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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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2. Herodotos.
eines Atthidographen, denn Kleidemos2) steht daneben. das Herodotcitat
beweist an sich, dass er in dieser partie weiter benutzt ist; die nennung
der enioi, dass er nicht allein zu grunde liegt. dem entspricht der tat-
bestand: Aristoteles erzählt die äussere geschichte des Peisistratos (13,
4--15, 3) in engem anschlusse an Herodotos, aber mit zahlreichen zu-
sätzen. nur zum teil waren uns die geschichten anderswoher bekannt, aber
diese parallelen genügen, ihre herleitung aus der chronik wahrscheinlich zu
machen. so gleich die hübsche geschichte, wie Peisistratos sich zum ersten
male der herrschaft bemächtigt, und der alte Solon seine klugheit und
seinen mut vergeblich dagegen aufbietet: sie hängt in wahrheit mit der
schilderung von dem regimente des Peisistratos zusammen, das bei Aristo-
teles folgt, und müsste hier eigentlich besprochen werden. allein das
würde uns gleich von Herodotos weit abführen: so habe ich es dem
capitel vorbehalten, das nach der Atthis heisst.

Ein wichtiges stück, die unternehmungen des Peisistratos während
seiner zweiten verbannung, ergänzt den bericht Herodots, dessen angabe,
dass Peisistratos aus der Strymongegend geld bezog (I 64), erst jetzt ver-
ständlich wird, wo wir von seinen dortigen erwerbungen erfahren. da
Eretria der ausgangspunkt des Peisistratos war, konnte jeder folgern,
dass ihn die dortigen machthaber unterstützten: aber dass es, wie in
Chalkis, ritter waren, ist zwar nach der analogie und einer angabe des
Aristoteles (Politik D 3) sehr glaublich, nur aus Herodot war es nicht zu
entnehmen. diese trefflichen angaben machen durchaus den eindruck
schliesslich aus derselben tradition geschöpft zu sein, die auch dem Herodotos
vorlag, und es wäre dem Aristoteles ja auch nicht möglich gewesen, beide
in einander zu arbeiten, wenn sie nicht im wesentlichen gestimmt, im
einzelnen einander ergänzt hätten. einen widerspruch in einer lappalie,
wie es die herkunft der Phye ist, notirt er; sonst gibt er einfach nur das,
was ihm das wahre zu sein scheint. dabei ist es ihm einmal begegnet, dass
er ein und dasselbe ereignis, weil es von seinen gewährsmännern in
verschiedener beleuchtung vorgeführt war, verdoppelt hat.

2) Den namen des Kleidemos hier und IX 410 a mit Antikleides zu ver-
tauschen möchte ich nicht raten. dass die Atthis unter dem titel Protogeneia
(XIV 660 a, dieselbe stelle bezeichnet die nächste seite 660 d mit Atthidos a) und
Nostoi angeführt wird, ist, wie ich schon früher ausgeführt habe, gar nicht an-
stössig. denn Kleidemos wird selbst seinem buche gar keinen bestimmten titel
gegeben haben, das 'attische buch' und 'urgeschichte' und 'geschichte seit Troias
fall' sind bezeichnungen so gut wie die für seines zeitgenossen werke Ellenika,
Kurou paideia, Kurou Anabasis, die letzten beiden ebenso übertragungen vom
ersten teile auf das ganze.

2. Herodotos.
eines Atthidographen, denn Kleidemos2) steht daneben. das Herodotcitat
beweist an sich, daſs er in dieser partie weiter benutzt ist; die nennung
der ἔνιοι, daſs er nicht allein zu grunde liegt. dem entspricht der tat-
bestand: Aristoteles erzählt die äuſsere geschichte des Peisistratos (13,
4—15, 3) in engem anschlusse an Herodotos, aber mit zahlreichen zu-
sätzen. nur zum teil waren uns die geschichten anderswoher bekannt, aber
diese parallelen genügen, ihre herleitung aus der chronik wahrscheinlich zu
machen. so gleich die hübsche geschichte, wie Peisistratos sich zum ersten
male der herrschaft bemächtigt, und der alte Solon seine klugheit und
seinen mut vergeblich dagegen aufbietet: sie hängt in wahrheit mit der
schilderung von dem regimente des Peisistratos zusammen, das bei Aristo-
teles folgt, und müſste hier eigentlich besprochen werden. allein das
würde uns gleich von Herodotos weit abführen: so habe ich es dem
capitel vorbehalten, das nach der Atthis heiſst.

