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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Drittes Buch, fünftes Capitel.
Leute die sich dem Dienste der Grossen gewidmet haben,
und überhaupt derjenigen Classe von Menschen aus, die
an jedem Orte die edelsten und angesehensten sind, und
(die wenigen Fälle ausgenommen, wo das spielende
Glük durch einen blinden Wurf einen Narren an den
Plaz eines klugen Menschen fallen läßt) sind die ge-
schikten Köpfe, die von diefen Maximen den besten Ge-
brauch zu machen wissen, allezeit diejenigen, die es
auf der Bahn der Ehre und des Glüks am weitesten
bringen.

Sechstes Capitel.
Ungelehrigkeit des Agathon.

Hippias konnte sich wohl berechtiget halten, einigen
Dank bey seinem Lehrjünger verdient zu haben, da er
sich so viele Mühe gegeben hatte, ihn weise zu machen.
Allein wir müssen es nur gestehen, er hatte es mit ei-
nem Menschen zu thun, der nicht fähig war, die Wich-
tigkeit dieses Dienstes einzusehen, oder die Schönheit
eines Systems zu empfinden, welches seinen vermeyn-
ten Empfindungen so zuwider war. Seine Erwartung
sah, daß der weise Hippias aufgehört hatte zu reden, würde
also nicht wenig betrogen, als Agathon, wie er ihm diese
kurze Antwort gab: Du hast eine schöne Rede gehalten,
Hippias; deine Beobachtungen sind sehr fein, deine Schlüs-
se sehr bündig, deine Maximen sehr practisch, und ich zweifle

nicht,

Drittes Buch, fuͤnftes Capitel.
Leute die ſich dem Dienſte der Groſſen gewidmet haben,
und uͤberhaupt derjenigen Claſſe von Menſchen aus, die
an jedem Orte die edelſten und angeſehenſten ſind, und
(die wenigen Faͤlle ausgenommen, wo das ſpielende
Gluͤk durch einen blinden Wurf einen Narren an den
Plaz eines klugen Menſchen fallen laͤßt) ſind die ge-
ſchikten Koͤpfe, die von diefen Maximen den beſten Ge-
brauch zu machen wiſſen, allezeit diejenigen, die es
auf der Bahn der Ehre und des Gluͤks am weiteſten
bringen.

Sechſtes Capitel.
Ungelehrigkeit des Agathon.

Hippias konnte ſich wohl berechtiget halten, einigen
Dank bey ſeinem Lehrjuͤnger verdient zu haben, da er
ſich ſo viele Muͤhe gegeben hatte, ihn weiſe zu machen.
Allein wir muͤſſen es nur geſtehen, er hatte es mit ei-
nem Menſchen zu thun, der nicht faͤhig war, die Wich-
tigkeit dieſes Dienſtes einzuſehen, oder die Schoͤnheit
eines Syſtems zu empfinden, welches ſeinen vermeyn-
ten Empfindungen ſo zuwider war. Seine Erwartung
ſah, daß der weiſe Hippias aufgehoͤrt hatte zu reden, wuͤrde
alſo nicht wenig betrogen, als Agathon, wie er ihm dieſe
kurze Antwort gab: Du haſt eine ſchoͤne Rede gehalten,
Hippias; deine Beobachtungen ſind ſehr fein, deine Schluͤſ-
ſe ſehr buͤndig, deine Maximen ſehr practiſch, und ich zweifle

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[123/0145] Drittes Buch, fuͤnftes Capitel. Leute die ſich dem Dienſte der Groſſen gewidmet haben, und uͤberhaupt derjenigen Claſſe von Menſchen aus, die an jedem Orte die edelſten und angeſehenſten ſind, und (die wenigen Faͤlle ausgenommen, wo das ſpielende Gluͤk durch einen blinden Wurf einen Narren an den Plaz eines klugen Menſchen fallen laͤßt) ſind die ge- ſchikten Koͤpfe, die von diefen Maximen den beſten Ge- brauch zu machen wiſſen, allezeit diejenigen, die es auf der Bahn der Ehre und des Gluͤks am weiteſten bringen. Sechſtes Capitel. Ungelehrigkeit des Agathon. Hippias konnte ſich wohl berechtiget halten, einigen Dank bey ſeinem Lehrjuͤnger verdient zu haben, da er ſich ſo viele Muͤhe gegeben hatte, ihn weiſe zu machen. Allein wir muͤſſen es nur geſtehen, er hatte es mit ei- nem Menſchen zu thun, der nicht faͤhig war, die Wich- tigkeit dieſes Dienſtes einzuſehen, oder die Schoͤnheit eines Syſtems zu empfinden, welches ſeinen vermeyn- ten Empfindungen ſo zuwider war. Seine Erwartung ſah, daß der weiſe Hippias aufgehoͤrt hatte zu reden, wuͤrde alſo nicht wenig betrogen, als Agathon, wie er ihm dieſe kurze Antwort gab: Du haſt eine ſchoͤne Rede gehalten, Hippias; deine Beobachtungen ſind ſehr fein, deine Schluͤſ- ſe ſehr buͤndig, deine Maximen ſehr practiſch, und ich zweifle nicht,

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/145>, abgerufen am 28.03.2024.