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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

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religiösen Faschings und gaben daher hier wie dort
religiös-mythologische Handlungen zum Besten,
anfangs rein mimisch, monologisch, in der Folge
dialogisch, bis sich auch ihr Gegenstand und In¬
halt veränderte und an die Stelle der Götter oder
Heiligen, Könige und Helden traten. Dies ist
die allgemeine äußere Geschichte des Drama; allein
jede Nation hat ihre eigene. Das griechische be¬
wahrte viel von seinem mythologischen Charakter
und ließ Götter und Göttinnen noch in spätester
Zeit persönlich auf der Bühne erscheinen; das
spanische entwickelte sich durchaus religiös und ka¬
tholisch-phantastisch; das englische schwang sich zu¬
erst zu reinmenschlicher, politischer Höhe hinauf,
während das französische ein a la francais zuge¬
schnittenes griechisches blieb und die deutsche nach¬
ahmend mit dem englischen und griechischen wett¬
eiferte. Mit Nachahmung englischer Stücke machte
man unter uns den Anfang, Gryphius und an¬
dere Dichter des 17. Jahrhunderts haben Vieles
nur so vor der Hand übersetzt, man stößt in ihren
Stücken sehr oft auf guten englischen Humor, der
den Deutschen in damaliger Zeit ganz ausgegan¬
gen zu sein schien. Das erste Drama von Be¬
deutung, das ein Jahrhundert später aus dem
Studium der englischen Bühne, zumal aber aus
der Bewunderung des Shakspeare entsprang, war

religioͤſen Faſchings und gaben daher hier wie dort
religioͤs-mythologiſche Handlungen zum Beſten,
anfangs rein mimiſch, monologiſch, in der Folge
dialogiſch, bis ſich auch ihr Gegenſtand und In¬
halt veraͤnderte und an die Stelle der Goͤtter oder
Heiligen, Koͤnige und Helden traten. Dies iſt
die allgemeine aͤußere Geſchichte des Drama; allein
jede Nation hat ihre eigene. Das griechiſche be¬
wahrte viel von ſeinem mythologiſchen Charakter
und ließ Goͤtter und Goͤttinnen noch in ſpaͤteſter
Zeit perſoͤnlich auf der Buͤhne erſcheinen; das
ſpaniſche entwickelte ſich durchaus religioͤs und ka¬
tholiſch-phantaſtiſch; das engliſche ſchwang ſich zu¬
erſt zu reinmenſchlicher, politiſcher Hoͤhe hinauf,
waͤhrend das franzoͤſiſche ein à la français zuge¬
ſchnittenes griechiſches blieb und die deutſche nach¬
ahmend mit dem engliſchen und griechiſchen wett¬
eiferte. Mit Nachahmung engliſcher Stuͤcke machte
man unter uns den Anfang, Gryphius und an¬
dere Dichter des 17. Jahrhunderts haben Vieles
nur ſo vor der Hand uͤberſetzt, man ſtoͤßt in ihren
Stuͤcken ſehr oft auf guten engliſchen Humor, der
den Deutſchen in damaliger Zeit ganz ausgegan¬
gen zu ſein ſchien. Das erſte Drama von Be¬
deutung, das ein Jahrhundert ſpaͤter aus dem
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[248/0262] religioͤſen Faſchings und gaben daher hier wie dort religioͤs-mythologiſche Handlungen zum Beſten, anfangs rein mimiſch, monologiſch, in der Folge dialogiſch, bis ſich auch ihr Gegenſtand und In¬ halt veraͤnderte und an die Stelle der Goͤtter oder Heiligen, Koͤnige und Helden traten. Dies iſt die allgemeine aͤußere Geſchichte des Drama; allein jede Nation hat ihre eigene. Das griechiſche be¬ wahrte viel von ſeinem mythologiſchen Charakter und ließ Goͤtter und Goͤttinnen noch in ſpaͤteſter Zeit perſoͤnlich auf der Buͤhne erſcheinen; das ſpaniſche entwickelte ſich durchaus religioͤs und ka¬ tholiſch-phantaſtiſch; das engliſche ſchwang ſich zu¬ erſt zu reinmenſchlicher, politiſcher Hoͤhe hinauf, waͤhrend das franzoͤſiſche ein à la français zuge¬ ſchnittenes griechiſches blieb und die deutſche nach¬ ahmend mit dem engliſchen und griechiſchen wett¬ eiferte. Mit Nachahmung engliſcher Stuͤcke machte man unter uns den Anfang, Gryphius und an¬ dere Dichter des 17. Jahrhunderts haben Vieles nur ſo vor der Hand uͤberſetzt, man ſtoͤßt in ihren Stuͤcken ſehr oft auf guten engliſchen Humor, der den Deutſchen in damaliger Zeit ganz ausgegan¬ gen zu ſein ſchien. Das erſte Drama von Be¬ deutung, das ein Jahrhundert ſpaͤter aus dem Studium der engliſchen Buͤhne, zumal aber aus der Bewunderung des Shakſpeare entſprang, war

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/262>, abgerufen am 28.03.2024.