Ein wichtiges stück, die unternehmungen des Peisistratos während
seiner zweiten verbannung, ergänzt den bericht Herodots, dessen angabe,
daſs Peisistratos aus der Strymongegend geld bezog (I 64), erst jetzt ver-
ständlich wird, wo wir von seinen dortigen erwerbungen erfahren. da
Eretria der ausgangspunkt des Peisistratos war, konnte jeder folgern,
daſs ihn die dortigen machthaber unterstützten: aber daſs es, wie in
Chalkis, ritter waren, ist zwar nach der analogie und einer angabe des
Aristoteles (Politik Δ 3) sehr glaublich, nur aus Herodot war es nicht zu
entnehmen. diese trefflichen angaben machen durchaus den eindruck
schlieſslich aus derselben tradition geschöpft zu sein, die auch dem Herodotos
vorlag, und es wäre dem Aristoteles ja auch nicht möglich gewesen, beide
in einander zu arbeiten, wenn sie nicht im wesentlichen gestimmt, im
einzelnen einander ergänzt hätten. einen widerspruch in einer lappalie,
wie es die herkunft der Phye ist, notirt er; sonst gibt er einfach nur das,
was ihm das wahre zu sein scheint. dabei ist es ihm einmal begegnet, daſs
er ein und dasselbe ereignis, weil es von seinen gewährsmännern in
verschiedener beleuchtung vorgeführt war, verdoppelt hat.

2) Den namen des Kleidemos hier und IX 410 a mit Antikleides zu ver-
tauschen möchte ich nicht raten. daſs die Atthis unter dem titel Πϱωτογένεια
(XIV 660 a, dieselbe stelle bezeichnet die nächste seite 660 d mit Ἀτϑίδος α΄) und
Νόστοι angeführt wird, ist, wie ich schon früher ausgeführt habe, gar nicht an-
stöſsig. denn Kleidemos wird selbst seinem buche gar keinen bestimmten titel
gegeben haben, das ‘attische buch’ und ‘urgeschichte’ und ‘geschichte seit Troias
fall’ sind bezeichnungen so gut wie die für seines zeitgenossen werke Ἑλληνικά,
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[30/0044] 2. Herodotos. eines Atthidographen, denn Kleidemos 2) steht daneben. das Herodotcitat beweist an sich, daſs er in dieser partie weiter benutzt ist; die nennung der ἔνιοι, daſs er nicht allein zu grunde liegt. dem entspricht der tat- bestand: Aristoteles erzählt die äuſsere geschichte des Peisistratos (13, 4—15, 3) in engem anschlusse an Herodotos, aber mit zahlreichen zu- sätzen. nur zum teil waren uns die geschichten anderswoher bekannt, aber diese parallelen genügen, ihre herleitung aus der chronik wahrscheinlich zu machen. so gleich die hübsche geschichte, wie Peisistratos sich zum ersten male der herrschaft bemächtigt, und der alte Solon seine klugheit und seinen mut vergeblich dagegen aufbietet: sie hängt in wahrheit mit der schilderung von dem regimente des Peisistratos zusammen, das bei Aristo- teles folgt, und müſste hier eigentlich besprochen werden. allein das würde uns gleich von Herodotos weit abführen: so habe ich es dem capitel vorbehalten, das nach der Atthis heiſst. Ein wichtiges stück, die unternehmungen des Peisistratos während seiner zweiten verbannung, ergänzt den bericht Herodots, dessen angabe, daſs Peisistratos aus der Strymongegend geld bezog (I 64), erst jetzt ver- ständlich wird, wo wir von seinen dortigen erwerbungen erfahren. da Eretria der ausgangspunkt des Peisistratos war, konnte jeder folgern, daſs ihn die dortigen machthaber unterstützten: aber daſs es, wie in Chalkis, ritter waren, ist zwar nach der analogie und einer angabe des Aristoteles (Politik Δ 3) sehr glaublich, nur aus Herodot war es nicht zu entnehmen. diese trefflichen angaben machen durchaus den eindruck schlieſslich aus derselben tradition geschöpft zu sein, die auch dem Herodotos vorlag, und es wäre dem Aristoteles ja auch nicht möglich gewesen, beide in einander zu arbeiten, wenn sie nicht im wesentlichen gestimmt, im einzelnen einander ergänzt hätten. einen widerspruch in einer lappalie, wie es die herkunft der Phye ist, notirt er; sonst gibt er einfach nur das, was ihm das wahre zu sein scheint. dabei ist es ihm einmal begegnet, daſs er ein und dasselbe ereignis, weil es von seinen gewährsmännern in verschiedener beleuchtung vorgeführt war, verdoppelt hat. 2) Den namen des Kleidemos hier und IX 410 a mit Antikleides zu ver- tauschen möchte ich nicht raten. daſs die Atthis unter dem titel Πϱωτογένεια (XIV 660 a, dieselbe stelle bezeichnet die nächste seite 660 d mit Ἀτϑίδος α΄) und Νόστοι angeführt wird, ist, wie ich schon früher ausgeführt habe, gar nicht an- stöſsig. denn Kleidemos wird selbst seinem buche gar keinen bestimmten titel gegeben haben, das ‘attische buch’ und ‘urgeschichte’ und ‘geschichte seit Troias fall’ sind bezeichnungen so gut wie die für seines zeitgenossen werke Ἑλληνικά, Κύϱου παιδεία, Κύϱου Ἀνάβασις, die letzten beiden ebenso übertragungen vom ersten teile auf das ganze.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/44>, abgerufen am 29.03.2024.