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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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1. Chronologie.
(cap. 7), sondern in der periegese unten (37) erzählt er von dem
heiligen kriege, und keinesfalls hat er jene erzählung von hier dort-
hin versetzt. noch in der gleich folgenden geschichte der amphiktionen
fehlt der erste heilige krieg. es ist fürwahr eine schwere zumutung, auf
grund der lücken dieser erzählung den Aristoteles und die alexandrinischen
grammatiker zu verwerfen. freilich, wenn es die exegese Pindars ver-
langt, müssen wir uns fügen. die soll hier unberührt bleiben31): nur
die alternative soll klar gestellt sein. Boeckh hat sie nicht verschleiert,
aber wol seine modernen anhänger. ich will hier nur die erklärung
abgeben oder vielmehr wiederholen, dass mir auch die gedichte, so weit
sie überhaupt so genaue zeitbestimmungen erschliessen lassen, nur unter
beibehaltung der überlieferten daten verständlich sind; allerdings rate
ich dringend jedem, der sich ein urteil bilden will, zunächst nicht bloss
alle modernen commentare bei seite zu lassen, sondern auch die drei
ersten pythischen gedichte, die als grundlage der pindarischen oder
hellenischen chronologie unverwendbar sind.

Es ist wol nicht unerwünscht, wenn es auch für Aristoteles nichts
mehr ergibt, kurz herzusetzen, was als geschichtlich zuverlässige tatsache
über den ersten heiligen krieg gelten darf. es ist ziemlich das um-
fangreichste stück beglaubigter kriegsgeschichte aus so alter zeit.

Die lokrische bevölkerung von Kirrha, die Delphi vom meere ab-
schloss, war den Delphern unbequem, weil sie die pilger belästigte. in
folge dessen stellte der athenische pylagore Solon den antrag auf amphik-
tionische execution; die führung des ganzen fiel dem Thessaler Eury-
lochos zu, dem es, unbestimmt wie lange nach ausbruch des krieges,
gelang Kirrha zu erobern. zu ehren des sieges hielt er eine stolze
Pythienfeier im august 590. aber die Kirrhaeer waren längst nicht
überwunden; sie hatten sich auf die Kirphis geflüchtet, hielten sich dort
und in ihrem hafenplatze, und ihre überwindung gelang erst 584, wesent-
lich durch die beteiligung des Kleisthenes von Sikyon; sein eidam, der
Alkmeonide Megakles von Athen führte das attische contingent (oder hatte
es in dem vorigen kriege geführt). erst jetzt wurden die Kirrhaeer
gänzlich ausgerottet, ihr land dem gotte zugewiesen, zum teile verflucht,
und 582 ward eine penteterische feier zum ersten male begangen, mit
vielen kampfspielen, zwar ohne geldpreise, aber doch natürlich nicht ohne
dass der gott aufwand treiben musste, zu dem ihm die neuen einkünfte
überwiesen waren. die sieger kehrten mit reicher beute heim, die

31) Einen positiven beweis für die richtigkeit der aristotelischen zählung
bringt die beilage 'Pindars siebentes pythisches lied'.

1. Chronologie.
(cap. 7), sondern in der periegese unten (37) erzählt er von dem
heiligen kriege, und keinesfalls hat er jene erzählung von hier dort-
hin versetzt. noch in der gleich folgenden geschichte der amphiktionen
fehlt der erste heilige krieg. es ist fürwahr eine schwere zumutung, auf
grund der lücken dieser erzählung den Aristoteles und die alexandrinischen
grammatiker zu verwerfen. freilich, wenn es die exegese Pindars ver-
langt, müssen wir uns fügen. die soll hier unberührt bleiben31): nur
die alternative soll klar gestellt sein. Boeckh hat sie nicht verschleiert,
aber wol seine modernen anhänger. ich will hier nur die erklärung
abgeben oder vielmehr wiederholen, daſs mir auch die gedichte, so weit
sie überhaupt so genaue zeitbestimmungen erschlieſsen lassen, nur unter
beibehaltung der überlieferten daten verständlich sind; allerdings rate
ich dringend jedem, der sich ein urteil bilden will, zunächst nicht bloſs
alle modernen commentare bei seite zu lassen, sondern auch die drei
ersten pythischen gedichte, die als grundlage der pindarischen oder
hellenischen chronologie unverwendbar sind.

Es ist wol nicht unerwünscht, wenn es auch für Aristoteles nichts
mehr ergibt, kurz herzusetzen, was als geschichtlich zuverlässige tatsache
über den ersten heiligen krieg gelten darf. es ist ziemlich das um-
fangreichste stück beglaubigter kriegsgeschichte aus so alter zeit.

