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Wernicke, Carl: Der aphasische Symptomencomplex. Breslau, 1874.

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lassen sich die überhängenden Theile der Hemisphäre, welche
die Insel selbst ja ganz verdecken, sehr schwer abbiegen. Gelingt
dies aber nicht, so arbeitet man ganz im Finstern und ist genöthigt,
die künstlichsten, unbequemsten Stellungen einzunehmen, um sich
nicht selbst noch den einzigen Zugang des Lichtes zu verstellen.
Am leichtesten gelingt daher die Darstellung desjenigen Theiles,
welcher senkrecht erst nach oben, dann nach unten verlaufend
die Furche zwischen Klappdeckel und Insel (die Oberspalte
Burdach's) überbrückt. Die Dicke der Schicht ist auch hier
ziemlich beträchtlich und beträgt im Durchschnitt über 1/2'''. Nächst-
dem gelingt die Präparation am besten in der Vorderspalte,
zwischen Stirnhirn und Insel. Der tiefe Ausschnitt, welcher sich
zwischen diesem Theile des Stirnlappens und dem Klappdeckel
hin nach vorn und oben zieht, wird vollständig mit derartigen
Fasern ausgekleidet. Am schwierigsten ist die Präparation am
Schläfelappen, einmal wegen der tiefen Lage der dort überbrückten
Unterspalte, dann aber auch wegen der geringen Dicke der
Laminae arcuatae; in gesteigertem Masse gilt dies für die tiefe
Bucht, in welcher die hinteren Enden der Ober- und Unterspalte
zusammenfliessen.

Bei Ausführung dieser Präparation empfiehlt es sich, zuerst
den Scalpellstiel etwa in der halben Höhe der inneren Fläche
des Klappdeckels anzusetzen und von da aus sowohl nach oben
als nach der Insel hin die Rinde abzustemmen. In der Windungs-
kuppe zerstreuen sich bekanntlich die Fibrae propriae und sind
nicht mehr präparirbar. Auch in der Inselrinde lassen sich die
Fasern nicht weit verfolgen, indem sie sich vielfach verflechten
und in die Tiefe, der Vormauer zu, senken.

Wenn nun schon a priori, nach der gegebenen Entwickelung
des Sprachvorganges als einer spontanen Bewegung, die Annahme
durchaus unwahrscheinlich war, dass die im Stirntheil des beschrie-
benen I. Windungsbogens gelegene Broca'sche Stelle das einzige
Sprachcentrum sei, so führt die Berücksichtigung der beschrie-
benen anatomischen Verhältnisse, der zahlreichen dafür sprechenden
Sectionsbefunde, endlich der Verschiedenheit in dem klinischen
Bilde der Aphasie, in zwingender Weise zu folgender Auffassung
des Sachverhaltes. Das ganze Gebiet der I., die Fossa Sylvii
umkreisenden Windung im Verein mit der Inselrinde dient als
Sprechcentrum; und zwar ist die I. Stirnwindung, weil motorisch,
das Centrum der Bewegungsvorstellungen, die I. Schläfewindung,

lassen sich die überhängenden Theile der Hemisphäre, welche
die Insel selbst ja ganz verdecken, sehr schwer abbiegen. Gelingt
dies aber nicht, so arbeitet man ganz im Finstern und ist genöthigt,
die künstlichsten, unbequemsten Stellungen einzunehmen, um sich
nicht selbst noch den einzigen Zugang des Lichtes zu verstellen.
Am leichtesten gelingt daher die Darstellung desjenigen Theiles,
welcher senkrecht erst nach oben, dann nach unten verlaufend
die Furche zwischen Klappdeckel und Insel (die Oberspalte
Burdach’s) überbrückt. Die Dicke der Schicht ist auch hier
ziemlich beträchtlich und beträgt im Durchschnitt über ½‴. Nächst-
dem gelingt die Präparation am besten in der Vorderspalte,
zwischen Stirnhirn und Insel. Der tiefe Ausschnitt, welcher sich
zwischen diesem Theile des Stirnlappens und dem Klappdeckel
hin nach vorn und oben zieht, wird vollständig mit derartigen
Fasern ausgekleidet. Am schwierigsten ist die Präparation am
Schläfelappen, einmal wegen der tiefen Lage der dort überbrückten
Unterspalte, dann aber auch wegen der geringen Dicke der
Laminae arcuatae; in gesteigertem Masse gilt dies für die tiefe
Bucht, in welcher die hinteren Enden der Ober- und Unterspalte
zusammenfliessen.

