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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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klären, dass die gewöhnliche Form der Blume hier eine "grössere
Kraft der Überlieferung" besässe, aber abgesehen davon, dass
dies wohl kaum eine wirkliche Erklärung genannt werden kann,
sondern eine andere Formulirung der beobachteten Thatsache,
so hält auch die Erklärung für den weiteren Verlauf des Ver-
suchs nicht Stand. Darwin liess nämlich die durch Kreuzung
der pelorischen mit der gewöhnlichen Form des Löwenmauls
erhaltenen Pflanzen, welche alle "dem gemeinen Löwenmaul
vollständig glichen, sich selbst aussäen, und unter hundertund-
siebenundzwanzig Sämlingen erwiesen sich achtundachtzig als
gemeines Löwenmaul, zwei waren in einem mittleren Zustand
zwischen dem pelorischen und normalen, und siebenunddreissig
waren unvollkommen pelorisch". Wenn nun der Charakter der
Asymmetrie eine "grössere Kraft der Überlieferung" besässe, so
sollte man erwarten, dass er dieselbe um so mehr geltend machen
werde, wenn beide Eltern asymmetrische Blumen hatten, als
wenn nur die eine. Darwin versucht denn auch, noch eine
besondere Erklärung für die Thatsache zu geben, "dass ein
Charakter durch das Dazwischentreten einer Generation", die
ihn nicht besitzt, "an Stärke gewinnt", nämlich in dem Capitel
über Pangenesis.

Meine eigene Erklärung der erwähnten Thatsachen ergiebt
sich aus dem Vorhergehenden fast von selbst. Dass die Kreuzung
des gewöhnlichen Löwenmauls mit dem pelorischen so viele ge-
wöhnliche Pflanzen lieferte, und dass diese dann untereinander
fortgepflanzt neben der gewöhnlichen Form eine grosse Zahl
"unvollkommen pelorischer" als Nachkommen hervorbrachten,
liegt wieder einfach an der in verschiedener Weise erfolgenden
Reductionstheilung der Keim-Mutterzellen, durch welche bald
nur "gewöhnliche" Determinanten in eine Keimzelle gelangen,
bald nur "pelorische", bald eine Mischung beider, die vorwiegend
pelorisch oder vorwiegend gewöhnlich ist. Je nachdem nun bei

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klären, dass die gewöhnliche Form der Blume hier eine „grössere
Kraft der Überlieferung“ besässe, aber abgesehen davon, dass
dies wohl kaum eine wirkliche Erklärung genannt werden kann,
sondern eine andere Formulirung der beobachteten Thatsache,
so hält auch die Erklärung für den weiteren Verlauf des Ver-
suchs nicht Stand. Darwin liess nämlich die durch Kreuzung
der pelorischen mit der gewöhnlichen Form des Löwenmauls
erhaltenen Pflanzen, welche alle „dem gemeinen Löwenmaul
vollständig glichen, sich selbst aussäen, und unter hundertund-
siebenundzwanzig Sämlingen erwiesen sich achtundachtzig als
gemeines Löwenmaul, zwei waren in einem mittleren Zustand
zwischen dem pelorischen und normalen, und siebenunddreissig
waren unvollkommen pelorisch“. Wenn nun der Charakter der
Asymmetrie eine „grössere Kraft der Überlieferung“ besässe, so
sollte man erwarten, dass er dieselbe um so mehr geltend machen
werde, wenn beide Eltern asymmetrische Blumen hatten, als
wenn nur die eine. Darwin versucht denn auch, noch eine
besondere Erklärung für die Thatsache zu geben, „dass ein
Charakter durch das Dazwischentreten einer Generation“, die
ihn nicht besitzt, „an Stärke gewinnt“, nämlich in dem Capitel
über Pangenesis.

Meine eigene Erklärung der erwähnten Thatsachen ergiebt
sich aus dem Vorhergehenden fast von selbst. Dass die Kreuzung
des gewöhnlichen Löwenmauls mit dem pelorischen so viele ge-
wöhnliche Pflanzen lieferte, und dass diese dann untereinander
fortgepflanzt neben der gewöhnlichen Form eine grosse Zahl
„unvollkommen pelorischer“ als Nachkommen hervorbrachten,
liegt wieder einfach an der in verschiedener Weise erfolgenden
Reductionstheilung der Keim-Mutterzellen, durch welche bald
nur „gewöhnliche“ Determinanten in eine Keimzelle gelangen,
bald nur „pelorische“, bald eine Mischung beider, die vorwiegend
pelorisch oder vorwiegend gewöhnlich ist. Je nachdem nun bei

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[435/0459] klären, dass die gewöhnliche Form der Blume hier eine „grössere Kraft der Überlieferung“ besässe, aber abgesehen davon, dass dies wohl kaum eine wirkliche Erklärung genannt werden kann, sondern eine andere Formulirung der beobachteten Thatsache, so hält auch die Erklärung für den weiteren Verlauf des Ver- suchs nicht Stand. Darwin liess nämlich die durch Kreuzung der pelorischen mit der gewöhnlichen Form des Löwenmauls erhaltenen Pflanzen, welche alle „dem gemeinen Löwenmaul vollständig glichen, sich selbst aussäen, und unter hundertund- siebenundzwanzig Sämlingen erwiesen sich achtundachtzig als gemeines Löwenmaul, zwei waren in einem mittleren Zustand zwischen dem pelorischen und normalen, und siebenunddreissig waren unvollkommen pelorisch“. Wenn nun der Charakter der Asymmetrie eine „grössere Kraft der Überlieferung“ besässe, so sollte man erwarten, dass er dieselbe um so mehr geltend machen werde, wenn beide Eltern asymmetrische Blumen hatten, als wenn nur die eine. Darwin versucht denn auch, noch eine besondere Erklärung für die Thatsache zu geben, „dass ein Charakter durch das Dazwischentreten einer Generation“, die ihn nicht besitzt, „an Stärke gewinnt“, nämlich in dem Capitel über Pangenesis. Meine eigene Erklärung der erwähnten Thatsachen ergiebt sich aus dem Vorhergehenden fast von selbst. Dass die Kreuzung des gewöhnlichen Löwenmauls mit dem pelorischen so viele ge- wöhnliche Pflanzen lieferte, und dass diese dann untereinander fortgepflanzt neben der gewöhnlichen Form eine grosse Zahl „unvollkommen pelorischer“ als Nachkommen hervorbrachten, liegt wieder einfach an der in verschiedener Weise erfolgenden Reductionstheilung der Keim-Mutterzellen, durch welche bald nur „gewöhnliche“ Determinanten in eine Keimzelle gelangen, bald nur „pelorische“, bald eine Mischung beider, die vorwiegend pelorisch oder vorwiegend gewöhnlich ist. Je nachdem nun bei 28*

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/459>, abgerufen am 23.04.2024.