Die lokrische bevölkerung von Kirrha, die Delphi vom meere ab-
schloſs, war den Delphern unbequem, weil sie die pilger belästigte. in
folge dessen stellte der athenische pylagore Solon den antrag auf amphik-
tionische execution; die führung des ganzen fiel dem Thessaler Eury-
lochos zu, dem es, unbestimmt wie lange nach ausbruch des krieges,
gelang Kirrha zu erobern. zu ehren des sieges hielt er eine stolze
Pythienfeier im august 590. aber die Kirrhaeer waren längst nicht
überwunden; sie hatten sich auf die Kirphis geflüchtet, hielten sich dort
und in ihrem hafenplatze, und ihre überwindung gelang erst 584, wesent-
lich durch die beteiligung des Kleisthenes von Sikyon; sein eidam, der
Alkmeonide Megakles von Athen führte das attische contingent (oder hatte
es in dem vorigen kriege geführt). erst jetzt wurden die Kirrhaeer
gänzlich ausgerottet, ihr land dem gotte zugewiesen, zum teile verflucht,
und 582 ward eine penteterische feier zum ersten male begangen, mit
vielen kampfspielen, zwar ohne geldpreise, aber doch natürlich nicht ohne
daſs der gott aufwand treiben muſste, zu dem ihm die neuen einkünfte
überwiesen waren. die sieger kehrten mit reicher beute heim, die

31) Einen positiven beweis für die richtigkeit der aristotelischen zählung
bringt die beilage ‘Pindars siebentes pythisches lied’.
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[20/0034] 1. Chronologie. (cap. 7), sondern in der periegese unten (37) erzählt er von dem heiligen kriege, und keinesfalls hat er jene erzählung von hier dort- hin versetzt. noch in der gleich folgenden geschichte der amphiktionen fehlt der erste heilige krieg. es ist fürwahr eine schwere zumutung, auf grund der lücken dieser erzählung den Aristoteles und die alexandrinischen grammatiker zu verwerfen. freilich, wenn es die exegese Pindars ver- langt, müssen wir uns fügen. die soll hier unberührt bleiben 31): nur die alternative soll klar gestellt sein. Boeckh hat sie nicht verschleiert, aber wol seine modernen anhänger. ich will hier nur die erklärung abgeben oder vielmehr wiederholen, daſs mir auch die gedichte, so weit sie überhaupt so genaue zeitbestimmungen erschlieſsen lassen, nur unter beibehaltung der überlieferten daten verständlich sind; allerdings rate ich dringend jedem, der sich ein urteil bilden will, zunächst nicht bloſs alle modernen commentare bei seite zu lassen, sondern auch die drei ersten pythischen gedichte, die als grundlage der pindarischen oder hellenischen chronologie unverwendbar sind. Es ist wol nicht unerwünscht, wenn es auch für Aristoteles nichts mehr ergibt, kurz herzusetzen, was als geschichtlich zuverlässige tatsache über den ersten heiligen krieg gelten darf. es ist ziemlich das um- fangreichste stück beglaubigter kriegsgeschichte aus so alter zeit. Die lokrische bevölkerung von Kirrha, die Delphi vom meere ab- schloſs, war den Delphern unbequem, weil sie die pilger belästigte. in folge dessen stellte der athenische pylagore Solon den antrag auf amphik- tionische execution; die führung des ganzen fiel dem Thessaler Eury- lochos zu, dem es, unbestimmt wie lange nach ausbruch des krieges, gelang Kirrha zu erobern. zu ehren des sieges hielt er eine stolze Pythienfeier im august 590. aber die Kirrhaeer waren längst nicht überwunden; sie hatten sich auf die Kirphis geflüchtet, hielten sich dort und in ihrem hafenplatze, und ihre überwindung gelang erst 584, wesent- lich durch die beteiligung des Kleisthenes von Sikyon; sein eidam, der Alkmeonide Megakles von Athen führte das attische contingent (oder hatte es in dem vorigen kriege geführt). erst jetzt wurden die Kirrhaeer gänzlich ausgerottet, ihr land dem gotte zugewiesen, zum teile verflucht, und 582 ward eine penteterische feier zum ersten male begangen, mit vielen kampfspielen, zwar ohne geldpreise, aber doch natürlich nicht ohne daſs der gott aufwand treiben muſste, zu dem ihm die neuen einkünfte überwiesen waren. die sieger kehrten mit reicher beute heim, die 31) Einen positiven beweis für die richtigkeit der aristotelischen zählung bringt die beilage ‘Pindars siebentes pythisches lied’.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/34>, abgerufen am 28.03.2024.