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Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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stellte ihr die schlechteste Kuh ein, die er auftreiben konnte, und gab derselben das schlechteste Futter und die magerste Weide. Wenn sie darüber klagte, hieß es: weise doch deine Verschreibung; steht da, daß die Kuh viel Milch geben muß und wie viel Heu sie erhalten soll? Wehe der Altsitzerin, wenn ihr Huhn auf seine Saat gegangen war; es gab sofort eine Pfändung und einen Prozeß im Domänenrentamt. Dafür rächte sie sich durch heimliche Beschädigungen; sie ließ ihm den Kahn aufs Wasser treiben, wenn er grade nach den Wiesen fahren wollte, oder pflockte die Pferde auf der Weide los, so daß er ihnen stundenlang auf der Haide nachlaufen mußte.

Völlig wild konnte sie ihn machen, wenn sie vor seinen Augen ihre Verschreibung aus dem Kasten nahm, sie in das bekannte rothbunte Tuch wickelte und höhnisch sagte, daß sie zum alten Secretär gehen werde, um sich den Contract lesen zu lassen; es sei am Ausgedinge noch etwas vergessen. Diese Verschreibung, eine Rolle Papier mit deutscher Schrift und großem Gerichtssiegel am Schluß, war ihre Burg, von der sie jeden Ausfall glaubte wagen zu dürfen. Ansas fahndete daher heimlich schon lange darauf, fand sie aber immer wachsam. Eines Abends spät kam sie aus dem Kruge nach Hause und blieb sinnlos betrunken vor der Hausthür liegen. Als er hinaus wollte, um den Stall zu schließen, stolperte er über sie und stieß sie dann mit dem Fuß bei Seite. Dabei bemerkte er,

stellte ihr die schlechteste Kuh ein, die er auftreiben konnte, und gab derselben das schlechteste Futter und die magerste Weide. Wenn sie darüber klagte, hieß es: weise doch deine Verschreibung; steht da, daß die Kuh viel Milch geben muß und wie viel Heu sie erhalten soll? Wehe der Altsitzerin, wenn ihr Huhn auf seine Saat gegangen war; es gab sofort eine Pfändung und einen Prozeß im Domänenrentamt. Dafür rächte sie sich durch heimliche Beschädigungen; sie ließ ihm den Kahn aufs Wasser treiben, wenn er grade nach den Wiesen fahren wollte, oder pflockte die Pferde auf der Weide los, so daß er ihnen stundenlang auf der Haide nachlaufen mußte.

Völlig wild konnte sie ihn machen, wenn sie vor seinen Augen ihre Verschreibung aus dem Kasten nahm, sie in das bekannte rothbunte Tuch wickelte und höhnisch sagte, daß sie zum alten Secretär gehen werde, um sich den Contract lesen zu lassen; es sei am Ausgedinge noch etwas vergessen. Diese Verschreibung, eine Rolle Papier mit deutscher Schrift und großem Gerichtssiegel am Schluß, war ihre Burg, von der sie jeden Ausfall glaubte wagen zu dürfen. Ansas fahndete daher heimlich schon lange darauf, fand sie aber immer wachsam. Eines Abends spät kam sie aus dem Kruge nach Hause und blieb sinnlos betrunken vor der Hausthür liegen. Als er hinaus wollte, um den Stall zu schließen, stolperte er über sie und stieß sie dann mit dem Fuß bei Seite. Dabei bemerkte er,

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[0032] stellte ihr die schlechteste Kuh ein, die er auftreiben konnte, und gab derselben das schlechteste Futter und die magerste Weide. Wenn sie darüber klagte, hieß es: weise doch deine Verschreibung; steht da, daß die Kuh viel Milch geben muß und wie viel Heu sie erhalten soll? Wehe der Altsitzerin, wenn ihr Huhn auf seine Saat gegangen war; es gab sofort eine Pfändung und einen Prozeß im Domänenrentamt. Dafür rächte sie sich durch heimliche Beschädigungen; sie ließ ihm den Kahn aufs Wasser treiben, wenn er grade nach den Wiesen fahren wollte, oder pflockte die Pferde auf der Weide los, so daß er ihnen stundenlang auf der Haide nachlaufen mußte. Völlig wild konnte sie ihn machen, wenn sie vor seinen Augen ihre Verschreibung aus dem Kasten nahm, sie in das bekannte rothbunte Tuch wickelte und höhnisch sagte, daß sie zum alten Secretär gehen werde, um sich den Contract lesen zu lassen; es sei am Ausgedinge noch etwas vergessen. Diese Verschreibung, eine Rolle Papier mit deutscher Schrift und großem Gerichtssiegel am Schluß, war ihre Burg, von der sie jeden Ausfall glaubte wagen zu dürfen. Ansas fahndete daher heimlich schon lange darauf, fand sie aber immer wachsam. Eines Abends spät kam sie aus dem Kruge nach Hause und blieb sinnlos betrunken vor der Hausthür liegen. Als er hinaus wollte, um den Stall zu schließen, stolperte er über sie und stieß sie dann mit dem Fuß bei Seite. Dabei bemerkte er,

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Zitationshilfe: Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wichert_grita_1910/32>, abgerufen am 19.04.2024.