Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wedekind, Frank: Erdgeist. Paris; Leipzig, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite
Lulu (hört ihn mit gesenktem Blick an).
Escerny.
Was mich zu Ihnen hinzieht, ist nicht Ihr
Tanz. Es ist Ihre Noblesse, wie sie sich in jeder
Ihrer Bewegungen offenbart. Durch jedes Kunst-
werk hindurch, läßt sich der Künstler als Mensch
erkennen. Wer sich so sehr wie ich für Kunstwerke
interessirt, kann sich darin nicht täuschen. Ich
habe während zehn Abenden Ihr Seelenleben aus
Ihrem Tanze studirt, bis ich heute, als Sie als
Blumenmädchen auftraten, vollkommen mit mir ins
Klare kam. Sie sind eine großangelegte Natur --
uneigennützig. Sie können niemanden leiden sehen.
Sie sind das verkörperte Lebensglück. Als Gattin
werden Sie einen Mann über alles glücklich
machen ...
Lulu (hat die Schnüre ihres Korsets etwas gelockert, holt tief
Atem, mit den Absätzen klirrend).

Jetzt kann ich wieder atmen.
Escerny.
Ihr ganzes Wesen ist Offenherzigkeit. -- Sie
wären eine schlechte Schauspielerin ...

(Die elektrische Klingel tönt über der Thür.)
Lulu.
Der Vorhang geht auf. (Sie nimmt vom Mitteltisch
Wedekind, Der Erdgeist. 10
Lulu (hört ihn mit geſenktem Blick an).
Eſcerny.
Was mich zu Ihnen hinzieht, iſt nicht Ihr
Tanz. Es iſt Ihre Nobleſſe, wie ſie ſich in jeder
Ihrer Bewegungen offenbart. Durch jedes Kunſt-
werk hindurch, läßt ſich der Künſtler als Menſch
erkennen. Wer ſich ſo ſehr wie ich für Kunſtwerke
intereſſirt, kann ſich darin nicht täuſchen. Ich
habe während zehn Abenden Ihr Seelenleben aus
Ihrem Tanze ſtudirt, bis ich heute, als Sie als
Blumenmädchen auftraten, vollkommen mit mir ins
Klare kam. Sie ſind eine großangelegte Natur —
uneigennützig. Sie können niemanden leiden ſehen.
Sie ſind das verkörperte Lebensglück. Als Gattin
werden Sie einen Mann über alles glücklich
machen …
Lulu (hat die Schnüre ihres Korſets etwas gelockert, holt tief
Atem, mit den Abſätzen klirrend).

Jetzt kann ich wieder atmen.
Eſcerny.
Ihr ganzes Weſen iſt Offenherzigkeit. — Sie
wären eine ſchlechte Schauſpielerin …

(Die elektriſche Klingel tönt über der Thür.)
Lulu.
Der Vorhang geht auf. (Sie nimmt vom Mitteltiſch
Wedekind, Der Erdgeiſt. 10
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0151" n="145"/>
          <sp who="#LUL">
            <speaker> <hi rendition="#b">Lulu</hi> </speaker>
            <stage>(hört ihn mit ge&#x017F;enktem Blick an).</stage>
          </sp><lb/>
          <sp who="#ESC">
            <speaker> <hi rendition="#b">E&#x017F;cerny.</hi> </speaker><lb/>
            <p>Was mich zu Ihnen hinzieht, i&#x017F;t nicht Ihr<lb/>
Tanz. Es i&#x017F;t Ihre Noble&#x017F;&#x017F;e, wie &#x017F;ie &#x017F;ich in jeder<lb/>
Ihrer Bewegungen offenbart. Durch jedes Kun&#x017F;t-<lb/>
werk hindurch, läßt &#x017F;ich der Kün&#x017F;tler als Men&#x017F;ch<lb/>
erkennen. Wer &#x017F;ich &#x017F;o &#x017F;ehr wie ich für Kun&#x017F;twerke<lb/>
intere&#x017F;&#x017F;irt, kann &#x017F;ich darin nicht täu&#x017F;chen. Ich<lb/>
habe während zehn Abenden Ihr Seelenleben aus<lb/>
Ihrem Tanze &#x017F;tudirt, bis ich heute, als Sie als<lb/>
Blumenmädchen auftraten, vollkommen mit mir ins<lb/>
Klare kam. Sie &#x017F;ind eine großangelegte Natur &#x2014;<lb/>
uneigennützig. Sie können niemanden leiden &#x017F;ehen.<lb/>
Sie &#x017F;ind das verkörperte Lebensglück. Als Gattin<lb/>
werden Sie einen Mann über alles glücklich<lb/>
machen &#x2026;</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#LUL">
            <speaker> <hi rendition="#b">Lulu</hi> </speaker>
            <stage>(hat die Schnüre ihres Kor&#x017F;ets etwas gelockert, holt tief<lb/>
Atem, mit den Ab&#x017F;ätzen klirrend).</stage><lb/>
            <p>Jetzt kann ich wieder atmen.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#ESC">
            <speaker> <hi rendition="#b">E&#x017F;cerny.</hi> </speaker><lb/>
            <p>Ihr ganzes We&#x017F;en i&#x017F;t Offenherzigkeit. &#x2014; Sie<lb/>
wären eine &#x017F;chlechte Schau&#x017F;pielerin &#x2026;</p><lb/>
            <stage>(Die elektri&#x017F;che Klingel tönt über der Thür.)</stage>
          </sp><lb/>
          <sp who="#LUL">
            <speaker> <hi rendition="#b">Lulu.</hi> </speaker><lb/>
            <p>Der Vorhang geht auf.</p>
            <stage>(Sie nimmt vom Mittelti&#x017F;ch<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Wedekind</hi>, Der Erdgei&#x017F;t. 10</fw><lb/></stage>
          </sp>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[145/0151] Lulu (hört ihn mit geſenktem Blick an). Eſcerny. Was mich zu Ihnen hinzieht, iſt nicht Ihr Tanz. Es iſt Ihre Nobleſſe, wie ſie ſich in jeder Ihrer Bewegungen offenbart. Durch jedes Kunſt- werk hindurch, läßt ſich der Künſtler als Menſch erkennen. Wer ſich ſo ſehr wie ich für Kunſtwerke intereſſirt, kann ſich darin nicht täuſchen. Ich habe während zehn Abenden Ihr Seelenleben aus Ihrem Tanze ſtudirt, bis ich heute, als Sie als Blumenmädchen auftraten, vollkommen mit mir ins Klare kam. Sie ſind eine großangelegte Natur — uneigennützig. Sie können niemanden leiden ſehen. Sie ſind das verkörperte Lebensglück. Als Gattin werden Sie einen Mann über alles glücklich machen … Lulu (hat die Schnüre ihres Korſets etwas gelockert, holt tief Atem, mit den Abſätzen klirrend). Jetzt kann ich wieder atmen. Eſcerny. Ihr ganzes Weſen iſt Offenherzigkeit. — Sie wären eine ſchlechte Schauſpielerin … (Die elektriſche Klingel tönt über der Thür.) Lulu. Der Vorhang geht auf. (Sie nimmt vom Mitteltiſch Wedekind, Der Erdgeiſt. 10

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_erdgeist_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_erdgeist_1895/151
Zitationshilfe: Wedekind, Frank: Erdgeist. Paris; Leipzig, 1895, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_erdgeist_1895/151>, abgerufen am 18.04.2024.