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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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Capitel VI.
Die Bildung von Keimzellen.
1. Die Continuität des Keimplasma's.

Wenn die Vererbung auf der Anwesenheit einer Substanz
beruht, dem Keimplasma, und wenn dieses das neue Individuum
dadurch ins Leben ruft, dass es den Theilungsprocess der Onto-
genese leitet, indem es sich in gesetzmässiger Weise verändert,
so fragt es sich, wieso es sich dann doch wieder in den
Keimzellen des neuen Individuums einstellen kann. Die Ver-
erbung der Eigenschaften des Elters auf das Kind kann nur
darauf beruhen, dass die Keimzelle, aus welcher das Kind ent-
steht, genau die gleichen Ide von Keimplasma enthalten kann,
welche in der Keimzelle enthalten waren, aus welcher der Elter
sich entwickelte; nun erleidet aber das Keimplasma zahllose
Veränderungen während der Entwickelung des Eies zum Elter,
wie ist es also möglich, dass dennoch dieselbe Substanz wieder
in den Keimzellen des Elters enthalten sein kann?

Es liegen offenbar nur zwei Möglichkeiten vor, entweder
sind die Veränderungen, welche das Keimplasma während des
Aufbaues des Körpers erleidet, von solcher Art, dass sie wieder
rückgängig gemacht werden können, entweder kann also das
Idioplasma aller oder wenigstens eines Theiles der Körperzellen
wieder in Keimplasma zurückverwandelt werden, von dem es ja
indirekt herstammt, oder, falls dies nicht möglich ist, das
Keimplasma der Keimzellen des Kindes muss sich direkt von
demjenigen der elterlichen Keimzelle herleiten. Die letztere An-
sicht ist diejenige, welche ich schon vor mehreren Jahren auf-
gestellt und als die Hypothese von der Continuität des
Keimplasma's
bezeichnet habe.1) Eine dritte Möglichkeit

1) Weismann, "Die Continuität des Keimplasma's als Grundlage
einer Theorie der Vererbung". Jena 1885.
Weismann, Das Keimplasma. 16
Capitel VI.
Die Bildung von Keimzellen.
1. Die Continuität des Keimplasma’s.

Wenn die Vererbung auf der Anwesenheit einer Substanz
beruht, dem Keimplasma, und wenn dieses das neue Individuum
dadurch ins Leben ruft, dass es den Theilungsprocess der Onto-
genese leitet, indem es sich in gesetzmässiger Weise verändert,
so fragt es sich, wieso es sich dann doch wieder in den
Keimzellen des neuen Individuums einstellen kann. Die Ver-
erbung der Eigenschaften des Elters auf das Kind kann nur
darauf beruhen, dass die Keimzelle, aus welcher das Kind ent-
steht, genau die gleichen Ide von Keimplasma enthalten kann,
welche in der Keimzelle enthalten waren, aus welcher der Elter
sich entwickelte; nun erleidet aber das Keimplasma zahllose
Veränderungen während der Entwickelung des Eies zum Elter,
wie ist es also möglich, dass dennoch dieselbe Substanz wieder
in den Keimzellen des Elters enthalten sein kann?

Es liegen offenbar nur zwei Möglichkeiten vor, entweder
sind die Veränderungen, welche das Keimplasma während des
Aufbaues des Körpers erleidet, von solcher Art, dass sie wieder
rückgängig gemacht werden können, entweder kann also das
Idioplasma aller oder wenigstens eines Theiles der Körperzellen
wieder in Keimplasma zurückverwandelt werden, von dem es ja
indirekt herstammt, oder, falls dies nicht möglich ist, das
Keimplasma der Keimzellen des Kindes muss sich direkt von
demjenigen der elterlichen Keimzelle herleiten. Die letztere An-
sicht ist diejenige, welche ich schon vor mehreren Jahren auf-
gestellt und als die Hypothese von der Continuität des
Keimplasma’s
bezeichnet habe.1) Eine dritte Möglichkeit

1) Weismann, „Die Continuität des Keimplasma’s als Grundlage
einer Theorie der Vererbung“. Jena 1885.
Weismann, Das Keimplasma. 16
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[241/0265] Capitel VI. Die Bildung von Keimzellen. 1. Die Continuität des Keimplasma’s. Wenn die Vererbung auf der Anwesenheit einer Substanz beruht, dem Keimplasma, und wenn dieses das neue Individuum dadurch ins Leben ruft, dass es den Theilungsprocess der Onto- genese leitet, indem es sich in gesetzmässiger Weise verändert, so fragt es sich, wieso es sich dann doch wieder in den Keimzellen des neuen Individuums einstellen kann. Die Ver- erbung der Eigenschaften des Elters auf das Kind kann nur darauf beruhen, dass die Keimzelle, aus welcher das Kind ent- steht, genau die gleichen Ide von Keimplasma enthalten kann, welche in der Keimzelle enthalten waren, aus welcher der Elter sich entwickelte; nun erleidet aber das Keimplasma zahllose Veränderungen während der Entwickelung des Eies zum Elter, wie ist es also möglich, dass dennoch dieselbe Substanz wieder in den Keimzellen des Elters enthalten sein kann? Es liegen offenbar nur zwei Möglichkeiten vor, entweder sind die Veränderungen, welche das Keimplasma während des Aufbaues des Körpers erleidet, von solcher Art, dass sie wieder rückgängig gemacht werden können, entweder kann also das Idioplasma aller oder wenigstens eines Theiles der Körperzellen wieder in Keimplasma zurückverwandelt werden, von dem es ja indirekt herstammt, oder, falls dies nicht möglich ist, das Keimplasma der Keimzellen des Kindes muss sich direkt von demjenigen der elterlichen Keimzelle herleiten. Die letztere An- sicht ist diejenige, welche ich schon vor mehreren Jahren auf- gestellt und als die Hypothese von der Continuität des Keimplasma’s bezeichnet habe. 1) Eine dritte Möglichkeit 1) Weismann, „Die Continuität des Keimplasma’s als Grundlage einer Theorie der Vererbung“. Jena 1885. Weismann, Das Keimplasma. 16

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/265>, abgerufen am 29.03.2024.