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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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der Thiere geradezu zu den "Schutzeinrichtungen", welche
die Art mit vor dem Untergang bewahren. Für zahlreiche
niedere Thiere, besonders Polypen und Würmer ist die Fähig-
keit, ihren durch den Biss eines Feindes verstümmelten Körper
wieder völlig herzustellen, ein werthvollerer Schutz für den Be-
stand der Art, als Schalen, Stacheln, Gifte und Waffen aller
Art und selbst als sympathische Färbungen, die sie ihren Feinden
unsichtbar machen sollen. Denn alle diese Einrichtungen schützen
wohl gegen viele Feinde und viele Angriffe, aber niemals gegen
alle, und jedenfalls wird die Fähigkeit, erlittene Substanz-Ver-
luste wieder zu ersetzen stets äusserst werthvoll sein. Dies
darf man nicht vergessen, wenn man über den Ursprung der
Regenerationskraft Etwas auszumachen beabsichtigt.

Bedenkt man diese ungemein hohe biologische Bedeutung
der Regeneration, so wird man sich über ihre weite, ja, man
darf sagen, allgemeine Verbreitung in der Thierwelt nicht
wundern und man wird es begreifen, dass dieselbe sogar in
den normalen Verlauf des Lebens mit hereingezogen ist,
dadurch, dass die Funktion gewisser Organe auf ihre fort-
währende Zerstörung und eine dieser parallellaufenden Regene-
ration basirt ist. Hier ist der Feind, der das Leben der Zelle
zerstört, kein äusserer, sondern der Lebensprocess selber; es
ist die "physiologische Regeneration", von der ich rede.
Die Histologie hat noch nicht abgeschlossen mit den Unter-
suchungen darüber, welche Gewebezellen bei den höheren
Thieren durch den Gebrauch während des Lebens abgenützt
werden und deshalb immer wieder ersetzt werden müssen, allein
für viele Fälle steht es doch fest, dass eine Abnützung der
Gewebezellen fortwährend stattfindet, und dass das Leben nicht
weitergehen könnte, wenn nicht fortwährend ein Ersatz von
Zellen stattfände. So verhält es sich bei der Epidermis der
höheren Wirbelthiere, bei den Geweben der Fingernägel des

der Thiere geradezu zu den „Schutzeinrichtungen“, welche
die Art mit vor dem Untergang bewahren. Für zahlreiche
niedere Thiere, besonders Polypen und Würmer ist die Fähig-
keit, ihren durch den Biss eines Feindes verstümmelten Körper
wieder völlig herzustellen, ein werthvollerer Schutz für den Be-
stand der Art, als Schalen, Stacheln, Gifte und Waffen aller
Art und selbst als sympathische Färbungen, die sie ihren Feinden
unsichtbar machen sollen. Denn alle diese Einrichtungen schützen
wohl gegen viele Feinde und viele Angriffe, aber niemals gegen
alle, und jedenfalls wird die Fähigkeit, erlittene Substanz-Ver-
luste wieder zu ersetzen stets äusserst werthvoll sein. Dies
darf man nicht vergessen, wenn man über den Ursprung der
Regenerationskraft Etwas auszumachen beabsichtigt.

Bedenkt man diese ungemein hohe biologische Bedeutung
der Regeneration, so wird man sich über ihre weite, ja, man
darf sagen, allgemeine Verbreitung in der Thierwelt nicht
wundern und man wird es begreifen, dass dieselbe sogar in
den normalen Verlauf des Lebens mit hereingezogen ist,
dadurch, dass die Funktion gewisser Organe auf ihre fort-
währende Zerstörung und eine dieser parallellaufenden Regene-
ration basirt ist. Hier ist der Feind, der das Leben der Zelle
zerstört, kein äusserer, sondern der Lebensprocess selber; es
ist die „physiologische Regeneration“, von der ich rede.
Die Histologie hat noch nicht abgeschlossen mit den Unter-
suchungen darüber, welche Gewebezellen bei den höheren
Thieren durch den Gebrauch während des Lebens abgenützt
werden und deshalb immer wieder ersetzt werden müssen, allein
für viele Fälle steht es doch fest, dass eine Abnützung der
Gewebezellen fortwährend stattfindet, und dass das Leben nicht
weitergehen könnte, wenn nicht fortwährend ein Ersatz von
Zellen stattfände. So verhält es sich bei der Epidermis der
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[125/0149] der Thiere geradezu zu den „Schutzeinrichtungen“, welche die Art mit vor dem Untergang bewahren. Für zahlreiche niedere Thiere, besonders Polypen und Würmer ist die Fähig- keit, ihren durch den Biss eines Feindes verstümmelten Körper wieder völlig herzustellen, ein werthvollerer Schutz für den Be- stand der Art, als Schalen, Stacheln, Gifte und Waffen aller Art und selbst als sympathische Färbungen, die sie ihren Feinden unsichtbar machen sollen. Denn alle diese Einrichtungen schützen wohl gegen viele Feinde und viele Angriffe, aber niemals gegen alle, und jedenfalls wird die Fähigkeit, erlittene Substanz-Ver- luste wieder zu ersetzen stets äusserst werthvoll sein. Dies darf man nicht vergessen, wenn man über den Ursprung der Regenerationskraft Etwas auszumachen beabsichtigt. Bedenkt man diese ungemein hohe biologische Bedeutung der Regeneration, so wird man sich über ihre weite, ja, man darf sagen, allgemeine Verbreitung in der Thierwelt nicht wundern und man wird es begreifen, dass dieselbe sogar in den normalen Verlauf des Lebens mit hereingezogen ist, dadurch, dass die Funktion gewisser Organe auf ihre fort- währende Zerstörung und eine dieser parallellaufenden Regene- ration basirt ist. Hier ist der Feind, der das Leben der Zelle zerstört, kein äusserer, sondern der Lebensprocess selber; es ist die „physiologische Regeneration“, von der ich rede. Die Histologie hat noch nicht abgeschlossen mit den Unter- suchungen darüber, welche Gewebezellen bei den höheren Thieren durch den Gebrauch während des Lebens abgenützt werden und deshalb immer wieder ersetzt werden müssen, allein für viele Fälle steht es doch fest, dass eine Abnützung der Gewebezellen fortwährend stattfindet, und dass das Leben nicht weitergehen könnte, wenn nicht fortwährend ein Ersatz von Zellen stattfände. So verhält es sich bei der Epidermis der höheren Wirbelthiere, bei den Geweben der Fingernägel des

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/149>, abgerufen am 29.03.2024.