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Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891.

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Wendla. Aber warum weinst du dann so jammervoll?
Frau Bergmann. Du mußt nicht sterben -- Kind! Du
hast nicht die Wassersucht. Du hast ein Kind, Mädchen! Du hast
ein Kind! -- O warum hast du mir das gethan!
Wendla. -- ich habe dir nichts gethan --
Frau Bergmann. O leugne nicht noch, Wendla! --
Ich weiß Alles. Sieh', ich hätt' es nicht vermocht dir ein Wort
zu sagen. -- Wendla, meine Wendla ...!
Wendla. Aber das ist ja nicht möglich, Mutter. Ich bin
ja doch nicht verheirathet ...!
Frau Bergmann. Großer, gewaltiger Gott --, das ist's
ja, daß du nicht verheirathet bist! Das ist ja das Fürchterliche!
-- Wendla, Wendla, Wendla, was hast du gethan!!
Wendla. Ich weiß es, weiß Gott, nicht mehr! Wir lagen
im Heu. ... Ich habe keinen Menschen auf dieser Welt geliebt
als nur dich, Mutter.
Frau Bergmann. Mein Herzblatt --
Wendla. O Mutter, warum hast du mir nicht alles gesagt!
Frau Bergmann. Kind, Kind, laß uns einander das
Herz nicht noch schwerer machen! Fasse dich! Verzweifle mir
nicht, mein Kind! Einem vierzehnjährigen Mädchen das sagen!
Sieh', ich wäre eher darauf gefaßt gewesen, daß die Sonne
erlischt. Ich habe an dir nicht anders gethan, als meine liebe,
gute Mutter an mir gethan hat. -- O laß uns auf den lieben
Gott vertrauen, Wendla; laß uns auf Barmherzigkeit hoffen und
das unsrige thun! Sieh', noch ist ja nichts geschehen, Kind.
Und wenn nur wir jetzt nicht kleinmüthig werden, dann wird
uns auch der liebe Gott nicht verlassen. -- Sei muthig, Wendla,
sei muthig! -- -- So sitzt man einmal am Fenster und legt die
Wendla. Aber warum weinſt du dann ſo jammervoll?
Frau Bergmann. Du mußt nicht ſterben — Kind! Du
haſt nicht die Waſſerſucht. Du haſt ein Kind, Mädchen! Du haſt
ein Kind! — O warum haſt du mir das gethan!
Wendla. — ich habe dir nichts gethan —
Frau Bergmann. O leugne nicht noch, Wendla! —
Ich weiß Alles. Sieh', ich hätt' es nicht vermocht dir ein Wort
zu ſagen. — Wendla, meine Wendla …!
Wendla. Aber das iſt ja nicht möglich, Mutter. Ich bin
ja doch nicht verheirathet …!
Frau Bergmann. Großer, gewaltiger Gott —, das iſt's
ja, daß du nicht verheirathet biſt! Das iſt ja das Fürchterliche!
— Wendla, Wendla, Wendla, was haſt du gethan!!
Wendla. Ich weiß es, weiß Gott, nicht mehr! Wir lagen
im Heu. … Ich habe keinen Menſchen auf dieſer Welt geliebt
als nur dich, Mutter.
Frau Bergmann. Mein Herzblatt —
Wendla. O Mutter, warum haſt du mir nicht alles geſagt!
Frau Bergmann. Kind, Kind, laß uns einander das
Herz nicht noch ſchwerer machen! Faſſe dich! Verzweifle mir
nicht, mein Kind! Einem vierzehnjährigen Mädchen das ſagen!
Sieh', ich wäre eher darauf gefaßt geweſen, daß die Sonne
erliſcht. Ich habe an dir nicht anders gethan, als meine liebe,
gute Mutter an mir gethan hat. — O laß uns auf den lieben
Gott vertrauen, Wendla; laß uns auf Barmherzigkeit hoffen und
das unſrige thun! Sieh', noch iſt ja nichts geſchehen, Kind.
Und wenn nur wir jetzt nicht kleinmüthig werden, dann wird
uns auch der liebe Gott nicht verlaſſen. — Sei muthig, Wendla,
ſei muthig! — — So ſitzt man einmal am Fenſter und legt die
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[72/0088] Wendla. Aber warum weinſt du dann ſo jammervoll? Frau Bergmann. Du mußt nicht ſterben — Kind! Du haſt nicht die Waſſerſucht. Du haſt ein Kind, Mädchen! Du haſt ein Kind! — O warum haſt du mir das gethan! Wendla. — ich habe dir nichts gethan — Frau Bergmann. O leugne nicht noch, Wendla! — Ich weiß Alles. Sieh', ich hätt' es nicht vermocht dir ein Wort zu ſagen. — Wendla, meine Wendla …! Wendla. Aber das iſt ja nicht möglich, Mutter. Ich bin ja doch nicht verheirathet …! Frau Bergmann. Großer, gewaltiger Gott —, das iſt's ja, daß du nicht verheirathet biſt! Das iſt ja das Fürchterliche! — Wendla, Wendla, Wendla, was haſt du gethan!! Wendla. Ich weiß es, weiß Gott, nicht mehr! Wir lagen im Heu. … Ich habe keinen Menſchen auf dieſer Welt geliebt als nur dich, Mutter. Frau Bergmann. Mein Herzblatt — Wendla. O Mutter, warum haſt du mir nicht alles geſagt! Frau Bergmann. Kind, Kind, laß uns einander das Herz nicht noch ſchwerer machen! Faſſe dich! Verzweifle mir nicht, mein Kind! Einem vierzehnjährigen Mädchen das ſagen! Sieh', ich wäre eher darauf gefaßt geweſen, daß die Sonne erliſcht. Ich habe an dir nicht anders gethan, als meine liebe, gute Mutter an mir gethan hat. — O laß uns auf den lieben Gott vertrauen, Wendla; laß uns auf Barmherzigkeit hoffen und das unſrige thun! Sieh', noch iſt ja nichts geſchehen, Kind. Und wenn nur wir jetzt nicht kleinmüthig werden, dann wird uns auch der liebe Gott nicht verlaſſen. — Sei muthig, Wendla, ſei muthig! — — So ſitzt man einmal am Fenſter und legt die

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Zitationshilfe: Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_erwachen_1891/88>, abgerufen am 23.04.2024.