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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

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selbstständig und schöpferisch zu Werke gehen und
einen ihnen eigenthümlichen Stil an den Tag legen.
So haben wir von Byron erwähnt, daß seine
Leier von den Schwingen der neuen Zeit angeregt
gewesen, mehr wie die eines andern neuen Dich¬
ters; haben aber zugleich bemerkt, daß er in sei¬
nen Gedichten den Lord nicht vergessen und bei
allem Feuer für die Rechte der Menschheit und
der unterdrückten Völker, bei allem Enthusiasmus
für die Freiheit und reine Humanität des griechi¬
schen Alterthums sich mit Stolz als den Enkel
eines altenglischen, feudalen Geschlechts betrachtete
und kund gab. In dieser Verschmelzung des Grie¬
chischen und Mittelaltrigen sah Goethe mit Recht
den Grundton seiner Poesie, wie sie auch jenen
besondern, ja tiefen, charakteristischen Reiz der
Byronschen Gedichte bildet, der auf des Dichters
Persönlichkeit rückwirkend einen so interessanten
Schimmer wirft. Allein so wenig sich in rein
poetischer Beziehung Gedicht und Dichter trennen
lassen, so erlaubt ist es, in allgemeiner ästhetischer
den Grundton der Byronschen Gedichte in einer
höhern Weltbedeutung wiederzufinden und diese
Mischung des Antiken und Feudalen als eine
Mischung und Vereinigung des griechischen und
germanischen Geistes zu betrachten, welche tropfen¬
weise in die Adern des europäischen Staatskörpers

ſelbſtſtaͤndig und ſchoͤpferiſch zu Werke gehen und
einen ihnen eigenthuͤmlichen Stil an den Tag legen.
So haben wir von Byron erwaͤhnt, daß ſeine
Leier von den Schwingen der neuen Zeit angeregt
geweſen, mehr wie die eines andern neuen Dich¬
ters; haben aber zugleich bemerkt, daß er in ſei¬
nen Gedichten den Lord nicht vergeſſen und bei
allem Feuer fuͤr die Rechte der Menſchheit und
der unterdruͤckten Voͤlker, bei allem Enthuſiasmus
fuͤr die Freiheit und reine Humanitaͤt des griechi¬
ſchen Alterthums ſich mit Stolz als den Enkel
eines altengliſchen, feudalen Geſchlechts betrachtete
und kund gab. In dieſer Verſchmelzung des Grie¬
chiſchen und Mittelaltrigen ſah Goethe mit Recht
den Grundton ſeiner Poeſie, wie ſie auch jenen
beſondern, ja tiefen, charakteriſtiſchen Reiz der
Byronſchen Gedichte bildet, der auf des Dichters
Perſoͤnlichkeit ruͤckwirkend einen ſo intereſſanten
Schimmer wirft. Allein ſo wenig ſich in rein
poetiſcher Beziehung Gedicht und Dichter trennen
laſſen, ſo erlaubt iſt es, in allgemeiner aͤſthetiſcher
den Grundton der Byronſchen Gedichte in einer
hoͤhern Weltbedeutung wiederzufinden und dieſe
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[281/0295] ſelbſtſtaͤndig und ſchoͤpferiſch zu Werke gehen und einen ihnen eigenthuͤmlichen Stil an den Tag legen. So haben wir von Byron erwaͤhnt, daß ſeine Leier von den Schwingen der neuen Zeit angeregt geweſen, mehr wie die eines andern neuen Dich¬ ters; haben aber zugleich bemerkt, daß er in ſei¬ nen Gedichten den Lord nicht vergeſſen und bei allem Feuer fuͤr die Rechte der Menſchheit und der unterdruͤckten Voͤlker, bei allem Enthuſiasmus fuͤr die Freiheit und reine Humanitaͤt des griechi¬ ſchen Alterthums ſich mit Stolz als den Enkel eines altengliſchen, feudalen Geſchlechts betrachtete und kund gab. In dieſer Verſchmelzung des Grie¬ chiſchen und Mittelaltrigen ſah Goethe mit Recht den Grundton ſeiner Poeſie, wie ſie auch jenen beſondern, ja tiefen, charakteriſtiſchen Reiz der Byronſchen Gedichte bildet, der auf des Dichters Perſoͤnlichkeit ruͤckwirkend einen ſo intereſſanten Schimmer wirft. Allein ſo wenig ſich in rein poetiſcher Beziehung Gedicht und Dichter trennen laſſen, ſo erlaubt iſt es, in allgemeiner aͤſthetiſcher den Grundton der Byronſchen Gedichte in einer hoͤhern Weltbedeutung wiederzufinden und dieſe Miſchung des Antiken und Feudalen als eine Miſchung und Vereinigung des griechiſchen und germaniſchen Geiſtes zu betrachten, welche tropfen¬ weiſe in die Adern des europaͤiſchen Staatskoͤrpers

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/295>, abgerufen am 19.04.2024.