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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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Theilweise sind diese Abarten zuerst an Sämlingen, also
an ganzen Pflanzen aufgetreten, theilweise aber auch an einzelnen
Zweigen oder Sprossen, und die Letzteren bezeichnet man als
Knospen-Variationen.

Ich beginne mit den aus Samen entstandenen Abarten.
Die häufigsten solcher Abarten bilden sich an Kulturpflanzen,
d. h. Arten, welche lange Zeit unter Bedingungen gestanden
haben, die mehr oder weniger von ihren natürlichen Lebens-
bedingungen abweichen. Man hat deshalb gewiss mit Recht
den Einfluss abweichender äusserer Einflüsse als die Ursache
der Abänderung angesehen. Aber eine wilde Pflanze, welche in
Gartenland verpflanzt wird, variirt keineswegs immer sofort,
sondern, wie die mitgetheilten Versuche Hoffmann's gezeigt
haben, es dauert oft viele Generationen lang, ehe sich stärkere
Variationen zeigen, und auch dann keineswegs an allen Säm-
lingen, sondern vielleicht nur an einem unter Hunderten oder
Tausenden.

Hier, wie bei der gewöhnlichen individuellen Variation
geringen Betrages bereitet sich die Abänderung langer Hand
vor, ehe sie sichtbar wird. Zuerst ändern wenige, dann zahl-
reichere Determinanten ab, um schliesslich einmal in irgend
welchen Keimzellen durch den Zufall der Reductionstheilung
so gehäuft zu werden, dass sie mit Hülfe von Amphimixis die
Majorität erlangen. Dass solche Variationen, stärkeren Betrages
sind, als die gewöhnlichen Variationen wird auf der dauernden
Einwirkung der gleichen Ernährungs-Modification beruhen,
die die dafür empfänglichen Determinanten in derselben
Richtung der Abänderung festhalten und so eine Steigerung zu
Stande bringen, welche bei den gewöhnlichen, stets wechselnden
Ernährungs-Ungleichheiten fehlt. Die von Darwin 1) hervor-

1) Darwin, "Domestication". Zweite deutsche Auflage, Bd. II, p. 298.

Theilweise sind diese Abarten zuerst an Sämlingen, also
an ganzen Pflanzen aufgetreten, theilweise aber auch an einzelnen
Zweigen oder Sprossen, und die Letzteren bezeichnet man als
Knospen-Variationen.

Ich beginne mit den aus Samen entstandenen Abarten.
Die häufigsten solcher Abarten bilden sich an Kulturpflanzen,
d. h. Arten, welche lange Zeit unter Bedingungen gestanden
haben, die mehr oder weniger von ihren natürlichen Lebens-
bedingungen abweichen. Man hat deshalb gewiss mit Recht
den Einfluss abweichender äusserer Einflüsse als die Ursache
der Abänderung angesehen. Aber eine wilde Pflanze, welche in
Gartenland verpflanzt wird, variirt keineswegs immer sofort,
sondern, wie die mitgetheilten Versuche Hoffmann’s gezeigt
haben, es dauert oft viele Generationen lang, ehe sich stärkere
Variationen zeigen, und auch dann keineswegs an allen Säm-
lingen, sondern vielleicht nur an einem unter Hunderten oder
Tausenden.

Hier, wie bei der gewöhnlichen individuellen Variation
geringen Betrages bereitet sich die Abänderung langer Hand
vor, ehe sie sichtbar wird. Zuerst ändern wenige, dann zahl-
reichere Determinanten ab, um schliesslich einmal in irgend
welchen Keimzellen durch den Zufall der Reductionstheilung
so gehäuft zu werden, dass sie mit Hülfe von Amphimixis die
Majorität erlangen. Dass solche Variationen, stärkeren Betrages
sind, als die gewöhnlichen Variationen wird auf der dauernden
Einwirkung der gleichen Ernährungs-Modification beruhen,
die die dafür empfänglichen Determinanten in derselben
Richtung der Abänderung festhalten und so eine Steigerung zu
Stande bringen, welche bei den gewöhnlichen, stets wechselnden
Ernährungs-Ungleichheiten fehlt. Die von Darwin 1) hervor-

1) Darwin, „Domestication“. Zweite deutsche Auflage, Bd. II, p. 298.
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[573/0597] Theilweise sind diese Abarten zuerst an Sämlingen, also an ganzen Pflanzen aufgetreten, theilweise aber auch an einzelnen Zweigen oder Sprossen, und die Letzteren bezeichnet man als Knospen-Variationen. Ich beginne mit den aus Samen entstandenen Abarten. Die häufigsten solcher Abarten bilden sich an Kulturpflanzen, d. h. Arten, welche lange Zeit unter Bedingungen gestanden haben, die mehr oder weniger von ihren natürlichen Lebens- bedingungen abweichen. Man hat deshalb gewiss mit Recht den Einfluss abweichender äusserer Einflüsse als die Ursache der Abänderung angesehen. Aber eine wilde Pflanze, welche in Gartenland verpflanzt wird, variirt keineswegs immer sofort, sondern, wie die mitgetheilten Versuche Hoffmann’s gezeigt haben, es dauert oft viele Generationen lang, ehe sich stärkere Variationen zeigen, und auch dann keineswegs an allen Säm- lingen, sondern vielleicht nur an einem unter Hunderten oder Tausenden. Hier, wie bei der gewöhnlichen individuellen Variation geringen Betrages bereitet sich die Abänderung langer Hand vor, ehe sie sichtbar wird. Zuerst ändern wenige, dann zahl- reichere Determinanten ab, um schliesslich einmal in irgend welchen Keimzellen durch den Zufall der Reductionstheilung so gehäuft zu werden, dass sie mit Hülfe von Amphimixis die Majorität erlangen. Dass solche Variationen, stärkeren Betrages sind, als die gewöhnlichen Variationen wird auf der dauernden Einwirkung der gleichen Ernährungs-Modification beruhen, die die dafür empfänglichen Determinanten in derselben Richtung der Abänderung festhalten und so eine Steigerung zu Stande bringen, welche bei den gewöhnlichen, stets wechselnden Ernährungs-Ungleichheiten fehlt. Die von Darwin 1) hervor- 1) Darwin, „Domestication“. Zweite deutsche Auflage, Bd. II, p. 298.

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 573. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/597>, abgerufen am 29.03.2024.