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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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ersten Theilung die Urzelle des Entoderm's und des Ektoderm's
hervorgeht, so geschieht dies aus dem Grunde, weil in die eine
die Determinanten des Entoderm's, in die andere die Deter-
minanten des Ektoderm's bei der Theilung des Keimplasma's
zu liegen kommen, nicht aber weil irgend welche äussere Ein-
flüsse, z. B. die Schwerkraft, die beiden Zellen verschiedentlich
beeinflussten. Ebenso wird in späterer Embryonalperiode eine
gewisse Zelle nicht deshalb zur Muskel-, Nerven- oder Epithel-
zelle, weil sie zufällig an einer bestimmten Stelle liegt, wo sie
von gewissen andern Zellen von dieser oder jener Seite her
beeinflusst würde, sondern weil sie Muskel-Determinanten oder
Nerven- oder Epithel-Determinanten bestimmter Art enthält.

Diese Vorstellung von der Prädestinirung der einzelnen
Zellen, denen durch ihr Idioplasma ihre und ihrer Nachkommen
Schicksal aufgeprägt ist, hat ihren ersten, wenn auch noch
unvollkommenen Ausdruck in der Lehre von den "organbilden-
den Keimbezirken" gefunden, wie sie His1) im Anfang der
siebziger Jahre aufstellte. His glaubte, dass in der "Keim-
scheibe" des Hühnchens, d. h. also im Zellkörper des Eies,
"die Organanlagen in flacher Ausbreitung vorgebildet ent-
halten" seien, dass also jedes Organ durch eine bestimmte
Parthie des Eikörpers repräsentirt sei. Erst ein Jahrzehnt
später -- wie in der historischen Einleitung gezeigt wurde --
gelangte die Untersuchung so weit, dass man einsah, die "An-
lagen" des Embryo müssten in die Kernsubstanz verlegt
werden. Damit war die specielle Form der Lehre von His
allerdings widerlegt, nicht aber das zu Grunde liegende Princip
in seinem allgemeinen Sinne. Denn dieses besagte, dass das
differenzirende Princip der Ontogenese in den Zellen selbst
seinen Sitz habe, nicht in äusseren Einwirkungen. Wilhelm

1) Wilhelm His, "Unsere Körperform und das physiologische
Problem ihrer Entstehung", Leipzig 1874.

ersten Theilung die Urzelle des Entoderm’s und des Ektoderm’s
hervorgeht, so geschieht dies aus dem Grunde, weil in die eine
die Determinanten des Entoderm’s, in die andere die Deter-
minanten des Ektoderm’s bei der Theilung des Keimplasma’s
zu liegen kommen, nicht aber weil irgend welche äussere Ein-
flüsse, z. B. die Schwerkraft, die beiden Zellen verschiedentlich
beeinflussten. Ebenso wird in späterer Embryonalperiode eine
gewisse Zelle nicht deshalb zur Muskel-, Nerven- oder Epithel-
zelle, weil sie zufällig an einer bestimmten Stelle liegt, wo sie
von gewissen andern Zellen von dieser oder jener Seite her
beeinflusst würde, sondern weil sie Muskel-Determinanten oder
Nerven- oder Epithel-Determinanten bestimmter Art enthält.

Diese Vorstellung von der Prädestinirung der einzelnen
Zellen, denen durch ihr Idioplasma ihre und ihrer Nachkommen
Schicksal aufgeprägt ist, hat ihren ersten, wenn auch noch
unvollkommenen Ausdruck in der Lehre von den „organbilden-
den Keimbezirken“ gefunden, wie sie His1) im Anfang der
siebziger Jahre aufstellte. His glaubte, dass in der „Keim-
scheibe“ des Hühnchens, d. h. also im Zellkörper des Eies,
„die Organanlagen in flacher Ausbreitung vorgebildet ent-
halten“ seien, dass also jedes Organ durch eine bestimmte
Parthie des Eikörpers repräsentirt sei. Erst ein Jahrzehnt
später — wie in der historischen Einleitung gezeigt wurde —
gelangte die Untersuchung so weit, dass man einsah, die „An-
lagen“ des Embryo müssten in die Kernsubstanz verlegt
werden. Damit war die specielle Form der Lehre von His
allerdings widerlegt, nicht aber das zu Grunde liegende Princip
in seinem allgemeinen Sinne. Denn dieses besagte, dass das
differenzirende Princip der Ontogenese in den Zellen selbst
seinen Sitz habe, nicht in äusseren Einwirkungen. Wilhelm

1) Wilhelm His, „Unsere Körperform und das physiologische
Problem ihrer Entstehung“, Leipzig 1874.
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[180/0204] ersten Theilung die Urzelle des Entoderm’s und des Ektoderm’s hervorgeht, so geschieht dies aus dem Grunde, weil in die eine die Determinanten des Entoderm’s, in die andere die Deter- minanten des Ektoderm’s bei der Theilung des Keimplasma’s zu liegen kommen, nicht aber weil irgend welche äussere Ein- flüsse, z. B. die Schwerkraft, die beiden Zellen verschiedentlich beeinflussten. Ebenso wird in späterer Embryonalperiode eine gewisse Zelle nicht deshalb zur Muskel-, Nerven- oder Epithel- zelle, weil sie zufällig an einer bestimmten Stelle liegt, wo sie von gewissen andern Zellen von dieser oder jener Seite her beeinflusst würde, sondern weil sie Muskel-Determinanten oder Nerven- oder Epithel-Determinanten bestimmter Art enthält. Diese Vorstellung von der Prädestinirung der einzelnen Zellen, denen durch ihr Idioplasma ihre und ihrer Nachkommen Schicksal aufgeprägt ist, hat ihren ersten, wenn auch noch unvollkommenen Ausdruck in der Lehre von den „organbilden- den Keimbezirken“ gefunden, wie sie His 1) im Anfang der siebziger Jahre aufstellte. His glaubte, dass in der „Keim- scheibe“ des Hühnchens, d. h. also im Zellkörper des Eies, „die Organanlagen in flacher Ausbreitung vorgebildet ent- halten“ seien, dass also jedes Organ durch eine bestimmte Parthie des Eikörpers repräsentirt sei. Erst ein Jahrzehnt später — wie in der historischen Einleitung gezeigt wurde — gelangte die Untersuchung so weit, dass man einsah, die „An- lagen“ des Embryo müssten in die Kernsubstanz verlegt werden. Damit war die specielle Form der Lehre von His allerdings widerlegt, nicht aber das zu Grunde liegende Princip in seinem allgemeinen Sinne. Denn dieses besagte, dass das differenzirende Princip der Ontogenese in den Zellen selbst seinen Sitz habe, nicht in äusseren Einwirkungen. Wilhelm 1) Wilhelm His, „Unsere Körperform und das physiologische Problem ihrer Entstehung“, Leipzig 1874.

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/204>, abgerufen am 24.04.2024.