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Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891.

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noch den leuchtenden Mohn an deiner Brust -- und dein Herz
hör' ich schlagen --
Wendla. -- -- -- Nicht küssen, Melchior! -- Nicht küssen!
Melchior. -- dein Herz -- hör' ich schlagen --
Wendla. -- Man liebt sich -- wenn man küßt -- --
-- -- -- Nicht, nicht! -- --
Melchior. O glaub' mir, es giebt keine Liebe! --
Alles Eigennutz, Alles Egoismus! -- Ich liebe dich so wenig,
wie du mich liebst. --
Wendla. -- -- Nicht! -- -- -- -- -- -- -- Nicht,
Melchior! -- --
Melchior. -- -- -- Wendla!
Wendla. O Melchior! -- -- -- -- -- -- -- -- nicht
-- -- nicht -- --

Fünste Scene.
Frau Gabor (sitzt, schreibt):
Lieber Herr Stiefel!
Nachdem ich 24 Stunden über Alles, was sie mir schreiben,
nachgedacht und wieder nachgedacht, ergreife ich schweren Herzens
die Feder. Den Betrag zur Ueberfahrt nach Amerika kann ich
Ihnen -- ich gebe Ihnen meine heiligste Versicherung -- nicht
verschaffen. Erstens habe ich so viel nicht zu meiner Verfügung,
und zweitens, wenn ich es hätte, wäre es die denkbar größte
Sünde, Ihnen die Mittel zur Ausführung einer so folgenschweren
Unbedachtsamkeit an die Hand zu geben. Bitter Unrecht würden
Sie mir thun, Herr Stiefel, in dieser meiner Weigerung ein Zeichen
mangelnder Liebe zu erblicken. Es wäre umgekehrt die gröbste
noch den leuchtenden Mohn an deiner Bruſt — und dein Herz
hör' ich ſchlagen —
Wendla. — — — Nicht küſſen, Melchior! — Nicht küſſen!
Melchior. — dein Herz — hör' ich ſchlagen —
Wendla. — Man liebt ſich — wenn man küßt — —
— — — Nicht, nicht! — —
Melchior. O glaub' mir, es giebt keine Liebe! —
Alles Eigennutz, Alles Egoismus! — Ich liebe dich ſo wenig,
wie du mich liebſt. —
Wendla. — — Nicht! — — — — — — — Nicht,
Melchior! — —
Melchior. — — — Wendla!
Wendla. O Melchior! — — — — — — — — nicht
— — nicht — —

Fünſte Scene.
Frau Gabor (ſitzt, ſchreibt):
Lieber Herr Stiefel!
Nachdem ich 24 Stunden über Alles, was ſie mir ſchreiben,
nachgedacht und wieder nachgedacht, ergreife ich ſchweren Herzens
die Feder. Den Betrag zur Ueberfahrt nach Amerika kann ich
Ihnen — ich gebe Ihnen meine heiligſte Verſicherung — nicht
verſchaffen. Erſtens habe ich ſo viel nicht zu meiner Verfügung,
und zweitens, wenn ich es hätte, wäre es die denkbar größte
Sünde, Ihnen die Mittel zur Ausführung einer ſo folgenſchweren
Unbedachtſamkeit an die Hand zu geben. Bitter Unrecht würden
Sie mir thun, Herr Stiefel, in dieſer meiner Weigerung ein Zeichen
mangelnder Liebe zu erblicken. Es wäre umgekehrt die gröbſte
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[39/0055] noch den leuchtenden Mohn an deiner Bruſt — und dein Herz hör' ich ſchlagen — Wendla. — — — Nicht küſſen, Melchior! — Nicht küſſen! Melchior. — dein Herz — hör' ich ſchlagen — Wendla. — Man liebt ſich — wenn man küßt — — — — — Nicht, nicht! — — Melchior. O glaub' mir, es giebt keine Liebe! — Alles Eigennutz, Alles Egoismus! — Ich liebe dich ſo wenig, wie du mich liebſt. — Wendla. — — Nicht! — — — — — — — Nicht, Melchior! — — Melchior. — — — Wendla! Wendla. O Melchior! — — — — — — — — nicht — — nicht — — Fünſte Scene. Frau Gabor (ſitzt, ſchreibt): Lieber Herr Stiefel! Nachdem ich 24 Stunden über Alles, was ſie mir ſchreiben, nachgedacht und wieder nachgedacht, ergreife ich ſchweren Herzens die Feder. Den Betrag zur Ueberfahrt nach Amerika kann ich Ihnen — ich gebe Ihnen meine heiligſte Verſicherung — nicht verſchaffen. Erſtens habe ich ſo viel nicht zu meiner Verfügung, und zweitens, wenn ich es hätte, wäre es die denkbar größte Sünde, Ihnen die Mittel zur Ausführung einer ſo folgenſchweren Unbedachtſamkeit an die Hand zu geben. Bitter Unrecht würden Sie mir thun, Herr Stiefel, in dieſer meiner Weigerung ein Zeichen mangelnder Liebe zu erblicken. Es wäre umgekehrt die gröbſte

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Zitationshilfe: Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_erwachen_1891/55>, abgerufen am 28.03.2024.