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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
als ein Sophist. Wo ist der Plaz, den er nicht mit
Ruhm bekleiden wird? Wer ist geschikter die Men-
schen zu regieren als derjenige, der am besteu mit ih-
nen umzugehen weiß? Wer schikt sich besser zu öffent-
lichen Unterhandlungen? Wer ist fähiger der Rath-
geber eines Fürsten zu seyn? Ja, wofern er
nur das Glük auf seiner Seite hat, wer wird mit
grösserm Ruhm ein Kriegsheer anführen als er? Wer
wird die Kunst besser verstehen, sich für die Geschiklich-
keit und die Verdienste seiner Subalternen belohnen zu
lassen? Wer wird die Vorsicht, die er nicht gehabt,
die klugen Anstalten, die er nicht gemacht, die Wun-
den, die er nicht bekommen hat, besser gelten zu ma-
chen wissen, als er?

Doch es ist Zeit einen Discurs zu enden, der für
beyde ermüdend zu werden anfangt. Jch habe dir genug
gesagt, um den Zauber zu vernichten, den die Schwär-
merey auf deine Seele gelegt hat; und wenn dieses
nicht genug ist, so würde alles überflüßig seyn was
ich sagen könnte. Glaube übrigens nicht, Callias, daß
der Orden der Sophisten einen unansehnlichen Theil
der menschlichen Gesellschaft ausmache. Die Anzahl
derjenigen die unsre Kunst ausüben, ist in allen Stän-
den sehr beträchtlich, und du wirst unter denen die ein
grosses Glük gemacht haben, schwehrlich einen einzigen
finden, der es nicht einer geschikten Anwendung un-
srer Grundsäze zu danken habe. Diese Grundsäze ma-
chen die gewöhnliche Denkungsart der Hofleute, der

Leute

Agathon.
als ein Sophiſt. Wo iſt der Plaz, den er nicht mit
Ruhm bekleiden wird? Wer iſt geſchikter die Men-
ſchen zu regieren als derjenige, der am beſteu mit ih-
nen umzugehen weiß? Wer ſchikt ſich beſſer zu oͤffent-
lichen Unterhandlungen? Wer iſt faͤhiger der Rath-
geber eines Fuͤrſten zu ſeyn? Ja, wofern er
nur das Gluͤk auf ſeiner Seite hat, wer wird mit
groͤſſerm Ruhm ein Kriegsheer anfuͤhren als er? Wer
wird die Kunſt beſſer verſtehen, ſich fuͤr die Geſchiklich-
keit und die Verdienſte ſeiner Subalternen belohnen zu
laſſen? Wer wird die Vorſicht, die er nicht gehabt,
die klugen Anſtalten, die er nicht gemacht, die Wun-
den, die er nicht bekommen hat, beſſer gelten zu ma-
chen wiſſen, als er?

Doch es iſt Zeit einen Diſcurs zu enden, der fuͤr
beyde ermuͤdend zu werden anfangt. Jch habe dir genug
geſagt, um den Zauber zu vernichten, den die Schwaͤr-
merey auf deine Seele gelegt hat; und wenn dieſes
nicht genug iſt, ſo wuͤrde alles uͤberfluͤßig ſeyn was
ich ſagen koͤnnte. Glaube uͤbrigens nicht, Callias, daß
der Orden der Sophiſten einen unanſehnlichen Theil
der menſchlichen Geſellſchaft ausmache. Die Anzahl
derjenigen die unſre Kunſt ausuͤben, iſt in allen Staͤn-
den ſehr betraͤchtlich, und du wirſt unter denen die ein
groſſes Gluͤk gemacht haben, ſchwehrlich einen einzigen
finden, der es nicht einer geſchikten Anwendung un-
ſrer Grundſaͤze zu danken habe. Dieſe Grundſaͤze ma-
chen die gewoͤhnliche Denkungsart der Hofleute, der

Leute
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[122/0144] Agathon. als ein Sophiſt. Wo iſt der Plaz, den er nicht mit Ruhm bekleiden wird? Wer iſt geſchikter die Men- ſchen zu regieren als derjenige, der am beſteu mit ih- nen umzugehen weiß? Wer ſchikt ſich beſſer zu oͤffent- lichen Unterhandlungen? Wer iſt faͤhiger der Rath- geber eines Fuͤrſten zu ſeyn? Ja, wofern er nur das Gluͤk auf ſeiner Seite hat, wer wird mit groͤſſerm Ruhm ein Kriegsheer anfuͤhren als er? Wer wird die Kunſt beſſer verſtehen, ſich fuͤr die Geſchiklich- keit und die Verdienſte ſeiner Subalternen belohnen zu laſſen? Wer wird die Vorſicht, die er nicht gehabt, die klugen Anſtalten, die er nicht gemacht, die Wun- den, die er nicht bekommen hat, beſſer gelten zu ma- chen wiſſen, als er? Doch es iſt Zeit einen Diſcurs zu enden, der fuͤr beyde ermuͤdend zu werden anfangt. Jch habe dir genug geſagt, um den Zauber zu vernichten, den die Schwaͤr- merey auf deine Seele gelegt hat; und wenn dieſes nicht genug iſt, ſo wuͤrde alles uͤberfluͤßig ſeyn was ich ſagen koͤnnte. Glaube uͤbrigens nicht, Callias, daß der Orden der Sophiſten einen unanſehnlichen Theil der menſchlichen Geſellſchaft ausmache. Die Anzahl derjenigen die unſre Kunſt ausuͤben, iſt in allen Staͤn- den ſehr betraͤchtlich, und du wirſt unter denen die ein groſſes Gluͤk gemacht haben, ſchwehrlich einen einzigen finden, der es nicht einer geſchikten Anwendung un- ſrer Grundſaͤze zu danken habe. Dieſe Grundſaͤze ma- chen die gewoͤhnliche Denkungsart der Hofleute, der Leute

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/144>, abgerufen am 19.04.2024.