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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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6.
DIE DEMAGOGEN DES FÜNFTEN JAHRHUNDERTS.

Bisher konnte die analyse des aristotelischen buches von den be-
kannten und zum teil benannten schriftstellern ausgehn, von denen
Aristoteles abhieng, Solon Herodotos Thukydides der attischen chronik,
deren berichte sich wesentlich durch ihre qualität kenntlich machten.
das wird in der geschichte des fünften jahrhunderts anders. die eine
kurze episode, die aus Thukydides stammt, ist erledigt; für die chronik
werden wir ausser den daten nur noch ein par sätzchen in anspruch
nehmen. im übrigen weht hier ein ganz anderer geist. von 450--411
hören wir urteile statt der tatsachen, über die geschichte der 400 liegen
unverarbeitete actenstücke vor, die von 404/3 wird sorgfältig erzählt. es
ist also keine einheitlichkeit angestrebt; aber diese art zu schreiben,
die ich keinesweges loben will, bietet der analyse von selbst die hand-
habe, auf verschiedene vorlagen zu schliessen. wir bringen auch für das
was wir erwarten können, die einsicht mit, dass Aristoteles oligarchische
parteischriften benutzt hat und dass er in der schule Platons ansichten
und stimmungen aufgenommen hat, die auch unbewusst sein urteil be-
einflussen konnten. die analyse selbst hätte ich sehr viel kürzer fassen
können, wenn nicht die prüfung der nachrichten auf ihren objectiven
wert bereits an dieser stelle nötig gewesen wäre. denn erst daran dass
so überaus viel unwahres oder doch böswillig gefärbtes darin ist, kann
man erkennen, wes geistes kind der urheber dieser fälschungen war,
und weitere schlüsse auf eine bestimmte person wagen.

Von der revolution der dreissig bis zu ihrem sturze läuft eine zu-Die
geschichte
der dreissig.

sammenhängende erzählung der ereignisse (34, 3--40). nirgend beruft
Aristoteles sich auf berichterstatter, nirgend notirt er eine abweichende
überlieferung. es werden eine menge von personen eingeführt und
nach ihrer parteistellung tendenz und bedeutung gezeichnet. das ist

6.
DIE DEMAGOGEN DES FÜNFTEN JAHRHUNDERTS.

Bisher konnte die analyse des aristotelischen buches von den be-
kannten und zum teil benannten schriftstellern ausgehn, von denen
Aristoteles abhieng, Solon Herodotos Thukydides der attischen chronik,
deren berichte sich wesentlich durch ihre qualität kenntlich machten.
das wird in der geschichte des fünften jahrhunderts anders. die eine
kurze episode, die aus Thukydides stammt, ist erledigt; für die chronik
werden wir auſser den daten nur noch ein par sätzchen in anspruch
nehmen. im übrigen weht hier ein ganz anderer geist. von 450—411
hören wir urteile statt der tatsachen, über die geschichte der 400 liegen
unverarbeitete actenstücke vor, die von 404/3 wird sorgfältig erzählt. es
ist also keine einheitlichkeit angestrebt; aber diese art zu schreiben,
die ich keinesweges loben will, bietet der analyse von selbst die hand-
habe, auf verschiedene vorlagen zu schlieſsen. wir bringen auch für das
was wir erwarten können, die einsicht mit, daſs Aristoteles oligarchische
parteischriften benutzt hat und daſs er in der schule Platons ansichten
und stimmungen aufgenommen hat, die auch unbewuſst sein urteil be-
einflussen konnten. die analyse selbst hätte ich sehr viel kürzer fassen
können, wenn nicht die prüfung der nachrichten auf ihren objectiven
wert bereits an dieser stelle nötig gewesen wäre. denn erst daran daſs
so überaus viel unwahres oder doch böswillig gefärbtes darin ist, kann
man erkennen, wes geistes kind der urheber dieser fälschungen war,
und weitere schlüsse auf eine bestimmte person wagen.

Von der revolution der dreiſsig bis zu ihrem sturze läuft eine zu-Die
geschichte
der dreiſsig.

sammenhängende erzählung der ereignisse (34, 3—40). nirgend beruft
Aristoteles sich auf berichterstatter, nirgend notirt er eine abweichende
überlieferung. es werden eine menge von personen eingeführt und
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[[121]/0135] 6. DIE DEMAGOGEN DES FÜNFTEN JAHRHUNDERTS. Bisher konnte die analyse des aristotelischen buches von den be- kannten und zum teil benannten schriftstellern ausgehn, von denen Aristoteles abhieng, Solon Herodotos Thukydides der attischen chronik, deren berichte sich wesentlich durch ihre qualität kenntlich machten. das wird in der geschichte des fünften jahrhunderts anders. die eine kurze episode, die aus Thukydides stammt, ist erledigt; für die chronik werden wir auſser den daten nur noch ein par sätzchen in anspruch nehmen. im übrigen weht hier ein ganz anderer geist. von 450—411 hören wir urteile statt der tatsachen, über die geschichte der 400 liegen unverarbeitete actenstücke vor, die von 404/3 wird sorgfältig erzählt. es ist also keine einheitlichkeit angestrebt; aber diese art zu schreiben, die ich keinesweges loben will, bietet der analyse von selbst die hand- habe, auf verschiedene vorlagen zu schlieſsen. wir bringen auch für das was wir erwarten können, die einsicht mit, daſs Aristoteles oligarchische parteischriften benutzt hat und daſs er in der schule Platons ansichten und stimmungen aufgenommen hat, die auch unbewuſst sein urteil be- einflussen konnten. die analyse selbst hätte ich sehr viel kürzer fassen können, wenn nicht die prüfung der nachrichten auf ihren objectiven wert bereits an dieser stelle nötig gewesen wäre. denn erst daran daſs so überaus viel unwahres oder doch böswillig gefärbtes darin ist, kann man erkennen, wes geistes kind der urheber dieser fälschungen war, und weitere schlüsse auf eine bestimmte person wagen. Von der revolution der dreiſsig bis zu ihrem sturze läuft eine zu- sammenhängende erzählung der ereignisse (34, 3—40). nirgend beruft Aristoteles sich auf berichterstatter, nirgend notirt er eine abweichende überlieferung. es werden eine menge von personen eingeführt und nach ihrer parteistellung tendenz und bedeutung gezeichnet. das ist Die geschichte der dreiſsig.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. [121]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/135>, abgerufen am 18.04.2024.