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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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ganzen Körper betreffende stammt, wie sie zu Stande kommen
konnte, da doch nur das Nützliche zu Stande kommt, zumal
wenn es sich um einen so complicirten Mechanismus handelt,
wie es die Ausrüstung des Idioplasma's mit Ersatz-Determinanten
sein muss. Wir werden so zu der Vermuthung geführt, es
möchte die allgemeine Regenerationsfähigkeit sämmt-
licher Theile eine durch Selection herbeigeführte Er-
rungenschaft niederer und einfacherer Thierformen
sein, die im Laufe der Phylogenese und der steigenden
Complicirtheit des Baues zwar allmälig mehr und mehr
von ihrer ursprünglichen Höhe herabsank, die aber
auf jeder Stufe ihrer Rückbildung in Bezug auf be-
stimmte, biologisch wichtige und zugleich häufigem
Verlust ausgesetzte Theile durch speciell auf diese
Theile gerichtete Selectionsprocesse wieder gesteigert
werden konnte
.

3. Fakultative oder polygene Regeneration.

Der abgeschnittene Schwanz einer Eidechse, das Bein eines
Triton wächst wieder, nicht aber ergänzt sich das abgeschnittene
Stück wieder zum ganzen Thier. Anders bei manchen Ringel-
wärmern, z. B. Nais und Lumbriculus; wenn man ihnen den
Schwanz abschneidet, so wächst nicht nur ein neuer Schwanz
von der Schnittfläche hervor, sondern der abgeschnittene Schwanz
bildet auch wieder ein neues Vorderende mit neuem Kopf, so
dass also dann zwei Thiere aus einem entstehen.

Offenbar lässt sich diese Thatsache aus der bisher ge-
machten Annahme von Ersatz-Determinanten noch nicht ohne
Weiteres ableiten, denn danach befänden sich in den Zellen
nur einerlei Art von Ersatz-Determinanten, solche nämlich,
wie sie zum Aufbau des dem Ganzen verloren gegangenen Theils
erforderlich sind; hier aber erzeugen dieselben Zellen, je nach-

ganzen Körper betreffende stammt, wie sie zu Stande kommen
konnte, da doch nur das Nützliche zu Stande kommt, zumal
wenn es sich um einen so complicirten Mechanismus handelt,
wie es die Ausrüstung des Idioplasma’s mit Ersatz-Determinanten
sein muss. Wir werden so zu der Vermuthung geführt, es
möchte die allgemeine Regenerationsfähigkeit sämmt-
licher Theile eine durch Selection herbeigeführte Er-
rungenschaft niederer und einfacherer Thierformen
sein, die im Laufe der Phylogenese und der steigenden
Complicirtheit des Baues zwar allmälig mehr und mehr
von ihrer ursprünglichen Höhe herabsank, die aber
auf jeder Stufe ihrer Rückbildung in Bezug auf be-
stimmte, biologisch wichtige und zugleich häufigem
Verlust ausgesetzte Theile durch speciell auf diese
Theile gerichtete Selectionsprocesse wieder gesteigert
werden konnte
.

3. Fakultative oder polygene Regeneration.

Der abgeschnittene Schwanz einer Eidechse, das Bein eines
Triton wächst wieder, nicht aber ergänzt sich das abgeschnittene
Stück wieder zum ganzen Thier. Anders bei manchen Ringel-
wärmern, z. B. Nais und Lumbriculus; wenn man ihnen den
Schwanz abschneidet, so wächst nicht nur ein neuer Schwanz
von der Schnittfläche hervor, sondern der abgeschnittene Schwanz
bildet auch wieder ein neues Vorderende mit neuem Kopf, so
dass also dann zwei Thiere aus einem entstehen.

Offenbar lässt sich diese Thatsache aus der bisher ge-
machten Annahme von Ersatz-Determinanten noch nicht ohne
Weiteres ableiten, denn danach befänden sich in den Zellen
nur einerlei Art von Ersatz-Determinanten, solche nämlich,
wie sie zum Aufbau des dem Ganzen verloren gegangenen Theils
erforderlich sind; hier aber erzeugen dieselben Zellen, je nach-

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[168/0192] ganzen Körper betreffende stammt, wie sie zu Stande kommen konnte, da doch nur das Nützliche zu Stande kommt, zumal wenn es sich um einen so complicirten Mechanismus handelt, wie es die Ausrüstung des Idioplasma’s mit Ersatz-Determinanten sein muss. Wir werden so zu der Vermuthung geführt, es möchte die allgemeine Regenerationsfähigkeit sämmt- licher Theile eine durch Selection herbeigeführte Er- rungenschaft niederer und einfacherer Thierformen sein, die im Laufe der Phylogenese und der steigenden Complicirtheit des Baues zwar allmälig mehr und mehr von ihrer ursprünglichen Höhe herabsank, die aber auf jeder Stufe ihrer Rückbildung in Bezug auf be- stimmte, biologisch wichtige und zugleich häufigem Verlust ausgesetzte Theile durch speciell auf diese Theile gerichtete Selectionsprocesse wieder gesteigert werden konnte. 3. Fakultative oder polygene Regeneration. Der abgeschnittene Schwanz einer Eidechse, das Bein eines Triton wächst wieder, nicht aber ergänzt sich das abgeschnittene Stück wieder zum ganzen Thier. Anders bei manchen Ringel- wärmern, z. B. Nais und Lumbriculus; wenn man ihnen den Schwanz abschneidet, so wächst nicht nur ein neuer Schwanz von der Schnittfläche hervor, sondern der abgeschnittene Schwanz bildet auch wieder ein neues Vorderende mit neuem Kopf, so dass also dann zwei Thiere aus einem entstehen. Offenbar lässt sich diese Thatsache aus der bisher ge- machten Annahme von Ersatz-Determinanten noch nicht ohne Weiteres ableiten, denn danach befänden sich in den Zellen nur einerlei Art von Ersatz-Determinanten, solche nämlich, wie sie zum Aufbau des dem Ganzen verloren gegangenen Theils erforderlich sind; hier aber erzeugen dieselben Zellen, je nach-

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/192>, abgerufen am 19.04.2024.