gewaltigſten Kapitalien,
welche im Dienſt der Machtintereſſen des Staates verwendet werden
konnten. – Sie haben ihre Arbeit geleiſtet und liegen heute im
ökonomiſchen Todeskampf, aus dem keine Wirtſchaftspolitik des
Staates ſie zu ihrem alten ſozialen Charakter zurückführen könnte.
Und auch die Aufgaben der Gegenwart ſind andere, als ſolche,
die von ihnen gelöſt werden könnten. Ein Vierteljahrhundert
ſtand an der Spitze Deutſchlands der letzte und größte der Junker,
und die Tragik, welche ſeiner ſtaatsmänniſchen Laufbahn neben
ihrer unvergleichlichen Größe anhaftete und die ſich heute noch
immer dem Blick Vieler entzieht, wird die Zukunft wohl darin
finden, daß unter ihm das Werk ſeiner Hände, die Nation, der
er die Einheit gab, langſam und unwiderſtehlich ihre ökonomiſche
Struktur veränderte und eine andere wurde, ein Volk, das
andere Ordnungen fordern mußte, als ſolche, die er ihm geben
und denen ſeine cäſariſche Natur ſich einfügen konnte. Jm
letzten Grund iſt eben dies es geweſen, was das teilweiſe Scheitern
ſeines Lebenswerkes herbeigeführt hat. Denn dieſes Lebenswerk
hätte doch nicht nur zur äußeren, ſondern auch zur inneren
Einigung der Nation führen ſollen und jeder von uns weiß:
das iſt nicht erreicht. Es konnte mit ſeinen Mitteln nicht erreicht
werden. Und als er im Winter letzten Jahres, umſtrickt
von der Huld ſeines Monarchen, in die geſchmückte Reichs-
hauptſtadt einzog, da – ich weiß es wohl – gab es viele,
welche ſo empfanden, als öffne der Sachſenwald wie ein
moderner Kyffhäuſer ſeine Tiefen. Allein nicht Alle haben dieſe
Empfindung geteilt. Denn es ſchien, als ſei in der Luft des
Januartages der kalte Hauch geſchichtlicher Vergänglichkeit zu
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[27/0033] Kraft ſeiner politiſchen Jnſtinkte eins der gewaltigſten Kapitalien, welche im Dienſt der Machtintereſſen des Staates verwendet werden konnten. – Sie haben ihre Arbeit geleiſtet und liegen heute im ökonomiſchen Todeskampf, aus dem keine Wirtſchaftspolitik des Staates ſie zu ihrem alten ſozialen Charakter zurückführen könnte. Und auch die Aufgaben der Gegenwart ſind andere, als ſolche, die von ihnen gelöſt werden könnten. Ein Vierteljahrhundert ſtand an der Spitze Deutſchlands der letzte und größte der Junker, und die Tragik, welche ſeiner ſtaatsmänniſchen Laufbahn neben ihrer unvergleichlichen Größe anhaftete und die ſich heute noch immer dem Blick Vieler entzieht, wird die Zukunft wohl darin finden, daß unter ihm das Werk ſeiner Hände, die Nation, der er die Einheit gab, langſam und unwiderſtehlich ihre ökonomiſche Struktur veränderte und eine andere wurde, ein Volk, das andere Ordnungen fordern mußte, als ſolche, die er ihm geben und denen ſeine cäſariſche Natur ſich einfügen konnte. Jm letzten Grund iſt eben dies es geweſen, was das teilweiſe Scheitern ſeines Lebenswerkes herbeigeführt hat. Denn dieſes Lebenswerk hätte doch nicht nur zur äußeren, ſondern auch zur inneren Einigung der Nation führen ſollen und jeder von uns weiß: das iſt nicht erreicht. Es konnte mit ſeinen Mitteln nicht erreicht werden. Und als er im Winter letzten Jahres, umſtrickt von der Huld ſeines Monarchen, in die geſchmückte Reichs- hauptſtadt einzog, da – ich weiß es wohl – gab es viele, welche ſo empfanden, als öffne der Sachſenwald wie ein moderner Kyffhäuſer ſeine Tiefen. Allein nicht Alle haben dieſe Empfindung geteilt. Denn es ſchien, als ſei in der Luft des Januartages der kalte Hauch geſchichtlicher Vergänglichkeit zu ſpüren. Uns überkam ein eigenartig beklemmendes Gefühl, – als

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Zitationshilfe: Weber, Max: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburg (Breisgau) u. a., 1895, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_nationalstaat_1895/33>, abgerufen am 28.03.2024.