Bei Ausführung dieser Präparation empfiehlt es sich, zuerst
den Scalpellstiel etwa in der halben Höhe der inneren Fläche
des Klappdeckels anzusetzen und von da aus sowohl nach oben
als nach der Insel hin die Rinde abzustemmen. In der Windungs-
kuppe zerstreuen sich bekanntlich die Fibrae propriae und sind
nicht mehr präparirbar. Auch in der Inselrinde lassen sich die
Fasern nicht weit verfolgen, indem sie sich vielfach verflechten
und in die Tiefe, der Vormauer zu, senken.

Wenn nun schon a priori, nach der gegebenen Entwickelung
des Sprachvorganges als einer spontanen Bewegung, die Annahme
durchaus unwahrscheinlich war, dass die im Stirntheil des beschrie-
benen I. Windungsbogens gelegene Broca’sche Stelle das einzige
Sprachcentrum sei, so führt die Berücksichtigung der beschrie-
benen anatomischen Verhältnisse, der zahlreichen dafür sprechenden
Sectionsbefunde, endlich der Verschiedenheit in dem klinischen
Bilde der Aphasie, in zwingender Weise zu folgender Auffassung
des Sachverhaltes. Das ganze Gebiet der I., die Fossa Sylvii
umkreisenden Windung im Verein mit der Inselrinde dient als
Sprechcentrum; und zwar ist die I. Stirnwindung, weil motorisch,
das Centrum der Bewegungsvorstellungen, die I. Schläfewindung,

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[18/0022] lassen sich die überhängenden Theile der Hemisphäre, welche die Insel selbst ja ganz verdecken, sehr schwer abbiegen. Gelingt dies aber nicht, so arbeitet man ganz im Finstern und ist genöthigt, die künstlichsten, unbequemsten Stellungen einzunehmen, um sich nicht selbst noch den einzigen Zugang des Lichtes zu verstellen. Am leichtesten gelingt daher die Darstellung desjenigen Theiles, welcher senkrecht erst nach oben, dann nach unten verlaufend die Furche zwischen Klappdeckel und Insel (die Oberspalte Burdach’s) überbrückt. Die Dicke der Schicht ist auch hier ziemlich beträchtlich und beträgt im Durchschnitt über ½‴. Nächst- dem gelingt die Präparation am besten in der Vorderspalte, zwischen Stirnhirn und Insel. Der tiefe Ausschnitt, welcher sich zwischen diesem Theile des Stirnlappens und dem Klappdeckel hin nach vorn und oben zieht, wird vollständig mit derartigen Fasern ausgekleidet. Am schwierigsten ist die Präparation am Schläfelappen, einmal wegen der tiefen Lage der dort überbrückten Unterspalte, dann aber auch wegen der geringen Dicke der Laminae arcuatae; in gesteigertem Masse gilt dies für die tiefe Bucht, in welcher die hinteren Enden der Ober- und Unterspalte zusammenfliessen. Bei Ausführung dieser Präparation empfiehlt es sich, zuerst den Scalpellstiel etwa in der halben Höhe der inneren Fläche des Klappdeckels anzusetzen und von da aus sowohl nach oben als nach der Insel hin die Rinde abzustemmen. In der Windungs- kuppe zerstreuen sich bekanntlich die Fibrae propriae und sind nicht mehr präparirbar. Auch in der Inselrinde lassen sich die Fasern nicht weit verfolgen, indem sie sich vielfach verflechten und in die Tiefe, der Vormauer zu, senken. Wenn nun schon a priori, nach der gegebenen Entwickelung des Sprachvorganges als einer spontanen Bewegung, die Annahme durchaus unwahrscheinlich war, dass die im Stirntheil des beschrie- benen I. Windungsbogens gelegene Broca’sche Stelle das einzige Sprachcentrum sei, so führt die Berücksichtigung der beschrie- benen anatomischen Verhältnisse, der zahlreichen dafür sprechenden Sectionsbefunde, endlich der Verschiedenheit in dem klinischen Bilde der Aphasie, in zwingender Weise zu folgender Auffassung des Sachverhaltes. Das ganze Gebiet der I., die Fossa Sylvii umkreisenden Windung im Verein mit der Inselrinde dient als Sprechcentrum; und zwar ist die I. Stirnwindung, weil motorisch, das Centrum der Bewegungsvorstellungen, die I. Schläfewindung,

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Zitationshilfe: Wernicke, Carl: Der aphasische Symptomencomplex. Breslau, 1874, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wernicke_symptomencomplex_1874/22>, abgerufen am 28.03.2024.