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Weise, Christian: Die drey ärgsten Ertz-Narren. 2. Aufl. 1673.

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daß GOtt dieß Zorn Exempel nicht verge-
bens vorgestellet hat. Dieß ist nur zu bekla-
gen/ daß niemand gebessert wird. Es be-
ze[ug]ets die tägliche Erfahrung mehr/ als zu
viel/ daß unrecht Gut nicht auf den dritten
Erben kömmt. Ein jedweder/ der in seinem
Ampte sitzet/ hat entweder seiner Anteces-
sorum
oder anderer dergleichen Kinder
vor sich/ daran er so wohl den Segen/ als den
Unsegen seinen Kindern gleichsam als ein ge-
wisses Nativität prognosticiren kan. Jst
das nun nicht Thorheit? Sie scharren viel
zusammen: zu Essen/ Trincken und Kleidern
brauchen sie nicht alles/ den Kindern wollen sie
es verlassen/ doch wo sie nicht gantz blind
seyn/ so wissen sie/ daß es nicht wudelt/ ja daß
die Kinder an ihrem andern Glücke dadurch
gehindert werden. Wir lachen die Affen
auß/ daß sie ihre Jungen auß Liebe zu tode
drücken. Aber ist dergleichen Vorsorge/ da-
durch manches umb seine zeitliche und ewige
Wohlfahrt gebracht wird/ nicht eben so thö-
richt? die Griechen satzten die Kinder weg/
welche sie nicht ernehren kunten. Die Leute
kehren es umb/ und setzen die Kinder weg/
welche sie auffs beste ernehren wollen. Das
ärgste ist/ daß die Eltern selbst ihre eigene

Wohl-


daß GOtt dieß Zorn Exempel nicht verge-
bens vorgeſtellet hat. Dieß iſt nur zu bekla-
gen/ daß niemand gebeſſert wird. Es be-
ze[ug]ets die taͤgliche Erfahrung mehr/ als zu
viel/ daß unrecht Gut nicht auf den dritten
Erben koͤmmt. Ein jedweder/ der in ſeinem
Ampte ſitzet/ hat entweder ſeiner Anteceſ-
ſorum
oder anderer dergleichen Kinder
vor ſich/ daran er ſo wohl den Segen/ als den
Unſegen ſeinen Kindern gleichſam als ein ge-
wiſſes Nativitaͤt prognoſticiren kan. Jſt
das nun nicht Thorheit? Sie ſcharren viel
zuſammen: zu Eſſen/ Trincken und Kleidern
brauchen ſie nicht alles/ den Kindern wollen ſie
es verlaſſen/ doch wo ſie nicht gantz blind
ſeyn/ ſo wiſſen ſie/ daß es nicht wudelt/ ja daß
die Kinder an ihrem andern Gluͤcke dadurch
gehindert werden. Wir lachen die Affen
auß/ daß ſie ihre Jungen auß Liebe zu tode
druͤcken. Aber iſt dergleichen Vorſorge/ da-
durch manches umb ſeine zeitliche und ewige
Wohlfahrt gebracht wird/ nicht eben ſo thoͤ-
richt? die Griechen ſatzten die Kinder weg/
welche ſie nicht ernehren kunten. Die Leute
kehren es umb/ und ſetzen die Kinder weg/
welche ſie auffs beſte ernehren wollen. Das
aͤrgſte iſt/ daß die Eltern ſelbſt ihre eigene

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[168/0174] daß GOtt dieß Zorn Exempel nicht verge- bens vorgeſtellet hat. Dieß iſt nur zu bekla- gen/ daß niemand gebeſſert wird. Es be- zeugets die taͤgliche Erfahrung mehr/ als zu viel/ daß unrecht Gut nicht auf den dritten Erben koͤmmt. Ein jedweder/ der in ſeinem Ampte ſitzet/ hat entweder ſeiner Anteceſ- ſorum oder anderer dergleichen Kinder vor ſich/ daran er ſo wohl den Segen/ als den Unſegen ſeinen Kindern gleichſam als ein ge- wiſſes Nativitaͤt prognoſticiren kan. Jſt das nun nicht Thorheit? Sie ſcharren viel zuſammen: zu Eſſen/ Trincken und Kleidern brauchen ſie nicht alles/ den Kindern wollen ſie es verlaſſen/ doch wo ſie nicht gantz blind ſeyn/ ſo wiſſen ſie/ daß es nicht wudelt/ ja daß die Kinder an ihrem andern Gluͤcke dadurch gehindert werden. Wir lachen die Affen auß/ daß ſie ihre Jungen auß Liebe zu tode druͤcken. Aber iſt dergleichen Vorſorge/ da- durch manches umb ſeine zeitliche und ewige Wohlfahrt gebracht wird/ nicht eben ſo thoͤ- richt? die Griechen ſatzten die Kinder weg/ welche ſie nicht ernehren kunten. Die Leute kehren es umb/ und ſetzen die Kinder weg/ welche ſie auffs beſte ernehren wollen. Das aͤrgſte iſt/ daß die Eltern ſelbſt ihre eigene Wohl-

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Zitationshilfe: Weise, Christian: Die drey ärgsten Ertz-Narren. 2. Aufl. 1673, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weise_ertznarren_1672/174>, abgerufen am 25.04.2024.