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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
dir bestimmen; und vielleicht wirst du in der Zukunft
Ursache finden, den Tag, an dem du dem Hippias ge-
fallen hast, unter deine Glüklichen zu zählen. Mit die-
sen Worten verließ er unsern Jüngling, und ersparte
sich dadurch die Demüthigung zu sehen, wie wenig der neue
Callias durch die Hoffnungen gerührt schien, wozu ihn
diese Erklärung berechtigte. Jn der That hatte die Be-
stimmung, die Jonischen Ohren zu bezaubern, in Aga-
thons Augen nicht edels genug, daß er sich deswegen
hätte glüklich schäzen sollen; und über dem war etwas in
dem Ton dieser Anrede, welches ihm mißfiel, ohne daß er
eigentlich wußte, warum? Jnzwischen vermehrte sich
seine Verwunderung, je mehr er sich in dem Hause des
weisen Hippias umsah; und er begrif nun ganz deut-
lich, daß sein Herr, was auch sonst seine Grundsäze
seyn möchten, wenigstens von der Ertödung der Sinn-
lichkeit, wovon er ehmals den Plato zu Athen sehr
schöne Dinge sagen gehört hatte, keine Profession ma-
che. Allein wie er sah, was die Weisheit in diesem
Hause für eine Tafel hielt, wie prächtig sie sich bedie-
nen ließ, was für reizende Gegenstände ihre Augen,
und was für wollüstige Harmonien ihre Ohren ergözten,
während daß der Schenk-Tisch mit den ausgesuchtesten
Weinen und den angenehm-betäubenden Getränken der
Asiaten beladen, den Sinnen zum Genuß so vieler
Wollüste neue Kräfte zu geben schien; wie er die Menge
von jungen Sclaven sah, die den Liebes-Göttern ähnlich
schienen, die Chöre von Tänzerinnen und Lauten-Spie-

lerinnen,

Agathon.
dir beſtimmen; und vielleicht wirſt du in der Zukunft
Urſache finden, den Tag, an dem du dem Hippias ge-
fallen haſt, unter deine Gluͤklichen zu zaͤhlen. Mit die-
ſen Worten verließ er unſern Juͤngling, und erſparte
ſich dadurch die Demuͤthigung zu ſehen, wie wenig der neue
Callias durch die Hoffnungen geruͤhrt ſchien, wozu ihn
dieſe Erklaͤrung berechtigte. Jn der That hatte die Be-
ſtimmung, die Joniſchen Ohren zu bezaubern, in Aga-
thons Augen nicht edels genug, daß er ſich deswegen
haͤtte gluͤklich ſchaͤzen ſollen; und uͤber dem war etwas in
dem Ton dieſer Anrede, welches ihm mißfiel, ohne daß er
eigentlich wußte, warum? Jnzwiſchen vermehrte ſich
ſeine Verwunderung, je mehr er ſich in dem Hauſe des
weiſen Hippias umſah; und er begrif nun ganz deut-
lich, daß ſein Herr, was auch ſonſt ſeine Grundſaͤze
ſeyn moͤchten, wenigſtens von der Ertoͤdung der Sinn-
lichkeit, wovon er ehmals den Plato zu Athen ſehr
ſchoͤne Dinge ſagen gehoͤrt hatte, keine Profeſſion ma-
che. Allein wie er ſah, was die Weisheit in dieſem
Hauſe fuͤr eine Tafel hielt, wie praͤchtig ſie ſich bedie-
nen ließ, was fuͤr reizende Gegenſtaͤnde ihre Augen,
und was fuͤr wolluͤſtige Harmonien ihre Ohren ergoͤzten,
waͤhrend daß der Schenk-Tiſch mit den ausgeſuchteſten
Weinen und den angenehm-betaͤubenden Getraͤnken der
Aſiaten beladen, den Sinnen zum Genuß ſo vieler
Wolluͤſte neue Kraͤfte zu geben ſchien; wie er die Menge
von jungen Sclaven ſah, die den Liebes-Goͤttern aͤhnlich
ſchienen, die Choͤre von Taͤnzerinnen und Lauten-Spie-

lerinnen,
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[48/0070] Agathon. dir beſtimmen; und vielleicht wirſt du in der Zukunft Urſache finden, den Tag, an dem du dem Hippias ge- fallen haſt, unter deine Gluͤklichen zu zaͤhlen. Mit die- ſen Worten verließ er unſern Juͤngling, und erſparte ſich dadurch die Demuͤthigung zu ſehen, wie wenig der neue Callias durch die Hoffnungen geruͤhrt ſchien, wozu ihn dieſe Erklaͤrung berechtigte. Jn der That hatte die Be- ſtimmung, die Joniſchen Ohren zu bezaubern, in Aga- thons Augen nicht edels genug, daß er ſich deswegen haͤtte gluͤklich ſchaͤzen ſollen; und uͤber dem war etwas in dem Ton dieſer Anrede, welches ihm mißfiel, ohne daß er eigentlich wußte, warum? Jnzwiſchen vermehrte ſich ſeine Verwunderung, je mehr er ſich in dem Hauſe des weiſen Hippias umſah; und er begrif nun ganz deut- lich, daß ſein Herr, was auch ſonſt ſeine Grundſaͤze ſeyn moͤchten, wenigſtens von der Ertoͤdung der Sinn- lichkeit, wovon er ehmals den Plato zu Athen ſehr ſchoͤne Dinge ſagen gehoͤrt hatte, keine Profeſſion ma- che. Allein wie er ſah, was die Weisheit in dieſem Hauſe fuͤr eine Tafel hielt, wie praͤchtig ſie ſich bedie- nen ließ, was fuͤr reizende Gegenſtaͤnde ihre Augen, und was fuͤr wolluͤſtige Harmonien ihre Ohren ergoͤzten, waͤhrend daß der Schenk-Tiſch mit den ausgeſuchteſten Weinen und den angenehm-betaͤubenden Getraͤnken der Aſiaten beladen, den Sinnen zum Genuß ſo vieler Wolluͤſte neue Kraͤfte zu geben ſchien; wie er die Menge von jungen Sclaven ſah, die den Liebes-Goͤttern aͤhnlich ſchienen, die Choͤre von Taͤnzerinnen und Lauten-Spie- lerinnen,

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/70>, abgerufen am 28.03.2024.