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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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Eine wesentliche Stütze für diese Auffassung finde ich
darin, dass es Pflanzen giebt, bei welchen Wurzelanlagen im
Gewebe der oberirdischen Sprosse mikroskopisch nachweisbar
vertheilt sind. Bei der Weide verhält es sich so, und diese
Pflanze besitzt bekanntlich in hohem Grade das Vermögen
anzuwurzeln, wenn man einen abgeschnittenen Zweig in die
Erde steckt. Aber unzählige andere Pflanzen besitzen dies
Vermögen auch, sich durch "Ableger" vermehren zu lassen, und
bei diesen wird man vermuthen dürfen, dass trotz dem Fehlen
eines sichtbaren Wurzelkeimes im Gewebe doch die Determi-
nanten von Wurzelgewebe enthalten sind, bereit, sich zu Keimen
zu entwickeln, sobald die äusseren Einflüsse eintreten, die Wurzel-
bildung veranlassen.

Nicht alle Fälle von Dichogenie aber lassen sich in dieser
Weise auflösen. Es giebt Fälle, in denen wirklich dieselben
Zellen sich in dieser oder jener Weise entwickeln können, in
denen also ihr Idioplasma umgewandelt werden kann durch
äussere Einflüsse. Der dorsoventrale Bau eines jungen Sprosses
von Thuja wird umgewandelt, wenn er umgedreht, d. h. seine
Oberseite zur Unterseite gemacht wird. 1) Dieselben Zellen,
welche unter gewöhnlichen Verhältnissen Pallisadenzellen ge-
worden wären, nehmen jetzt den Bau der Zellen der Unterseite
an und umgekehrt.

Die Erklärung dafür scheint mir darin gesucht werden zu
müssen, dass hier die Determinanten beider Zellenarten in jeder
der Zellen zusammen vorkommen, dass aber immer nur eine
davon aktiv wird, je nach der stärkeren oder schwächeren Be-
lichtung. Weshalb freilich diese Einrichtung hier getroffen
wurde, weiss ich nicht zu sagen.


1) Vergl. die darauf bezüglichen Angaben von Detm er im "Biolog.
Centralblatt", Bd. VII, No. 23.

Eine wesentliche Stütze für diese Auffassung finde ich
darin, dass es Pflanzen giebt, bei welchen Wurzelanlagen im
Gewebe der oberirdischen Sprosse mikroskopisch nachweisbar
vertheilt sind. Bei der Weide verhält es sich so, und diese
Pflanze besitzt bekanntlich in hohem Grade das Vermögen
anzuwurzeln, wenn man einen abgeschnittenen Zweig in die
Erde steckt. Aber unzählige andere Pflanzen besitzen dies
Vermögen auch, sich durch „Ableger“ vermehren zu lassen, und
bei diesen wird man vermuthen dürfen, dass trotz dem Fehlen
eines sichtbaren Wurzelkeimes im Gewebe doch die Determi-
nanten von Wurzelgewebe enthalten sind, bereit, sich zu Keimen
zu entwickeln, sobald die äusseren Einflüsse eintreten, die Wurzel-
bildung veranlassen.

Nicht alle Fälle von Dichogenie aber lassen sich in dieser
Weise auflösen. Es giebt Fälle, in denen wirklich dieselben
Zellen sich in dieser oder jener Weise entwickeln können, in
denen also ihr Idioplasma umgewandelt werden kann durch
äussere Einflüsse. Der dorsoventrale Bau eines jungen Sprosses
von Thuja wird umgewandelt, wenn er umgedreht, d. h. seine
Oberseite zur Unterseite gemacht wird. 1) Dieselben Zellen,
welche unter gewöhnlichen Verhältnissen Pallisadenzellen ge-
worden wären, nehmen jetzt den Bau der Zellen der Unterseite
an und umgekehrt.

Die Erklärung dafür scheint mir darin gesucht werden zu
müssen, dass hier die Determinanten beider Zellenarten in jeder
der Zellen zusammen vorkommen, dass aber immer nur eine
davon aktiv wird, je nach der stärkeren oder schwächeren Be-
lichtung. Weshalb freilich diese Einrichtung hier getroffen
wurde, weiss ich nicht zu sagen.


1) Vergl. die darauf bezüglichen Angaben von Detm er im „Biolog.
Centralblatt“, Bd. VII, No. 23.
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[502/0526] Eine wesentliche Stütze für diese Auffassung finde ich darin, dass es Pflanzen giebt, bei welchen Wurzelanlagen im Gewebe der oberirdischen Sprosse mikroskopisch nachweisbar vertheilt sind. Bei der Weide verhält es sich so, und diese Pflanze besitzt bekanntlich in hohem Grade das Vermögen anzuwurzeln, wenn man einen abgeschnittenen Zweig in die Erde steckt. Aber unzählige andere Pflanzen besitzen dies Vermögen auch, sich durch „Ableger“ vermehren zu lassen, und bei diesen wird man vermuthen dürfen, dass trotz dem Fehlen eines sichtbaren Wurzelkeimes im Gewebe doch die Determi- nanten von Wurzelgewebe enthalten sind, bereit, sich zu Keimen zu entwickeln, sobald die äusseren Einflüsse eintreten, die Wurzel- bildung veranlassen. Nicht alle Fälle von Dichogenie aber lassen sich in dieser Weise auflösen. Es giebt Fälle, in denen wirklich dieselben Zellen sich in dieser oder jener Weise entwickeln können, in denen also ihr Idioplasma umgewandelt werden kann durch äussere Einflüsse. Der dorsoventrale Bau eines jungen Sprosses von Thuja wird umgewandelt, wenn er umgedreht, d. h. seine Oberseite zur Unterseite gemacht wird. 1) Dieselben Zellen, welche unter gewöhnlichen Verhältnissen Pallisadenzellen ge- worden wären, nehmen jetzt den Bau der Zellen der Unterseite an und umgekehrt. Die Erklärung dafür scheint mir darin gesucht werden zu müssen, dass hier die Determinanten beider Zellenarten in jeder der Zellen zusammen vorkommen, dass aber immer nur eine davon aktiv wird, je nach der stärkeren oder schwächeren Be- lichtung. Weshalb freilich diese Einrichtung hier getroffen wurde, weiss ich nicht zu sagen. 1) Vergl. die darauf bezüglichen Angaben von Detm er im „Biolog. Centralblatt“, Bd. VII, No. 23.

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 502. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/526>, abgerufen am 28.03.2024.